Geheimdienst:Job wegen Frau verloren: Früherer BND-Agent klagt vor Bundesgerichtshof

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Beim BND in Pullach hätten sie gern früher erfahren, dass ihr Agent eine Liaison mit einer Lettin hatte. Sie fürchteten eine "Romeofalle". (Foto: Alessandra Schellnegger)
  • Ein Mann arbeitet für den Bundesnachrichtendienst (BND) und wird zum Chef der Dienststelle in Riga befördert.
  • Weil er eine Beziehung mit einer lettischen Frau anfängt, verliert er seinen Job. Der Agent klagt dagegen.
  • Sein Fall beschäftigt seitdem das Bundesverwaltungsgericht, das Münchner Landgericht, das Oberlandesgericht und den Bundesgerichtshof.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Der Fall liest sich wie eine Geschichte aus dem Kalten Krieg. Ein Mann arbeitet für den Bundesnachrichtendienst (BND), er gilt als loyal und zuverlässig, wird zum Chef der Dienststelle in Riga befördert. Chefagent könnte man ihn nennen, in der Diktion der Nachrichtendienste aber heißt das natürlich anders. Da nennt man so was Leiter einer BND-Residentur.

Ein Jahr lang leitet der Mann das BND-Büro in Riga, tadellos. Dann lernt er bei einem Empfang eine Frau kennen, freundet sich mit ihr an und lässt sie später in seine Wohnung einziehen. Er fragt den befreundeten lettischen Verfassungsschutz, ob die Frau aus geheimdienstlichem Blickwinkel unbedenklich sei. Dieser antwortet ihm, dass es da keinerlei Bedenken gebe. Daraufhin meldet der Mann nach Pullach, zum Hauptquartier: Er habe eine lettische Frau kennengelernt und habe sie überprüfen lassen. Alles in Ordnung.

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Jedenfalls anscheinend. Seitdem jedoch hat sich das Bundesverwaltungsgericht mit dem Vorgang befassen müssen, danach auch das Münchner Landgericht und das Oberlandesgericht. Und derzeit liegt der Fall beim Bundesgerichtshof.

Zehn Jahre nach der Anfrage beim lettischen Verfassungsschutz ist im Leben des Mannes nicht mehr viel in Ordnung. Eine Sachverständige hat dem 55-Jährigen eine "in Anbetracht der Umstände" nachvollziehbare depressive Anpassungsstörung samt posttraumatischer Belastungsstörung bescheinigt. Sie ist davon überzeugt, dass der heute bei Nürnberg lebende ehemalige Chefagent krank und dienstunfähig wurde, weil er von seinen Dienstvorgesetzten sehr hart behandelt worden ist.

Nachdem er seinen Vorgesetzen mitteilte, dass er als Erstes die Kollegen vom lettischen Verfassungsschutz angefragt hat, ob mit seiner neuen Partnerin alles in Ordnung und unbedenklich sei, wurde der Chefagent abberufen und versetzt. Er hätte, so war die Begründung, zunächst die Vorgesetzten vom BND über die Liaison in Kenntnis setzen müssen. Nicht andersrum. Deshalb die vorzeitige Ablösung, über die der Agent depressiv wurde.

Eine harte, zu harte Konsequenz, urteilte sinngemäß das Bundesverwaltungsgericht. Das Bundesgericht stellte erstens fest, dass es gar keine Verwaltungspraxis gebe, der zufolge ein Agent in so einem Fall abberufen werden müsse. Und es monierte zweitens, dass sich der Agent ja keineswegs vollständig über die Dienstvorschrift hinweggesetzt habe. Er tat es nur in der falschen Reihenfolge. Eine so einschneidende Maßnahme bei einer so "geringen Schwere der Dienstverletzung"? Das war eindeutig "ermessensfehlerhaft", urteilten die Leipziger Bundesrichter.

Als Nicht-Jurist muss man das wohl übersetzen mit: Da hat eine Behörde mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Immerhin war Lettland zu der Zeit längst Mitglied der Nato und Europäischen Union. Der Außenposten des BND in Lettland hat also nicht etwa den Auftrag, das Land auszuspionieren. Vielmehr arbeiten die Geheimdienste dort täglich zusammen, es geht um Informationsaustausch und Kontaktpflege. Und natürlich: Eine direkte Anfrage bei den Kollegen hatte das Prozedere in der Angelegenheit beträchtlich verkürzt - was in Liebesdingen hilfreich sein kann.

