Grüne Landräte in Bayern:Pragmatische Realos

Grüne Landräte in Bayern: Grüne Krawatte, grüner Kragen - das war's. Jens Marco Scherf (l.) und Wolfgang Rzehak, die grünen Landratspioniere, sind vor allem eines: pragmatisch.

Grüne Krawatte, grüner Kragen - das war's. Jens Marco Scherf (l.) und Wolfgang Rzehak, die grünen Landratspioniere, sind vor allem eines: pragmatisch.

(Foto: oh)

Am 1. Mai treten in Miesbach und in Miltenberg die ersten Grünen-Landräte Bayerns ihre Ämter an. Doch Revolutionen sind weder von Wolfgang Rzehak noch von Jens Marco Scherf zu erwarten - sie bereiten eher die eigene Partei auf schwierige Entscheidungen vor.

Von Katja Auer und Heiner Effern, Miesbach/Miltenberg

In Miesbach ist wieder einmal ein rauschendes Geburtstagsfest angekündigt. Bundespräsident Joachim Gauck soll sogar kommen. Ebenso die schon Oberland-erfahrenen Gratulanten Kardinal Reinhard Marx und Ministerpräsident Horst Seehofer. Die Zahl der Teilnehmer wird am Sonntag bei etwa 4500 liegen. Geburtstag feiert diesmal aber nicht der Landrat, sondern die Stadt Miesbach: Zum 900. Jubiläum halten die bayerischen Gebirgsschützen dort ihren Patronatstag ab. Der Landrat, der im Festzug mitmarschieren wird und dem Bundespräsidenten das goldene Buch unter die Feder hält, wird ein anderer sein. Ein Grüner.

Wolfgang Rzehak, 46, wird Joachim Gauck empfangen. "Ich freu mich unbandig", sagt er. Gauck sei einer, den er sehr schätze. Auch der frühere Landrat Jakob Kreidl hätte ein paar nette Worte zu Gauck gefunden, so euphorisch wären sie aber wohl bei einem CSU-Mann nicht ausgefallen. Doch Kreidl verbringt seine letzten Amtstage im Urlaub, er ist bereits Vergangenheit. Er musste sich wegen einer weitgehend von der Kreissparkasse Miesbach-Tegernsee gesponserten Geburtstagsfeier für 118 000 Euro und wegen weiterer Fehltritte aus der Politik zurückziehen. Die konservativen Oberlandler entschieden sich für den radikalen Neuanfang und wählten einen Grünen. Wie in Miltenberg.

Wenngleich sie dort in Unterfranken keine Fehltritte des CSU-Vorgängers zu beklagen hatten. 28 Jahre führte Roland Schwing den Landkreis, erfolgreich, und als er aus Altersgründen nicht mehr kandidierte, wählten die Miltenberger in der Stichwahl mit knappem Vorsprung den Schulrektor Jens Marco Scherf, 39. Einen Grünen. Nicht aus Protest oder aus Unzufriedenheit, sondern, so sieht es zumindest aus, weil sie halt Scherf lieber haben wollten, den jüngeren und vielleicht frischeren Kandidaten, der im Wahlkampf von Haustür zu Haustür gezogen ist. "Dass ich ein Grüner bin, stand nur überregional im Fokus", erzählt Scherf. "Sonst hätte ich hier keine Chance gehabt." Er schätzt sich als pragmatisch ein, die Parteizugehörigkeit spiele in der Kommunalpolitik keine große Rolle, meint er.

Die ersten Landräte der Grünen

Am Donnerstag, dem Maifeiertag, beginnt in Bayern die Amtsperiode nach den Kommunalwahlen. Am Freitag treten die ersten beiden Landräte der Grünen in Deutschland dann offiziell ihren Dienst an.

Scherf wird als erste Amtshandlung die ehemalige Sekretärin seines Vorgängers anrufen und ihr zum Geburtstag gratulieren. "Sie war die gute Seele im Landratsamt", sagt er. Das kennt er gut, schließlich sitzt der Vater von vier Kindern seit zwölf Jahren im Kreistag. Von seiner Schule in Faulbach, wo er sechs Jahre Rektor war, hat sich Scherf vor den Osterferien verabschiedet. Für Wehmut war da schon keine Zeit mehr, zu hektisch begann das neue Leben nach der Wahl.

45 Leute hatte Scherf bisher unter sich, demnächst sind es 460. Vor der Verantwortung hat Scherf Respekt. "Aber ich bin Rektor auch ohne Ausbildung geworden", sagt er, die Personalführung habe ihm damals niemand beigebracht. Wird schon, soll das heißen. Jetzt ist er jeden Tag im Landratsamt, mit den Führungskräften hat er schon gesprochen, bald will er sich der ganzen Belegschaft vorstellen. Nebenbei laufen die Gespräche im Kreistag.

Viel Diskussionsbedarf

Dort hat Jens Marco Scherf keine Mehrheit. Grüne, SPD und ÖDP hatten ihn aufgestellt, die FDP unterstützt ihn ebenfalls. Mit den größten Fraktionen von CSU und Freien Wählern ist er noch im Gespräch. Eine wird den stellvertretenden Landrat stellen und das wird ihm die Mehrheit bei der Wahl garantieren. Doch auch dann will er möglichst viel im Konsens erreichen. Als erstes will er regelmäßige Treffen der Fraktionsvorsitzenden einführen.

Auch Wolfgang Rzehak will nicht als grüner Revolutionär in Miesbach alles über den Haufen werfen. Obwohl schon einiges anders werden soll. Nicht jeden neuen Gewerbestandort will er durchwinken, der Umgang mit der Natur an Tegernsee oder Schliersee soll "sensibler" werden. "Man muss auch mal Alternativen schmackhaft machen", sagt Rzehak. Er weiß, dass er Mehrheiten im Kreistag suchen und dafür Kompromisse schließen muss. Deshalb bereitet er Naturschützer und seine eigene Partei auf manche "Sachentscheidung" vor, die ihnen nicht schmecken wird.

Seit knapp zwei Wochen läuft sein Aufwärmprogramm. Jeden Vormittag fährt der gelernte Verwaltungswirt ins Landratsamt, lernt Mitarbeiter kennen, vereinbart Termine. Manche sagen jetzt schon "Herr Landrat" zu ihm. Aber Titel, da unterscheidet er sich von seinem Vorgänger, sind für ihn nicht so wichtig. "Wer vorher schon Beppo oder Wolfgang gesagt hat, der soll das auch weiter tun." Er wolle ein Brückenbauer sein, die Schulden von derzeit 134 Millionen Euro verringern und die Wirtschaft weiter fördern. Die Familie mit seinen zwei kleinen Töchtern sei ihm so wichtig, dass er für sie schon mal eine Jahreshauptversammlung ausfallen lassen werde, sagt er. Viele in der CSU schätzen ihn als wertkonservativen Realo. So mancher Wähler hält ihn für die personifizierte schwarz-grüne Koalition. Der Trachtenanzug jedenfalls, den er sich zum Amtsantritt selbst schenkt, wird nicht sein erster sein.

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