Geothermie statt Heizöl:Tomaten aus Oberbayern, mitten im Winter und trotzdem CO₂-frei

Geothermie statt Heizöl: Auf knapp 20 Hektar Fläche lässt Josef Steiner unter anderem Tomaten wachsen. Der Chef des Gartenbaubetriebes rechnet vor, dass in einem Kilo Tomaten aus dem Glashaus sonst - rein rechnerisch - ein ganzer Liter Öl stecke.

Auf knapp 20 Hektar Fläche lässt Josef Steiner unter anderem Tomaten wachsen. Der Chef des Gartenbaubetriebes rechnet vor, dass in einem Kilo Tomaten aus dem Glashaus sonst - rein rechnerisch - ein ganzer Liter Öl stecke.

(Foto: Matthias Köpf)
  • Erdwärme gilt in Bayern als nahezu unerschöpfliche Energiequelle.
  • Zwischen Altötting und Traunstein wird sie von Familie Steiner genutzt, um in einem riesigen Gewächshaus Obst und Gemüse anzubauen.
  • Im Unterschied zu Betrieben, die ihre Gewächshäuser mit Millionen Litern Heizöl wärmen, produzieren die Steiners klimafreundlich.

Von Matthias Köpf, Kirchweidach

Bis hierher führt die schmale Straße an mehr als 300 Metern Glashaus entlang, in den gewellten Polycarbonat-Platten spiegelt sich das schneegesprenkelte Braun des brach liegenden Feldes gegenüber. Weiter hinten verliert sich die scheinbar endlose Fassade in einer lang gezogenen Rechtskurve irgendwo hinter sich selbst. Am Eingang überragt ein hoher, aber gedrungen wirkender Tankturm das gläserne Zickzack der Dächer.

Es könnte das Heizöllager sein, denn für Glashäuser dieser Größe, knapp 20 Hektar sind es insgesamt, bräuchte es in diesen Breiten fast acht Millionen Liter Heizöl im Jahr. Schließlich reifen hier im oberbayerischen Alpenvorland gerade Tomaten heran, mitten im Winter blühen die Erdbeeren, erste Paprikaschoten färben sich gelb. Doch in dem Tank ist nur heißes Wasser, er dient als Pufferspeicher für die Heizung der Glashäuser. Die Wärme selbst kommt fast 4000 Meter tief aus der Erde.

Null Liter Heizöl, null Gramm Kohlendioxid, betont Wolfgang Steiner. Man produziere hier komplett CO₂-frei, mehr als 16 Millionen Kilo des Treibhausgases spare man gegenüber ölbeheizten Glashäusern, wie sie in Belgien oder Holland stünden, sagt der 25 Jahre alte Geschäftsführer des familieneigenen Gartenbaubetriebs. Der Senior, Josef Steiner, ist ebenfalls ein routinierter Vermarkter. In einem Kilo Tomaten aus so einem Glashaus stecke sonst ein ganzer Liter Öl, rechnet er vor, und für die Produktion in Spanien werde viel Wasser verbraucht, das dort sehr knapp ist.

Außerdem wären Hunderttausende Lastwagen-Kilometer nötig, um eine entsprechende Menge Tomaten zu importieren. Hier in Kirchweidach im Landkreises Altötting kommt das Gießwasser aus den Regenauffangbecken. Die Wege in die Supermärkte sind kurz, denn die Ernte der Steiners wird nur in Bayern verkauft, in der Regional-Schiene einer großen Lebensmittelkette.

Dass Bayerns mutmaßlich größtes Glashaus ausgerechnet im sanft hügeligen Bauernland zwischen Traunstein und Altötting steht, ist kein Zufall. Josef Steiner, der von kurz hinter der Grenze aus Oberösterreich stammt, hatte sich schon fast entschlossen, sein Glashaus neben die große Müllverbrennungsanlage im nahen Burgkirchen zu bauen, um dort die Abwärme zu nutzen, die ihm der Chemiepark übrig lässt. Aber dann habe er von der Geothermie-Bohrung in Kirchweidach gehört.

Hier kam dann vieles zusammen: Dass sich nach aufwendigen Bohrungen, die zwischenzeitlich fast zu scheitern schienen, im März 2013 doch noch mehr als hundert Liter 120 Grad heißes Wasser pro Sekunde emporpumpen ließen. Dass sich ein paar ehemalige Bauern fanden, die ihren Grund für die Glashäuser hergaben. Und dass die Region keine Tourismus-Gegend ist, in der sich die Leute kaum so ein Glashaus in die Landschaft stellen lassen würden.

Bald soll auch Bio angebaut werden

In Steiners Betrieb arbeiten inzwischen 160 Menschen, die meisten Arbeiter kommen aus Polen und Rumänien und wohnen in der weiteren Umgebung. Trotz minus 13 Grad Außentemperatur an diesem Tag wird im Glashaus wie immer in T-Shirts gearbeitet. Tieffliegende Hummeln bestäuben die Pflanzen, die unter exakt definierten Verhältnissen auf einem Substrat aus Kokosfasern wachsen. Die Technik ist industriell auf dem neuesten Stand, dabei setzen weiterhin die Holländer die Maßstäbe. Die Tomaten für die laufende Winterernte röten sich unter elektrischem Licht. Sie dürfen an der Pflanze ausreifen, und tatsächlich: Sie schmecken süß und nach Tomate. Demnächst wollen die Steiners auch Bio-Ware produzieren, die auf natürlichem Boden wachsen muss. Dazu sollen bald weitere sechs Hektar Glashausfläche auf dem brach liegenden Feld entstehen.

Hinter dem Feld liegt der Bohrplatz, dicke Rohre führen aus dem befestigten Boden in eine grüne Wellblech-Scheune. Ein Kraftwerk zur Stromerzeugung steht hier nicht, zum Bedauern von Marcus Hansen. In seinem Büro im Rathaus, eineinhalb Kilometer Luftlinie vom Bohrplatz entfernt, steht neben der Zimmerpflanze ein gebrauchter Bohrkopf am Boden. Hansen ist Geschäftsleiter im Rathaus und zugleich Geschäftsführer der gemeindeeigenen Kirchweidacher Energie GmbH.

Das Dorf mit seinen 2500 Einwohnern war lange eine große Baustelle, doch inzwischen haben drei Viertel aller Grundstücke einen geothermiegespeisten Fernwärmeanschluss samt Leerrohr für Daten-Glasfaser. Nur die jüngsten Siedlungen hat die Gemeinde bei ihrer 15-Millionen-Investition erst einmal ausgelassen, denn dort sind die Heizungen noch zu neu, als dass die Eigentümer sie schon austauschen wollten.

Für die lukrative Stromerzeugung wäre noch mehr als genug Erdwärme übrig, sagt Marcus Hansen, aber nach einigen Firmenübernahmen muss sich die Gemeinde mit neuen Geschäftspartnern herumschlagen und streitet mit ihnen vor Gericht um Unternehmensanteile und über Lieferverträge. Doch kalt geworden ist es bisher weder den Kirchweidachern noch den Tomaten.

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