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Trotzdem war es ein Fehler, wenn auch ein geringer. So jedenfalls urteilte das Münchner Landgericht. Das hatte über die Schadensersatzklage des Ex-Agenten zu befinden und sprach ihm eine Teilverantwortung zu. Immerhin hätte er wissen müssen, was die richtige Reihenfolge gewesen wäre. Die Hauptschuld dafür, dass der Agent dienstunfähig wurde, trage aber der Bundesnachrichtendienst: Dieser habe seine Amtspflichten fahrlässig, schuldhaft und rechtswidrig verletzt. Das schon deshalb, weil der BND den Agenten zwar trotz des Verstoßes nicht als Sicherheitsrisiko eingestuft hatte - ihn aber trotzdem ablöste.

Das Gericht war davon überzeugt, dass dies zur Dienstunfähigkeit führte. Als früherer Soldat habe der Agent "hohe moralische Ansprüche" an sein eigenes Leistungsvermögen gehabt. Die posttraumatische Belastungsstörung werteten die Richter als "Antwort auf ein gänzlich unerwartetes und existenziell bedrohendes Ereignis". Den Ersatz des erlittenen Schadens sah das Landgericht folglich als notwendig an, wenn auch nur zur 75 Prozent: Eben weil der Agent zunächst die Chefs über die Liaison in Lettland hätte informieren sollen. Die hätten sich dann - wohl über ihn selbst - an die Kollegen in Riga wenden können.

Der BND ging in Revision in die nächste Instanz und das Oberlandesgericht in München, das für den in Pullach beheimateten BND zuständig ist, sah die Sache komplett anders. Zwar hatte der Chefagent die lettischen Kollegen in dem Moment, als die Frau bei ihm einzog, um Überprüfung gebeten. Dem OLG reichte dies aber offenbar nicht. Die Liaison mit der Lettin hätte zeitnah angezeigt werden müssen, und die Entscheidung darüber, auf welche Art und Weise eine neue Partnerin überprüft wird, obliege der Dienststelle - also Pullach.

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Überdies habe der BND, und an der Stelle wird der Fall diplomatisch ebenso heikel wie interessant, eine "nachvollziehbare Überlegung" an den Tag gelegt: Man könne die Situation in Lettland und dem Baltikum, in den dortigen Nato- und EU-Staaten, aufgrund der "langjährigen Zughörigkeit der Staaten zu der Sowjetunion" nicht vollständig vergleichen mit langjährigen Nato- und EU-Mitgliedern. Im Urteil fällt das Wort von der "Romeofalle", für die ein Nachrichtendienst sich wappnen müsse.

Romeofallen waren im Kalten Krieg, vor 40 Jahren, ein beliebtes Mittel von Spionagediensten. Wobei es im vorliegenden Fall, wenn überhaupt, im Urteil der OLG-Richter eigentlich "Venusfalle" hätte heißen müssen: Das waren Frauen, die damals gezielt auf "Träger sicherheitsrelevanter Informationen", wie man so sagte, angesetzt wurden. Tappten diese in die Falle, lieferten sie unfreiwillig einem feindlichen Spionagedienst Informationen zu.

Eine Dreiviertel-Schuld des BND für die Dienstunfähigkeit des früheren Chefagenten vermochte das Oberlandesgericht da nicht zu erkennen. Auch keine Teilschuld. Sondern, bei unveränderter Sachlage, verblüffenderweise überhaupt keine Schuld des BND. Auch wenn das Bundesverwaltungsgericht die Versetzung des Chefagenten zuvor für rechtswidrig erklärt hatte.

Weil, so das Gericht, dem Rechtsstreit keine "grundsätzliche Bedeutung" zukomme, ließ es auch keine Revision zu. Dagegen hat der frühere Agent nun Beschwerde eingelegt, der Bundesgerichtshof wird darüber zu entscheiden haben. Auf Anfrage will sich der Ex-Agent nicht zu seinem Fall äußern. Er empfinde als gelernter Soldat und langjähriger Nachrichtendienst-Mitarbeiter "weiterhin eine hohe Loyalität" zu seinem Ex-Arbeitgeber, erklärt er. Nur eines ist er bereit preiszugeben: Die, wenn man so will, verhängnisvolle Beziehung sei damals sehr bald beendet gewesen.

© SZ vom 14.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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