Gedenkstätte für NSU-Opfer:Vier Bäume für die Toten

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Mahnmal für Opfer der NSU-Terrorzelle: Zahlreiche Menschen nehmen an der Einweihung in Nürnberg teil. (Foto: dpa)

Enver Simsek war das erste von zehn Opfern der NSU. Ausgerechnet in Nürnberg, der Stadt der Reichsparteitage und der Rassegesetze. Nun wird dort eine Gedenkstätte eingeweiht. Politiker geben sich demütig und versprechen Aufklärung. Doch bei allem Gedenken wird auch Kritik laut.

Von Katja Auer, Nürnberg

Das Foto war Semiya Simsek wichtig. Damit ihre Mutter es auch sehen kann: Die noch kahlen Ginkgo-Bäume vor der Nürnberger Stadtmauer und die Stele, auf der zehn Namen stehen. Ganz oben der ihres Vaters: Enver Simsek, 11. September 2000, Nürnberg.

An jenem Samstagmittag wurde er an einem seiner Blumenstände in Nürnberg erschossen. Der 38-jährige war das erste von zehn Opfern der rechtsextremen Zwickauer Terrorzelle. Was damals niemand wusste. Es hat Jahre gedauert und die Angehörigen mussten Gerede und falsche Verdächtigungen aushalten, bis man die Täter entlarvte. Am Donnerstag wurde in Nürnberg, in der Stadt, wo gleich drei Menschen von den Terroristen ermordet wurden, ein Gedenkort eingeweiht.

"Wir sind bestürzt und beschämt, dass diese terroristischen Gewalttaten über Jahre nicht als das erkannt wurden, was sie waren: Morde aus Menschenverachtung", ist auf der Stele zu lesen. Der Text lautet in allen Städten gleich, in denen die Rechtsextremisten des Nationalsozialistischen Untergrunds mordeten.

Semiya Simsek findet das Mahnmal am Kartäusertor, am Ende der Straße der Menschenrechte, passend und angemessen. Mehr will sie an diesem Tag nicht sagen. Sie macht lieber ein Foto.

"Verantwortung in die nächste Generation tragen"

"Diese Verbrechen haben uns schockiert", sagt Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD). Es sei beschämend, dass der deutsche Staat sein im Grundgesetz verankertes Versprechen nicht eingehalten habe, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen.

Gerade Nürnberg, die Stadt der Menschenrechte, die sich - inzwischen - beispielhaft ihrer finsteren Vergangenheit als Stadt der Reichsparteitage und der Rassegesetze stellt, haben die drei Morde aus Fremdenhass erschüttert. So kam die Initiative für das Mahnmal von der Stadt, und die Angehörigen waren eng eingebunden, was vereinzelte Kritik am Standort des Gedenkortes bald wieder verstummen ließ.

Das Pflanzen der Bäume, von denen drei für die Nürnberger Opfer Enver Simsek, Abdurrahim Özüdogru und Ismail Yasar stehen und einer für die anderen Opfer rassistisch motivierter Gewalt, sei kein einmaliger symbolischer Akt, sagte Maly. Dadurch, dass sich der Christliche Verein Junger Menschen (CVJM) zur Pflege der Bäume bereit erklärt habe, "werden Erinnerung und Verantwortung in die nächste Generation getragen".

Innenminister Joachim Herrmann räumt ein, dass die "tödlichen Gefahren gewaltbereiter Rechtsextremisten" offensichtlich unterschätzt worden seien und verspricht alles daran zu setzen die Mordserie lückenlos aufzuklären. Das Ziel sei es, den Rechtsterrorrismus noch stärker zu bekämpfen. "Die NSU-Morde waren ein großer Schlag gegen die Demokratie in Deutschland", sagt die türkische Generalkonsulin Ece Öztürk-Cil. Deswegen erhoffe sie sich vom anstehen Prozess gegen das mutmaßliche NSU-Mitglied Beate Zschäpe auch ein eindeutiges Ergebnis.

Bei allem Gedenken wird auch Kritik laut. An den "sich irrenden Behörden" wie es Michael Helmbrecht formuliert, der Vorsitzende der Allianz gegen Rechtsextremismus in der Metropolregion Nürnberg. Er kritisiert die "unglaubliche Banalisierung der Gefährlichkeit der rechtsextremistischen Szene" und die "Stigmatisierung und Kriminalisierung von Migranten-Milieus", die zusammen "das Desaster der Ermittlungen" erklärten.

Die zweigeteilten Blätter der Gingko-Bäume symbolisieren für Helmbrecht die "Einheit der Verschiedenheit". Um die Bäumchen, die sehr alt werden können, wollen sich die Jugendlichen vom CVJM kümmern. Wie Ludwig. "Wir wollen ein Stück unseres Lebens denen widmen, denen das Leben genommen wurde, indem wir die Bäume pflegen", sagt er.

© SZ vom 22.3.2013/afis - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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