Hanns-Seidel-Stiftung:Studie zu Asylbewerbern in Bayern: Jung, ehrgeizig, ungebildet

Hanns-Seidel-Stiftung: Viele Asylbewerber wollen Deutsch lernen - allerdings erschwert die gedrängte Wohnsituation oft das Lernen.

Viele Asylbewerber wollen Deutsch lernen - allerdings erschwert die gedrängte Wohnsituation oft das Lernen.

(Foto: Stephan Rumpf)
  • Die Technische Hochschule Regensburg hat im Auftrag der Hanns-Seidel-Stiftung eine Umfrage unter Asylsuchenden durchgeführt.
  • Die Studie zeigt, dass Integration gelingen kann, allerdings auch, wo die Hindernisse liegen: zum Beispiel beim Bildungsniveau.
  • In Fragen der Weltanschauung zeigen sich die Asylsuchenden sehr offen, allerdings gibt es eine Tendenz zum Antisemitismus.

Von Lisa Schnell

Nie mehr möchte Tarik nach Afghanistan zurück, wo die Taliban einen Verwandten köpften, wo er durch eine Splitterbombe auf einem Auge erblindete. Er will in Deutschland bleiben, in Bayern, wo er seit 2016 lebt. Hier will er Arbeit finden. Doch Tarik kann kaum lesen oder schreiben. Sie waren neun Kinder. Was bringe es, zur Schule zu gehen, wenn die anderen dann verhungern?, fragt er. Also ging er nicht in die Schule, sondern in das Geschäft seiner Eltern, arbeitete als Schweißer - mit sieben Jahren. Später dann als Möbelbauer und Teppichknüpfer. Das könnte er sich in Bayern auch vorstellen. Deutsch aber kann er kaum.

Gerade die Flüchtlinge, die in Deutschland bleiben wollen wie Tarik, haben oft das niedrigste Bildungsniveau. Die anfängliche Hoffnung, es würden lauter Fachkräfte nach Bayern kommen, müsse relativiert werden, sagt Sozialwissenschaftlerin Sonja Haug. Das Potenzial sei da, es brauche aber noch viele Schritte. So lautet ein Ergebnis einer von der Hanns-Seidel-Stiftung in Auftrag gegebenen Studie, die Haug am Donnerstag vorstellte.

Mit ihrem Team von der OTH Regensburg befragte sie etwa 780 Asylsuchende, deren Aussagen für die Orte der Studie (Landkreis Ebersberg und Nürnberg) repräsentativ sind. Außerdem unterhielten sich die Forscher intensiv mit zwölf Flüchtlingen, zu denen auch Tarik gehört, sowie mit jenen, die sie betreuen, unterbringen und etwa Deutschkurse organisieren - von staatlicher Seite oder im Ehrenamt. Befragt wurden Flüchtlinge aus Eritrea, Afghanistan, Syrien und dem Irak, die eine gute Bleibeperspektive haben.

Die Studie gibt Hoffnung, dass ihre Integration gelingen kann, zeigt aber auch, wo die Hindernisse liegen. Etwa im Bildungsniveau: Hier wird eine Zweiteilung deutlich, die sich fast durch alle Bereiche zieht. Auf der einen Seite stehen Syrer und Iraker. Sie sind oft älter, mit Familie, teils sehr gut ausgebildet und weisen ihrer Religion keine allzu große Rolle zu. Auf der anderen Seite die Afghanen und Eritreer: Es sind meist sehr junge Männer ohne Familien, oft mit niedrigem Bildungsniveau und sehr religiös.

Etwa ein Fünftel der befragten Afghanen hat nie eine Schule besucht, zwölf Prozent können weder lesen noch schreiben. Ähnlich sieht es bei den Eritreern aus. Fast ein Drittel von ihnen ging nicht länger als sechs Jahre zur Schule. Viele flohen früh vor dem Militärdienst. Ein abgeschlossenes Studium haben nur knapp vier Prozent der Eritreer - der niedrigste Wert.

Gut ausgebildet dagegen sind Syrer und Iraker. Knapp zwölf Prozent der Befragten aus dem Irak haben ein abgeschlossenes Studium, bei den Syrern sind es sogar 14 Prozent, und damit fast so viel wie in Deutschland. Von ihnen allerdings gibt nur knapp ein Drittel an, für immer in Deutschland bleiben zu wollen. Unter den Afghanen sehen dagegen mehr als 80 Prozent ihre Zukunft hier. Ihre Erwartungen aber werden oft auch enttäuscht, wie das Interview mit Tarik zeigt.

