Gangs in Ulm und Neu-Ulm:Krieg der Rocker

Nach einer Schießerei zwischen Mitgliedern verschiedener Rocker-Gangs in Neu-Ulm am 16. Dezember 2012 sichern Polizisten den Tatort.

Nach einer Schießerei zwischen Mitgliedern verschiedener Rocker-Gangs in Neu-Ulm am 16. Dezember 2012 sichern Polizisten den Tatort.

(Foto: Alexander Kaya/dpa)

Es geht um Einfluss im Rotlichtmilieu und in der Türsteher-Szene: In der Region Ulm/Neu-Ulm tobt ein brutaler Machtkampf zwischen vier rivalisierenden Banden. Die Gangs bekriegen sich mit Beilen, Schlagstöcken und Brandsätzen - und schrecken auch vor Mord nicht zurück.

Von Stefan Mayr

Nach dieser blutigen Nacht war es in Neu-Ulm vorbei mit der beschaulichen Vorweihnachtszeit. Am 16. Dezember 2012 gab es kurz vor neun Uhr abends vor dem Vereinsheim des "Türkischen Sportvereins" eine Schießerei - mitten in der Stadt und auf offener Straße, wie es in solchen Fällen immer heißt. Zwei Männer wurden schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht. Einer wurde gerettet, der andere starb noch in derselben Nacht. Inzwischen wissen die Behörden, dass die Schießerei der Höhepunkt eines Bandenkrieges ist, der in der Region Ulm/Neu-Ulm seit längerem tobt.

Im Großraum der Doppelstadt sind gleich vier Rocker-Gruppierungen aktiv: "Bandidos", "Red Legion", "Black Jackets" und "Rock Machine". Letztere sind keine klassischen Motorrad-Clubs, sondern eher Straßen-Gangs. Ihre innere Struktur ist aber ganz ähnlich - und sie kämpft um die Macht im Rotlichtmilieu und in der Türsteher-Szene. Dabei kam es bereits zu Schlägereien, Messerstechereien, Brandstiftungen und mehreren Schießereien.

Beile, Schlagstöcke und Messer

Seit den tödlichen Schüssen vom dritten Advent 2012 steht fest: Ulm/Neu-Ulm ist eine Art Rocker-Hochburg Bayerns, selbst in der Landeshauptstadt München scheinen die rivalisierenden Motorrad-Clubs weniger gewaltbereit zu sein.

München hat 1,4 Millionen Einwohner, der Großraum Ulm/Neu-Ulm nur 170.000. Dennoch ist die Liste der Straftaten aus dem Rockermilieu an der Donau sehr lang: Im Frühjahr 2012 gab es innerhalb zweier Wochen gleich zwei Brandstiftungen. Zunächst wurde das Neu-Ulmer Café "Nachtschicht" abgefackelt, in dem sich die Mitglieder der "Bandidos" trafen. Wenig später brannte das Gasthaus "Big Ball", in dem regelmäßig Männer der "Rock Machine" verkehrten. Im März 2013 verhinderte die Polizei im letzten Moment eine Massen-Keilerei mit mehr als 100 Beteiligten. Die Banden-Mitglieder reisten aus ganz Süddeutschland an, die Polizei stoppte sie teilweise schon bei der Anfahrt. Dabei stellte sie zahlreiche Waffen sicher: Beile, Schlagstöcke und jede Menge Messer.

Gleich zwei Schießereien werden demnächst vor dem Landgericht Ulm verhandelt: 2011 sollen mehrere "Bandidos" Schüsse auf das Haus eines "Rock Machine"-Mitglieds abgegeben haben. Und im Februar 2013 soll ein Mann der "Black Jackets" aus 20 Metern auf eine Gruppe der "Red Legion" geschossen haben. Bei beiden Taten wurde niemand verletzt, in der Anklage ist von versuchtem Mord die Rede.

Immer mehr Banden drängen nach Bayern - und verschärfen das Problem

Die Polizei nennt die Namen der Gruppierungen nur in Ausnahmefällen, sie will auch nicht bestätigen, dass es einen Rocker-Krieg gibt. Aber Jürgen Schweizer, Leiter der Kriminalpolizeiinspektion Neu-Ulm, sagt immerhin: "Offenkundig gibt es Auseinandersetzungen rivalisierender Motorradclubs." Die weitere Entwicklung müsse "sehr genau beobachtet" werden.

Dem Todesschützen vom dritten Advent wird von nächstem Montag an vor dem Landgericht Memmingen der Prozess gemacht. Die Ermittler sind überzeugt, dass der Schießerei ein monatelanger Machtkampf um die Vormacht in den Bordellen und Diskotheken voranging. Die Bande "Rock Machine" hatte es auf den Ulmer Club "Myer's" abgesehen, dort verübte sie vier Stinkbomben-Attacken: Immer an besonders "runden Tagen" - also am 6.6., am 7.7., am 8.8. und am 1.11. verspritzte sie im "Myer's" Buttersäure - mit der Folge, dass die Gäste fluchtartig die Diskothek verließen. Im Dezember erhielt Betreiber Murat C., der in Neu-Ulm auch ein Erotik-Etablissement sein Eigen nennt, sogar eine Bombendrohung.

Da wurde es ihm zu bunt. Er forderte ein Treffen mit den Chefs der "Rock Machine". Das bekam er noch am selben Tag. Aber es endete nicht wie gewünscht: Nach einer Handgreiflichkeit wurden seine zwei Begleiter mit einer Pistole aus nächster Nähe beschossen. Beide wurden ins Krankenhaus gebracht. Einer von beiden wurde mit drei Notoperationen gerettet, aus seinem Oberkörper wurden zwei Kugeln entfernt. Er überlebte trotz Lungendurchschuss, leidet seitdem aber unter Atemproblemen. Das andere Opfer hatte weniger Glück: Der 31-jährige Chef einer Sicherheitsfirma wurde an der Aorta getroffen und starb noch in derselben Nacht.

Unter Rockern gilt das Gesetz des Schweigens

Die drei Täter flüchteten zunächst. Einer von ihnen wurde wenig später gefasst, die zwei anderen wurden fünf Tage danach in Rheinland-Pfalz festgenommen. Die Männer im Alter von 22 bis 27 Jahren müssen sich wegen gemeinschaftlichen Mordes verantworten. Ihr Prozess wird unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen durchgeführt. Aussagen der Angeklagten sind dabei nicht zu erwarten. In der Szene gilt das Gesetz des Schweigens.

Die Behörden dies- und jenseits der Donau kennen das Problem: Im Sommer hat Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall (SPD) die "Red Legion" verboten, deren Mitglieder auch im Großraum Ulm auftraten und in Esslingen offenbar einen 22-Jährigen erstochen haben. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) bestätigt, dass die Rockerszene im Freistaat zuletzt einen massiven Mitgliederzuwachs erlebte. 2012 stieg die Zahl innerhalb eines Jahres um 25 Prozent an - von 1200 auf 1500. "Zunehmend drängen rockerähnlich organisierte Gruppierungen wie die Black Jackets und die Pars Augsburg in die bayerische Szene", heißt es im Verfassungsschutzbericht 2012.

Diese Neugründungen führten zu regionalen Veränderungen in der Szene und unterwanderten die selbsterhobenen Gebietsansprüche etablierter Clubs. "Dies könnte auch in Bayern vermehrt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen", schreiben die Verfassungsschützer. Ihre Vermutung ist bereits blutige Realität.

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