Glaubensgemeinschaft "Zwölf Stämme":Prügelnde Mütter zu Bewährungsstrafen verurteilt

Prozess gegen Eltern Zwölf Stämme

Vor dem Gerichtsgebäude in Nördlingen verbreitete die Sekte ihre Propagandaschriften.

(Foto: Stefan Puchner)
  • Das Amtsgericht Nördlingen verurteilte eine Frau der Glaubensgemeinschaft "Zwölf Stämme" wegen gefährlicher Körperverletzung zu neun Monaten Haft auf Bewährung und 180 Sozialstunden.
  • Eine zweite Frau der Glaubensgemeinschaft wurde zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt.
  • Die "Zwölf Stämme" machen keinen Hehl daraus, dass sie ihre Kinder regelmäßig "disziplinieren". Sie berufen sich dabei auf Bibelzitate.

Von Anne Kostrzewa, Nördlingen

Die Hiebe hallen aus dem Lautsprecher. Der Ton ist übersteuert, jeder Knall dröhnt blechern durch den Gerichtssaal E. Es ist Dienstagmorgen, in wenigen Stunden wird der Vorsitzende Richter am Amtsgericht Nördlingen das erste Urteil fällen im Strafverfahren gegen ein Mitglied der urchristlichen Glaubensgemeinschaft "Zwölf Stämme". In den Videosequenzen, die auf zwei Computerbildschirmen im Gerichtssaal übertragen werden, sind zwei kleine Buben zu sehen.

Das laute Knallen sind die Hiebe, die sie mit einer Weidenrute auf den Po bekommen, von ihrer eigenen Mutter. Antje P. sitzt an diesem Morgen auf der Anklagebank. Zu den Vorwürfen äußern will sie sich nicht. Dass sie ihre Kinder liebe, sagt sie im Eingangsplädoyer, und ihnen "auch Grenzen" setze, "damit sie vor Unfällen und Gefahren geschützt werden." Dann schweigt sie.

Nach zwei Stunden verurteilt das Gericht sie wegen gefährlicher Körperverletzung zu neun Monaten Haft auf Bewährung und 180 Sozialstunden.

Antje P. gehört zur Glaubensgemeinschaft der "Zwölf Stämme", die in den Siebziger Jahren in den USA entstand. Rund 2000 Mitglieder hat die urchristliche, bibeltreue Gemeinschaft weltweit. Etwa 100 von ihnen leben auf einem Gutshof im Deininger Ortsteil Klosterzimmern (Kreis Donau-Ries).

Aussteiger bestätigten Gerüchte über Misshandlungen

Auch Antje P. lebt dort mit ihrer Familie. Die "Zwölf Stämme" machen keinen Hehl daraus, dass sie ihre Kinder regelmäßig "disziplinieren", wie sie es nennen. Sie berufen sich dabei auf Bibelzitate - und darauf, dass ihren Kindern diese Erziehungsmethoden nicht schadeten.

Die deutschen Gesetze sehen das anders. In einem zweiten Verfahren wurde am Dienstag eine weitere Mutter der "Zwölf Stämme" ebenfalls wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt, sechs Monate auf Bewährung. Schon länger hatte es Gerüchte über Misshandlungen und Schläge mit Weidenruten bei den "Zwölf Stämmen" gegeben, Aussteiger hatten diese Annahmen bestätigt. Weil es aber keine handfesten Beweise gab, hatte das Jugendamt keine Rechtsgrundlage zum Eingriff.

Das änderte sich im August 2013. Wolfram Kuhnigk, ein Reporter des Fernsehsenders RTL, hatte auf dem Gutshof in Klosterzimmern mit versteckten Kameras gefilmt. Seine Videos belegten in aller Deutlichkeit das lange Vermutete: Bei den "Zwölf Stämmen" werden Kinder mit Hieben auf das Gesäß bestraft.