Tarik will unbedingt Deutsch lernen. Nur so könne er eine Arbeit finden, nur so finde er Anschluss in Bayern. Er besucht einen Kurs von einem Helferkreis und lernt am Abend noch Vokabeln auf seinem Handy. Doch er kann sich kaum konzentrieren. Zusammen mit 300 anderen Asylsuchenden lebt er in einer Turnhalle ohne Trennwände. In der Nacht kann er nicht schlafen, tagsüber ist es so laut, dass er kaum einen Gedanken fassen kann.

"Nur eine leere Notunterkunft ist eine gute Notunterkunft"

"Nur eine leere Notunterkunft ist eine gute Notunterkunft", gibt eine Wissenschaftlerin das Fazit der Experten wieder, die sie befragt hat. Das Gedränge in Turn- und Traglufthallen, wie es zum Zeitpunkt der Befragung noch vielerorts in Bayern beobachtet werden konnte, erschwere nicht nur die Deutschkurse. Auch wenn es unter Asylsuchenden zu Gewalt kommt, führen es die befragten Experten größtenteils auf die beengte Wohnsituation zurück.

Gefährlich werde es dann, wenn sie dort auch noch nichts zu tun hätten, wie es viele der zwölf Befragten beschreiben. Diese Zielgruppe sei sehr anfällig etwa für eine religiöse Radikalisierung, sagt Ursula Männle, Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung.

Welche Einstellungen haben Asylsuchende zu Religion, Demokratie, der Gleichberechtigung von Mann und Frau? Auch diese Fragen stellten die Wissenschaftler. Die Antworten fielen auf der einen Seite sehr weltoffen aus. Tarik etwa sagt: "Für mich zählt wirklich nur die Menschlichkeit und nicht die Religion." Welchen Gott seine Mitmenschen anbeten, ist ihm ziemlich egal. Jungen und Mädchen sollten in seinen Augen die gleichen Chancen auf eine Ausbildung haben. Dass die Frauen in Deutschland viele Freiheiten genießen, die ihnen in Afghanistan verwehrt sind, befürwortet er.

Wie Tarik heißen fast alle Befragten die Trennung von Staat und Kirche gut und betonen die Toleranz gegenüber anderen Religionen. Sie sind der Meinung, dass kein Mensch im Namen Gottes töten dürfe. Fast alle finden, Jungen und Mädchen hätten den gleichen Anspruch auf eine Ausbildung. Auf der anderen Seite vertrat eine Mehrheit wie selbstverständlich Ansichten, die in Deutschland als verbale Gewalt gelten.

Mehr als die Hälfte der Muslime, zu denen die große Mehrheit der Befragten gehört, zeigte eine deutliche Tendenz zu antisemitischen Einstellungen. Mehr als 50 Prozent der Syrer, Iraker und Afghanen sagten, dass Juden zu viel Einfluss hätten. So erschreckend das sei, Sozialwissenschaftlerin Haug überrascht es nicht. Auch unter den schon länger hier lebenden Muslimen sei Antisemismus weit verbreitet.

Die Eritreer übrigens blickten die Forscher bei der Frage verwundert an. Juden kennen sie nur aus der Bibel. Von ihnen mag aber eine andere Aussage verstören. 20 Prozent sehen in der Aufforderung zu einem Selbstmordattentat keine Straftat. Warum dies so ist, weiß Haug nicht. Aus der Aussage könne man aber nicht auf eine mögliche Tat schließen, sagt sie.

Nicht mit westlichen Werten vereinbar ist auch die Einstellung, dass Frauen sich ihren Ehemann nicht selbst aussuchen dürften. Mehr als ein Fünftel der befragten Eritreer sieht das so. Wenig Verständnis zeigen Syrer und Iraker für das Demonstrationsrecht. Sie würden es von zu Hause nicht anders kennen, sagt Haug. Die meisten verstünden aber schnell, dass in Deutschland andere Regeln gelten, außerdem lernten sie die zuvor nicht gekannten Freiheiten schätzen - so wie Tarik: Bayern schätzt er mittlerweile nicht nur wegen der Sicherheit, sondern auch wegen des guten Biers.

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