Gerüchte über Flüchtlinge:Das Märchen von der Panzerfaust

Flüchtlinge in Passau

Flüchtlinge in Passau: In Deutschland gebe es einen "alltäglichen Faschismus", sagt Gerüchteforscher Joachim Westerbarkey.

(Foto: dpa)

Über Asylbewerber in Bayern sind viele Unwahrheiten im Umlauf, die Polizei setzt dagegen auf Fakten. Doch im Klima der Angst dringt sie nur schwer durch.

Von Lisa Schnell

Sie sollen Kinder zu Dönern verarbeiten, ihre Einkäufe zahlt Kanzlerin Angela Merkel angeblich höchstpersönlich und am warmen Winter sind sie auch noch Schuld. Schließlich sind es ja richtig viele, diese Flüchtlinge, und viele Menschen bedeuten viel Wärme. Ist ja logisch. Was in den sozialen Medien über Asylbewerber verbreitet wird, ist manchmal schon fast lustig, wenn es nicht so ernst wäre.

Denn die meisten Falschmeldungen, die derzeit auch in Bayern kursieren, sind schwere Anschuldigungen - wie die eines jungen Mannes aus dem Landkreis Traunstein: "Am 11.01.2016 wurde in einer Traunsteiner Unterführung ein Mädchen vergewaltigt! Und zwar von Asylanten/Flüchtlingen!", schrieb er auf seiner Facebook-Seite und weiter: "Diese Information stammt aus einer sicheren Quelle." Die suchte die Polizei zwei Tage lang, fragte sich von einem zum anderen. Jeder war felsenfest überzeugt, die Wahrheit zu erzählen, schließlich gab es ja diese sichere Quelle - irgendwo. Die Polizei fand sie nicht, dafür aber den Anfang der Flüsterpost. An Silvester hatte ein Afghane in Traunreut eine 17-Jährige betatscht. Am Ende wurde aus einer Grabscherei eine Vergewaltigung, aus einem Verbrechen wurden zwei.

Richtigstellungen kommen oft zu spät oder werden nicht wahrgenommen

So wispert und tuschelt es an etlichen Ecken in Bayern. Auch in Weilheim und Grünwald geisterten ähnliche Schreckensgeschichten über Asylbewerber durch das Netz, auch sie: Falschmeldungen. Sie werden von Hunderten geteilt, verbreiten sich wie ein Lauffeuer. Richtigstellungen der Polizei kommen oft zu spät oder werden nicht wahrgenommen. So trieb das Gerücht, ein russlanddeutsches Mädchen aus Berlin sei von Flüchtlingen vergewaltigt worden, auch in Bayern noch Hunderte auf die Straße, obwohl sich die Meldung schon als falsch herausgestellt hatte.

Für einige scheint das Wort der Polizei selbst in Bayern nicht mehr zu gelten. Ein Teufelskreis, denn um Gerüchten Einhalt zu bieten, brauche es Vertrauen in den Staat, sagt Kommunikationswissenschaftler Joachim Westerbarkey, der an der Universität Münster seit Jahren zu Gerüchten forscht.

Ihn verwundert nicht, dass die Gerüchteküche gerade überkocht. "Es kommt gerade alles zusammen", sagt er. Das Misstrauen gegenüber Politik und Medien, Interessengruppen von rechts und links, die bewusst Gerüchte streuen, und eine diffuse Verunsicherung. Steht dann wirklich etwas über kriminelle Zuwanderer in der Zeitung, ist man noch eher geneigt, auch der nächsten Falschmeldung zu glauben.

Andre Wolf vom österreichischen Verein Mimikama überprüft Aussagen im Internet auf ihre Richtigkeit und kennt die Konjunktur der Falschmeldungen. Bis November 2015 ging das Märchen um, überall, wo Müll war, müssten auch Flüchtlinge gewesen sein. Beliebt auch die Behauptung, sie würden Supermärkte plündern oder auf Kosten der Landratsämter in den Puff gehen. Nach den Anschlägen von Paris im November waren dann "alle Terroristen", sagt Wolf. In Schweinfurt etwa flüsterte man sich fälschlicherweise zu, die Polizei hätte in einer Erstaufnahmeeinrichtung eine Panzerfaust entdeckt. Und jetzt, nach der Silvesternacht von Köln, sind es eben vermehrt Falschmeldungen über sexuelle Belästigungen. Nur: Was tun?