Wie das Jugendamt reagierte

Das Jugendamt griff ein. Auf Anordnung der Amtsgerichte Ansbach und Donau-Ries wurden am 5. September 2013 schließlich 40 Kinder aus ihren Familien genommen. Hundert Polizisten standen im Morgengrauen bei den Familien in Klosterzimmer vor der Tür. Sie nahmen die Kinder mit und entzogen den Eltern das Sorgerecht. Noch heute, 16 Monate später, dürfen viele Eltern ihre Kinder nur unter Aufsicht besuchen, einmal wöchentlich, oder, wie im Fall von Antje P., sogar nur alle drei Wochen.

Dieser Zustand sei die "tatsächliche Misshandlung" an ihren Kindern, sagen Mitglieder der "Zwölf Stämme". Sie haben vor dem Gerichtsgebäude einen Pavillon aufgebaut und Infomaterial ausgelegt. Auch Untersuchungsergebnisse des Gesundheitsamts aus dem Jahr 2012 haben sie dabei: Es gebe keine Hinweise auf Misshandlungen, heißt es darin, weder physische noch psychische. "Die Eltern-Kind-Beziehung war jeweils intakt."

"Zwölf Stämme" sprechen von Entführung ihrer Kinder

Auf einem wetterfesten Plakat zeigen sie die Kinder, die am 5. September 2013 abgeholt wurden. "Sie wurden entführt", sagt ein Vater. Sein Sohn leide in dem Jugendheim, in dem er nun untergebracht sei. "Mein Kind hat nicht nur das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung, sondern auch auf Privatsphäre, das Postgeheimnis und auf seine Familie." All das gebe es im Jugendheim nicht, erzählt der Vater. "Ebenso wenig wie das Recht auf freie Religionsausübung."

Das sieht auch Annette S. so. Sie räumt rein, dass auch sie ihre sechs Kinder "diszipliniert" habe, als diese klein waren. "Viele mögen unsere Erziehungsmethoden nicht verstehen", sagt sie. "Aber die Früchte dieser Erziehung sind doch für jeden zu sehen." Sie habe ein gutes Verhältnis zu ihren Kindern, alle sechs seien "vernünftige, verantwortungsvolle junge Menschen" geworden.

"Er wollte unbedingt zurück zu uns"

S.'s jüngster Sohn H. war 13, als das Jugendamt ihn aus der Familie holte. Dreimal floh der Junge aus dem Jugendheim und kam zurück nach Klosterzimmern. Schließlich entschied das Gericht, dass H. bleiben darf. "Er wollte unbedingt zurück zu uns", sagt sein großer Bruder Z.. "Das zeigt doch, dass wir glücklich sind, so wie wir leben." Er habe die Hiebe als Kind gebraucht, sagt Z. "Sie haben mir meine Grenzen aufgezeigt." So habe er gelernt, seinen Eltern zu "gefallen". Mit Gewalt habe das nichts zu tun.

Genau da liegt die Crux im Fall der "Zwölf Stämme": Was sie als private Entscheidung zu bestimmten Erziehungsmethoden und "Ausdruck von Liebe" verstehen, ist eine Straftat. Das spielte auch bei der Entscheidung des Richters eine Rolle, die Videos des RTL-Reporters in der Verhandlung als Beweismittel zuzulassen. Das war nicht unumstritten. Die Aufnahmen wurden das Wissen und ohne die Einwilligung der darauf Abgebildeten gemacht.

Antje P.s Verteidiger beruft sich auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, wonach derartig verdeckt beschaffte Aufnahmen nicht als Beweismittel verwendet werden dürfen. Er plädiert auf Freispruch. Der Vorsitzende Richter folgt jedoch der Staatsanwaltschaft, wonach die Aufnahmen im Einzelfall verwendet werden dürfen, wenn sie - wie im Fall der "Zwölf Stämme" - "ganz eindeutig eine erhebliche Straftat zeigen" und damit der effektiven Strafverfolgung dienen.

Als strafmindernd wird Antje P. angerechnet, dass sie nicht vorbestraft ist und die Vorwürfe gegen sich nicht abstreitet. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

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