Geschichte:Auf den Spuren der Pester Jungs

Sehnsucht nach Freiheit / Ein Film von Leslie Mandoki
(Foto: Red Rock Production)

Den aus Budapest stammenden Musiker und Produzenten Leslie Mandoki beschäftigt das Thema Freiheit sein Leben lang. In einem Film erinnert er nun an den Volksaufstand in Ungarn vor 60 Jahren und dessen Folgen

Von Hans Kratzer

Hunderttausende Flüchtlinge müssen in die Gesellschaft integriert werden. Angesichts dieser gewaltigen Herausforderung ist die Biografie des Leslie Mandoki ein gutes Mittel gegen Verzagtheit. Der Musiker und Musikproduzent, einst bekannt geworden als Mitglied der Band Dschingis Khan, ist so etwas wie ein Vorzeige-Flüchtling. Er kam vor 40 Jahren aus Ungarn nach Deutschland. Durch einen Tunnel gelang ihm damals die Flucht, statt kommunistischer Unterdrückung suchte er im Westen Freiheit und künstlerische Selbstverwirklichung, auch wenn er zunächst die deutsche Sprache nicht beherrschte. Solche Probleme nahm er aber gerne in Kauf, denn der Freiheitsgedanke prägte ihn von klein auf, ausgehend vom Volksaufstand in Ungarn vor 60 Jahren. "Am 23. Oktober 1956 erlebte ich in Budapest als knapp Vierjähriger auf den Schultern meines Vaters, wie die mutigen Pester Jungs die Stalin-Statue absägten, getrieben von ihrer Sehnsucht nach Freiheit", erinnert sich Mandoki.

Das Thema Freiheit hat ihn sein ganzes Leben lang beschäftigt. Deshalb begab er sich vor einiger Zeit mit seinem Sohn auf die Spuren der Großväter. Sie suchten Antworten auf die Frage, was es 1956 für die jungen Aufständischen bedeutet haben muss, ihr Leben für die Freiheit zu opfern. Auf dieser Reise trafen sie viele Zeitzeugen, sie sprachen mit Politikern und Journalisten über den damaligen Volksaufstand. Und sie fragten nach, wie jener Freiheitsdrang der Pester Jungs jungen Menschen von heute zu vermitteln sei.

Ausgehend von diesen Eindrücken und Begegnungen, hat Mandoki nun zum 60. Jahrestag des Ungarischen Volksaufstands einen sehenswerten Film gedreht. Er spannt einen historischen Bogen von 1956 über 1989 bis heute und geht vor allem dem Urbedürfnis nach einem Leben in Freiheit nach. Darüber hinaus erinnert er daran, wie sehr Ungarn und Deutsche, deren Verhältnis wegen der divergierenden Flüchtlingspolitik belastet ist, historisch miteinander verwoben sind. "Die beiden Völker haben tausend Jahre lang keinen Krieg gegeneinander geführt", sagt Mandoki, "das ist in Europa einzigartig."

Als Deutscher sei er "unendlich dankbar für den wunderbaren historischen Moment, als 1989 die Berliner Mauer fiel", fährt Mandoki fort. "Als gebürtiger Budapester bin ich aber stolz, dass es die Ungarn waren, die 1989 den schrecklichen Eisernen Vorhang zerrissen und damit den ersten Stein aus der Berliner Mauer geschlagen haben." Die Öffnung des Eisernen Vorhangs habe vollendet, was die ungarischen Studenten 1956 begonnen hatten. "Als die Bilder von der ungarischen Grenzöffnung mit den glücklichen DDR-Flüchtlingen um die Welt gingen, war die Saat der mutigen Pester Jungs endgültig aufgegangen", sagt Mandoki. "Die Freiheitskämpfer von Budapest sind die wahren Helden der europäischen Wiedervereinigung, denn ohne 1956 hätte es kein 1989 gegeben", davon ist Mandoki überzeugt.

Seine ungarische Heimat lässt ihn nicht los, auch wenn der Produzent, der unter anderem Weltstars wie Lionel Richie und Phil Collins betreut hat, seinen Lebensmittelpunkt längst am Starnberger See hat. Gleichwohl ist Deutschland für ihn das lebenswerteste Land der Welt. Schon weil er als Migrant herzlich aufgenommen worden sei, in einer Zeit, in der es den Terminus Willkommenskultur noch nicht gegeben habe. Sein größter Wunsch: "Deutschland muss ein tolerantes, offenes Land bleiben. Ich teile hier die Meinung der Bundeskanzlerin Angela Merkel hundertprozentig." Umso wichtiger sei es, die jetzigen Flüchtlinge an die Hand zu nehmen und ihnen die Werte dieses Landes zu vermitteln. "Meine Vision ist eine bunte Republik, etwas, was in München bereits sehr gut gelingt." Allerdings gebe es auch eine Bringschuld der Einwanderer. "Goethe, Schiller und Bach entdeckt man nicht, wenn man sich in einer Parallelgesellschaft versteckt."

Mandoki ist ein politischer Kopf. 2013 hatte er sogar für den bayerischen Landtag kandidiert. Überdies ist er so gut vernetzt, dass er für seinen Film Persönlichkeiten der Zeitgeschichte wie Michail Gorbatschow und Horst Teltschik befragen konnte, ebenso Politiker wie Gregor Gysi, Edmund Stoiber und Sigmar Gabriel. Die Künstlerkollegen Peter Maffay und Till Brönner kommen zu Wort, dazu der erfolgreichste ungarische Filmproduzent in Hollywood, Andrew Vajna. Zeitzeugen rufen im Film die dramatischen Erlebnisse von 1956 eindringlich ins Gedächtnis.

Mandoki gilt auch als Freund des ungarischen Ministerpräsidenten Victor Orbán, was ihm wegen dessen Flüchtlingspolitik nicht nur Sympathien einbringt. Man müsse immer miteinander reden, lautet Mandokis Credo, man müsse in der jetzigen Situation aber auch die geschichtliche Entwicklung Ungarns berücksichtigen. Das Land habe eine 180 Jahre währende türkische Besatzung erlebt, in jedem Volksmärchen sei von dieser Unterdrückung die Rede. "Deutschland hat die Diktatur 70 Jahre hinter sich, Ungarn erst 27 Jahre. Der Findungsprozess ist dort noch lange nicht abgeschlossen." Die Sehnsucht nach Freiheit sei geblieben, mit dieser Botschaft zielt Mandokis Film mitten hinein in die Komfortzone des heutigen Europas, in dem vieles als selbstverständlich erachtet wird.

"Sehnsucht nach Freiheit", TV-Dokumentation zum 60. Jahrestag des Ungarischen Volksaufstands, "Kabel eins Doku", Samstag, 21.55 Uhr.

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