Ein Rechtsanwalt hat Facebook angezeigt

Eigentlich ist die Aufstachelung zum Hass gegen eine Bevölkerungsgruppe strafbar, sagt Rechtsanwalt Chan-jo Jun aus Würzburg. Nur: Es mangele an der Durchsetzung. So gebe es bei Volksverhetzung keine starke Lobby, die ein Interesse daran hätte, hetzerische Kommentare aufzuspüren und strafrechtlich zu verfolgen. "Wer im Internet gegen Ausländer hetzt, rechnet nicht damit, dass er angezeigt wird", sagt Jun. Deshalb hat er Facebook angezeigt, die Quelle vieler Gerüchte. Hat Jun Erfolg, wäre der Konzern verpflichtet, hetzerische Kommentare sofort zu löschen.

Nur, aus den Köpfen ist das Märchen vom bösen schwarzen Mann deshalb auch nicht. In Deutschland gebe es einen "alltäglichen Faschismus", sagt Gerüchteforscher Westerbarkey. Viele tendierten dazu, den Fremden alles Üble in die Schuhe zu schieben. Dieser Angst objektive Argumente entgegenzusetzen, sei schwer. Die Sensationslust einiger Medien würde nicht gerade eine ausgewogene Diskussion befördern. Auch die ständigen Umfragen, ob die Menschen denn nun Angst haben, tragen in Westerbarkeys Augen nicht dazu bei, ihnen diese zu nehmen.

Ihm fällt dann aber doch noch etwas ein: "Mehr Transparenz". Statt sich als unerschrockene Ordnungshüter zu geben, sollten Politiker Probleme ehrlich benennen. Genau das ist auch die Strategie des bayerischen Innenministeriums. Dort setzt man auf eine "realistische Darstellung der Kriminalitätsbelastung von Zuwanderern". Zwar gebe es noch keine offiziellen Zahlen für 2015. Erste Trends deuten darauf hin, dass die durch Zuwanderer verübten Straftaten gestiegen sein dürften.

Allerdings hat in den vergangenen Monaten auch der Anteil von Zuwanderern in Bayern enorm zugenommen. Das Ministerium geht deshalb davon aus, "dass Migranten grundsätzlich nicht krimineller sind als andere Bevölkerungsgruppen".

Nicht verharmlosen, nicht zündeln: Ein ewiger Balanceakt

Die Erfahrung hat auch Andreas Guske vom Polizeipräsidium Oberbayern Süd gemacht. Auch er bekommt die Verunsicherung der Leute zu spüren und will klarstellen: "Wir halten mit nichts hinter dem Berg." Es ist ein Balanceakt: nicht verharmlosen, aber auch nicht zündeln. Also erzählt er, dass es auch Probleme gibt.

Manche Asylbewerber ließen sich von weiblichen Beamten nichts sagen. In den Unterkünften häufen sich die Einsätze. Es sind Konflikte zwischen Nationen und Religionen oder einfach nur zwischen zwei Menschen, die sich um ein Handy streiten. Auf so engem Raum könne das schnell eskalieren. Es gab Körperverletzungen, versuchte Tötungsdelikte, oft müssen sie mit mehreren Streifenwagen anrücken. Aber: "Bayern ist das sicherste Bundesland."

Allerdings braucht es für die Einsätze sehr viel Personal. Auch deswegen warnt Guske davor, Gerüchte zu verbreiten. Ihnen nachzugehen, sei für die Polizei ein "Mordsaufwand". So stehlen ausgerechnet Ermittlungen zu Gerüchten über angeblich kriminelle Flüchtlinge den Beamten die Zeit. Obwohl die gerade wirklich genug zu tun haben - mit den realen Herausforderungen der Flüchtlingskrise.

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