Gewerbe:Warum keiner nach Augsburg will, aber alle nach Graben

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Andreas Scharf ist Bürgermeister von Graben im Landkreis Augsburg. Logistikunternehmen mit Tausenden Mitarbeitern bescheren der Gemeinde üppige Steuereinnahmen. (Foto: Johannes Simon)

Amazon ist seit Jahren da, nun baut auch Hermes ein Logistikzentrum. Wie wurde die kleine Gemeinde im Lechfeld so beliebt?

Von Christian Rost, Graben

Die Bundesstraße 17 zieht sich reizlos von Landsberg am Lech nach Augsburg dahin. Gelegentlich tauchen Lärmschutzwände auf, um Orte wie Klosterlechfeld oder Lagerlechfeld vor dem tosenden Verkehr auf der autobahnähnlich ausgebauten Straße zu schützen. Das Lechfeld ist eine Schotterebene, auf der während der Ungarn-Einfälle im Jahr 955 die entscheidende Schlacht geschlagen wurde.

Weil die Gegend brettlflach ist und zunächst nichts das Auge stört, fallen die riesigen Lagerhallen besonders auf. Es handelt sich um die westlich der B 17 errichteten Logistikzentren von Amazon, DHL und Lidl. Allesamt stehen sie auf dem Gebiet der mit 3500 Einwohnern relativ kleinen Gemeinde Graben im Kreis Augsburg.

Jetzt kommt ein weiteres Riesenlager für den Logistiker Hermes dazu. Graben hat damit sein 60 Hektar großes Gewerbeareal beinahe ausgereizt. Die Stadt Augsburg kann nur neidisch zusehen, wie sich ein Gewerbesteuerzahler nach dem anderen in Graben ansiedelt. Der dortige Bürgermeister Andreas Scharf meint dazu nur: "Im Lechfeld nagt niemand am Hungertuch."

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In Augsburg, das bald 300 000 Einwohner zählt, hört sich das ein wenig anders an. Oberbürgermeister Kurt Gribl hat gerade den Doppelhaushalt für dieses und nächstes Jahr durch den Stadtrat gebracht. Das Volumen: je rund eine Milliarde Euro. Trotz der gewaltigen Summen bleibt der Stadt "nur ein überschaubarer Betrag als Verfügungsmasse" übrig, wie Gribl sagt. Und die zweite Bürgermeisterin Eva Weber, zuständig für die Finanzen der Stadt, ergänzt: "Die Stadt ist nicht auf Rosen gebettet."

Obwohl sich die bayerische Staatsregierung mit Zuschüssen - zum Beispiel zur Theatersanierung - deutlich großzügiger zeigt, seit in Augsburg mit Gribl ein CSU-Mann im Rathaus sitzt, könnte die Fuggerstadt noch gut den einen oder anderen Gewerbesteuerzahler vertragen. Der Roboterbauer Kuka, unlängst an chinesische Investoren verkauft, zählt zu den wichtigsten Unternehmen vor Ort. Amazon hatte man heftig umworben. Doch das Unternehmen bevorzugte Graben, wo das einst so mächtige Kaufmannsgeschlecht der Fugger seine Wurzeln hat.

"Wir sind praktisch schuldenfrei"

1367 war der Webermeister Hans Fugger von dem Weiler ins 20 Kilometer weiter nördlich gelegene Augsburg gezogen und hatte damit den Grundstein für das spätere Imperium gelegt. Heute wird das Geld im Lechfeld verdient. Rechnet man die Mitarbeiter von Hermes ein, werden bald 2500 Menschen im Grabener Gewerbegebiet arbeiten. 40 Millionen Euro investiert das Unternehmen in seine neue Niederlassung. Weil es sich bei 80 Prozent der Jobs im Logistikgewerbe um solche für gering Qualifizierte handelt, profitiert diese Schicht besonders vom Ansiedlungsboom. Die Sozialkassen werden dadurch jährlich um etwa eine Million Euro entlastet. Im Landkreis Augsburg herrscht quasi Vollbeschäftigung.

Bücher über Bücher im Amazon-Logistikzentrum im Gewerbegebiet der Gemeinde Graben. (Foto: Johannes Simon)

Natürlich hat auch die Gemeinde etwas davon. Ohne die Unternehmen hätte sie sich eine 3,3 Millionen Euro teure Turnhalle nicht leisten können, ebenso wenig die Bücherei, die auch als Kulturzentrum genutzt wird. Bürgermeister Scharf sieht aber auch die Nachteile, wenn eine Kommune erfolgreich Firmen ansiedelt. Andere halten die Hand auf: "Wenn wir 3,6 Millionen Euro im Jahr an Gewerbesteuer einnehmen, müssen wir die Hälfte als Umlage an den Kreis überweisen", berichtet er. Umgekehrt bekomme die Gemeinde weniger Zuschüsse, weil sie selbst Überschüsse erwirtschafte. "Unterm Strich", sagt er, "sind wir aber auf einem guten Weg. Wir sind praktisch schuldenfrei."

Weitsicht hat Scharfs Vorgänger im Amt bewiesen, als er die heutige Gewerbefläche in den Flächennutzungsplan aufnehmen ließ, obwohl die B 17 noch gar nicht fertiggestellt war. Er wollte große Firmen anlocken. "Damals war die Nachfrage nach Flächen aber noch relativ gering", weiß Scharf. Ende 2009 rollte dann der Verkehr vierspurig zwischen Augsburg und der A 8 im Norden und Landsberg und der A 96 im Süden.

Mit dem Verkehr kamen auch die Logistiker. Der erste war Amazon. Der Versandhändler erkundigte sich in Graben zunächst mit einer anonymen Anfrage nach Gewerbeflächen und favorisierte eigentlich einen Standort in Augsburg. Die kleine Gemeinde im Süden konnte aber mehr bieten: Eine baureife Ödnis, auf der man nur eine 30 Zentimeter dicke Erdschicht beiseite schieben musste, um mit dem Arbeiten beginnen zu können. Dank Schotterebene muss in dieser Gegend nicht tief gegraben werden, um auf standfesten Grund zu kommen.

Als weiteren Vorteil bot die Gemeinde einen mit 325 Prozentpunkten deutlich geringeren Gewerbesteuerhebesatz als Augsburg mit derzeit 470 Prozentpunkten. Und schließlich waren auch die niedrigenden Grundstückspreise in Graben ein Grund dafür, dass sich das riesige Gewerbegebiet rasch füllte. Von den einst unbebauten 60 Hektar sind nur noch etwa vier frei.

© SZ vom 27.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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