Hass-Buch über den Wallfahrtsort:Altötting, der Vorhof zur Hölle

Der Reiseschriftsteller Andreas Altmann hat ein Hass-Buch über seinen Vater und seine Heimatstadt Altötting geschrieben. Der Titel: "Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend".

Hermann Unterstöger

Die altbayerische Weisheit, wonach Heiraten und Schlittenfahren schnell gehen müssen, galt zu Zeiten, als das noch üblich war, auch für die Vergabe von Ohrfeigen, vulgo Watschn. Getreu dieser Devise erhält der Wallfahrtsort Altötting in einem neuen Buch über ihn und eine dort ansässige Familie schon auf Seite 19 die erste Watschn, und was für eine.

Andreas Altmann

Hasst Altötting und hat darüber ein Buch geschrieben: Andreas Altmann.

(Foto: Wolfgang Schmidt, oh)

Dort heißt es über den Vater des Verfassers, dass er trotz bester Anlagen nicht nur Rosenkranzhändler geworden sei, sondern, "um die Schmerzgrenze der Erbärmlichkeit noch einmal anzuziehen", auch sein ganzes Leben "in einem Kaff" verbracht habe, "das man als Geburtsort nicht öffentlich aussprechen, nur als Geburtsort verheimlichen will": in Altötting, diesem "Provinzloch mitten in Bayern", dieser "Brutstätte hechelnder Bigotterie", dieser "Stadt voller Pfaffen und von Pfaffen geducktem Volk".

Die Kunde von dem Buch, das der Piper-Verlag Mitte August herausbringt, hat sich in Altötting unter der Hand schon gut verbreitet, und dass sich hinter dessen Titel "Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend" weder ein wohlwollender Traktat noch ein steiler Jux verbirgt, bedarf keiner Erläuterung. Verfasser ist der aus Altötting stammende Reisereporter Andreas Altmann. Er präsentiert auf beiläufig 250 Seiten eine Abrechnung mit dem Vater, wie sie in der an Vaterabrechnungen nicht eben armen Literatur selten ist: einen fast dithyrambischen Hassgesang, eine Vaterverneinung, eine Auslöschung, die freilich, wie Auslöschungen das so an sich haben, ihr Objekt erst recht ins Licht der Gegenwart rückt.

Um wirklich zu ermessen, was dieser menschlich wie literarisch beeindruckende, ja betäubende Amoklauf in Altötting bewirkt, muss man einen Blick auf die Altmanns werfen. Sie waren eine Familie von Großhändlern, spezialisiert auf die in dieser Stadt höchst wichtigen Devotionalien. Der Großvater, Ferdinand Altmann, war Kommerzienrat und wird wegen seiner Verdienste ums Gemeinwohl bis heute in der Liste der Ehrenbürger geführt.

Gebetsmühlen-Schrott

Ihr herrschaftliches, baulich überaus schönes Wohnhaus kannte und achtete man in der ganzen Stadt als das "Altmannhaus", was in einem Ton ausgesprochen wurde, als wär's das Stadtschloss. Ferdinand Altmanns Sohn Franz Xaver übernahm den Handel mit dem, was Enkel Andreas im Buch als "Gebetsmühlen-Schrott" bezeichnet; ihn selbst, den Verhassten, nennt er "Rosenkranzkönig", in Anspielung auf das heute noch beliebte Marienlied "Rosenkranzkönigin, Mutter voll Gnade".

Im Licht der Kritik steht Andreas Altmann zwiespältig da. Die einen berauschen sich an ihm, seinem zerfahrenen Leben, seiner Direktheit, seiner fortreißenden Sprache, die anderen reden über ihn so ähnlich und so von oben herab wie Goethe seinerzeit über das verbummelte Dichtergenie Johann Christian Günther: "Er wusste sich nicht zu zähmen, und so zerrann ihm sein Leben wie sein Dichten." Dieser Tage war Altmann in Altötting, um mit dem ZDF etwas über sich und die Stadt seiner Abneigung zu machen: Ein schlaksiger, gebräunter, unkonventionell gekleideter und expressiv sprechender 62-Jähriger, der nicht ohne Lust erzählt, dass er als Schandmaul verschrien sei und als Produzent von "Müll hoch drei" angegiftet werde.

Dass diese Urteile nun neu aufgelegt werden, darauf kann man Gift nehmen. "Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend" ist nämlich kein "eindrucksvoller Roman", wie der Kulturspiegel meint, auch kein Sachbuch, wie der Autor selbst sagt, sondern ein Pamphlet von tsunamihafter Blindwütigkeit. Das lässt sich weder referieren noch gar nacherzählen, doch wie sich ein Tornado um seine Achse dreht, so wirbelt dieser Text um einen einzigen Kern: den vom Krieg veränderten, um nicht zu sagen verwüsteten Vater, dessen Kälte, Zorn und Unberechenbarkeit nun ihrerseits die Familie verwüsten, den jüngsten der drei Söhne jedenfalls.

Was diese schonungslos bekennerische Windhose sonst noch mit sich führt, das sind Reminiszenzen an prügelnde, sich an Kindern vergreifende Lehrer und Priester, das sind in ihrer Offenheit peinigende Anmerkungen zur ebenfalls leidenden Mutter, das sind grelle Enthüllungen zum Klerus, und das sind, als Ostinato sozusagen, immer wieder äußerst harsche Urteile über die Stadt, in der dies alles vorfiel.

Kein Tränensackbrevier

Ob zwischen der Stadt und den Familien darin eine so zwanghafte Beziehung besteht, wie Altmann sie unterstellt, wäre erst noch zu beweisen; Dramen wie das geschilderte gibt es überall, sie sind Weltelendserbe. Altötting wird eine Weile an dem Brocken zu beißen haben, für Altmann selbst ist die Geschichte ausgestanden. Er wird seinem Vater nie verzeihen, hält ihn aber in einem höheren Sinn für nicht schuldig, weil Opfer einer unseligen Zeit und Veranlagung.

Die Frage, warum er, der Sohn, vier Jahrzehnte mit dem Aufräumen gewartet hat, bringt ihn nicht draus. "Ich hab", sagt er, "ganz, ganz lange gewartet, damit's kein Tränensackbrevier wird und keine Elendsjeremiade. Ich bin nicht ergriffen von mir, hab aber meine Geschichte erzählen müssen." Dann, nach einer Pause: "Ist es die Wahrheit? Es ist meine Wirklichkeit."

Seine Schwester hätte es lieber gesehen, wenn er auf die Geschichte verzichtet hätte. Sie hat nämlich eine andere Wahrheit: ihre Wirklichkeit, in der Altötting kein Vorhof der Hölle ist und ihre Familie kein Albtraum. Wenn sie diese Realität erforscht, eine subjektive Realität von gleicher Gültigkeit wie die ihres Bruders, dann zeigt sich vor ihr ein Vater, der sie bei aller Strenge zur Selbständigkeit erzog, der ihr eine gute Ausbildung angedeihen ließ, der sie zum Respekt vor Autoritäten ebenso anleitete wie zur Auflehnung gegen falsche Autoritäten und der ihr in künstlerischen Dingen viel fürs Leben mitgab.

Sie hat das Buch noch nicht gesehen, nur im Internet einen Ausschnitt aus einer Lesung gehört. "Ich liebe meinen Bruder", sagt sie, "aber nicht, was er jetzt geschrieben hat."

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