Gesundheit:Landkreis Altötting lässt Gift im Blut aufspüren

Chemiepark Gendorf Alz Fische Gift PFOA

Im Jahr 2006 machten die Aktivisten von Greenpeace die PFOA-Problematik mit einer Aktion in der Alz erstmals zum Thema.

(Foto: DPA)
  • Das Landratsamt Altötting will herausfinden, ob die Menschen in der Region überdurchschnittlich mit einer womöglich krebserregenden Chemikalie belastet sind.
  • Je 150 Freiwillige aus fünf Gemeinden im Landkreis sollen über mehrere Jahre Blutproben abgeben, die auf Perfluoroctansäure untersucht werden.
  • Hintergrund sind Blutproben von Menschen in der Gemeinde Emmerting, bei denen im Herbst 2016 bis zu 20-fach erhöhte PFOA-Werte gemessen wurden.

Von Matthias Köpf, Altötting

Das Gift ist überall. Es reichert sich im Fleisch der Wildschweine an, die im belasteten Boden wühlen, und es konzentriert sich im Fett der Aale aus der Alz. Es ist gelöst im Trinkwasser für mehr als 40 000 Anwohner - und es wird sich wohl im Blut vieler Menschen finden, die zwischen Altötting, Burghausen und Garching im Gebiet rund um den Chemiepark Gendorf leben. Eine Untersuchung von gut zwei Dutzend anonymisierten Blutspenden aus dem kleinen Ort Emmerting hat vor einem Jahr eine Belastung mit Perfluoroctansäure (PFOA) weit über dem Wert ergeben, der offiziell als unbedenklich gilt. Die eher unauffällig publizierte Studie des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) hat erst in diesem November weitere Kreise gezogen. Nun wollen die Behörden nach einigem Zögern doch mit systematischen Blutuntersuchungen in der Region beginnen.

Jeweils 150 Freiwillige aus fünf verschiedenen Gebieten mit unterschiedlichen Wasserversorgern sollen sich dazu im Altöttinger Gesundheitsamt Blut abnehmen lassen - einmal möglichst bald und dann wieder in einigen Jahren, um einen Verlauf dokumentieren zu können. Die Experten im Gesundheitsamt und im LGL haben keinen Zweifel, dass sie im Blut der Menschen auf Spuren der mutmaßlich krebserregenden PFOA stoßen werden, so wie es vor einem Jahr schon bei den Blutspendern aus Emmerting der Fall war.

Gerade weil sie da so sicher sind, hatten sie eine Untersuchung, wie sie in den vergangenen Wochen von vielen Seiten gefordert worden war, bislang als überflüssig abgelehnt. Denn der Stoff, der aus mittlerweile veränderten Herstellungsprozessen im Chemiepark Gendorf stammt, baut sich in der Umwelt praktisch nicht ab, sondern reichert sich an, auch im Blut der Menschen.

Eine medizinische Gegenmaßnahme gebe es nicht, es könne und müsse aber verhindert werden, dass die Menschen noch mehr PFOA aufnehmen. Dies aber geschehe ohnehin auch ohne flächendeckende Bluttests, hieß es aus dem Gesundheitsamt. Doch am Montagabend vollzogen die Behörden vor dem Altöttinger Kreistag eine Kehrtwende und kündigten die Untersuchungen an, die viele Bürger auf zwei Bürgerversammlungen und auch viele Grünen- und SPD-Politiker gefordert hatten. Der Umweltausschuss des Landtags verlangte einstimmig einen Bericht von der Staatsregierung.

Ein Beschluss zu den Tests fiel im Altöttinger Kreistag nicht, denn das Gremium war nach mehr als fünfstündiger Sitzung rein zahlenmäßig nicht mehr beschlussfähig. Dennoch werde es die Tests geben, versicherte das Landratsamt. Die Kosten übernehme der Freistaat. Selbst sieht sich das Amt nicht in der Pflicht, da die Wasserversorgung nicht seine Aufgabe sei.

Die zuständigen Gemeinden stellen sich auf den Standpunkt, rein rechtlich stets einwandfreies Wasser geliefert zu haben. Denn für PFOA im Trinkwasser gibt es - ebenso wie für die Konzentration des Stoffs im Blut - keinen Grenzwert. Definiert sind in beiden Fällen lediglich untere Werte, die als unbedenklich gelten. Den Richtwert für das Trinkwasser hat das Umweltbundesamt 2016 herabgesetzt, worauf in der Region mehrere Brunnen stillgelegt wurden. Das Wasser kam bis zum Einbau von Aktivkohlefiltern, die gegen PFOA sehr gut wirken, aus Nachbargemeinden. Nur in Burgkirchen und Kastl kommt wohl noch bis Mitte 2018 ungefiltertes Wasser aus dem Hahn. Die Baugenehmigungen für die Filter hat das Landratsamt nun in aller Eile erteilt.

Von 2020 wird PFOA komplett verboten

Für Kritiker wie die Fraktionssprecherin der Grünen im Kreistag, Monika Pfriender, haben es Landrat Erwin Schneider (CSU) und die Behörden viel zu lang an Transparenz und Entschlossenheit mangeln lassen. So hat das Umweltbundesamt den Richtwert für das Trinkwasser zwar erst 2016 gesenkt. Den neuen, niedrigeren Wert hatte es aber schon 2006 als Ziel ausgegeben. Darauf habe Greenpeace das Landratsamt bereits 2009 hingewiesen.

Die Umweltaktivisten hatten PFOA bereits 2006 zum Thema gemacht, indem sie belastetes Wasser aus der Alz zurück auf das Gendorfer Werksgelände pumpten. Der 1947 vom US-Konzern 3M entwickelte Stoff wurde in Gendorf von 1968 bis 2003 hergestellt und noch bis 2008 für Beschichtungen etwa von Funktionskleidung verwendet. Dies sei stets rechtmäßig gewesen, betont der Chemiepark. Er hat dennoch eine Studie bezahlt, wonach die PFOA-Belastung des Trinkwassers weiter steigen, etwa 2030 ein Maximum erreichen und erst von 2050 an deutlich sinken wird.

Die EU verbietet PFOA von 2020 an komplett. In den USA wurde schon 2002 mit dem Einbau von Filtern bei betroffenen Brunnen begonnen. 3M stoppte dort die Produktion früher als bei seiner Gendorfer Tochter Dyneon. Vom konkurrierenden Hersteller DuPont erstritt der Anwalt Robert Bilott hohen Schadenersatz für Tausende Anwohner. Bilott erhielt dafür im September den Alternativen Nobelpreis.

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