G-7-Gipfel:Ein Ort macht dicht

Garmisch vor G7-Gipfel

So viele Polizisten wie in diesen Tagen waren wohl noch nie in Garmisch-Partenkirchen unterwegs.

(Foto: dpa)

In Garmisch-Partenkirchen laufen die Vorbereitungen für das Spitzentreffen auf Hochtouren. Viele Geschäftsleute sperren ihre Läden an den Gipfeltagen zu, aus Furcht vor Ausschreitungen - und weil die Kunden fehlen.

Von Heiner Effern, Garmisch-Partenkirchen

Gülhan Yavuz steht an der Eingangstür seines Feinkostladens und verzieht das Gesicht zu einem gequälten Lächeln. Er deutet auf die Ständer mit dem Gemüse draußen am Bürgersteig. Die müssten natürlich weg, sagt er. Vielleicht werde er auch noch Schaufenster abkleben. Seit 35 Jahren lebt der Türke in Deutschland, er fühlt sich wohl in Garmisch-Partenkirchen. Doch jetzt wird es Gülhan Yavuz zu viel: "Ich habe Angst." Er hat sich bei seinen Kunden umgehört, was die so empfänden. "Die haben auch Angst", sagt er. "Die werden nicht kommen." Yavuz hat sich entschieden, was er in den Tagen des G-7-Gipfels macht. "Ich hau ab, ich fahre fünf Tage nach Istanbul." Von Fronleichnam an bis zum 8. Juni, den zweiten und letzten Tag des Politikertreffens, sperrt er seinen Laden zu.

Das Geschäft von Yavuz liegt in der Unteren Ludwigstraße, die von der Bundesstraße Richtung Elmau ins Zentrum des Ortsteils Partenkirchen hineinführt. An den beiden breiten Fahrspuren reiht sich Laden an Laden. Am vergangenen Dienstag gab das Landratsamt Garmisch-Partenkirchen bekannt, dass die Gipfelgegner bei ihrer Großdemonstration hier durchlaufen dürfen. Bis zu 10 000 Teilnehmer sind angemeldet. Die Polizei rechnet offiziell damit, dass jeder Zehnte von ihnen der gewaltbereiten Szene angehören könnte.

Hinter dem Laden steht die Holzabdeckung bereit

Die Stimmung in den meisten Läden wechselt von gereizt bis nervös und mehr. Katharina K., die nicht mit vollem Namen genannt werden will, hat hinter dem Geschäft schon eine Holzabdeckung bereitstehen. Die wird vor dem Schaufenster angeschraubt. Das Schild an der Hauswand kommt ebenso weg wie die Türklinken. Den Laden lässt sie komplett ausräumen, Feuer oder Rauch würden alles unbrauchbar machen. Im schlimmsten Fall, fürchtet sie, "zerlegen uns die den Ort". So weit geht die Sorge von Klaus Straßer vom "Unverblümt" gegenüber nicht. Er sei ein Positiver, grundsätzlich, sagt er. Ein Gesteck, das sonst draußen steht, werde reingeräumt. "Sonst bleibt alles wie es ist", sagt er. Außer dass er ebenfalls den Laden für ein paar Tage schließt, weil eh keiner kommen werde. Das ganze Theater um den Gipfel nerve einfach nur noch, sagt er.

Auch die meisten Banken in Garmisch-Partenkirchen schließen für zwei Tage. Der Direktor des Amtsgerichts, das auch an der Demo-Route liegt, bestätigt auf Anfrage, dass er die Fenster im Erdgeschoss mit einer Schutzfolie überziehen lässt. Dahinter lägen eben wichtige Dokumente, sagt Christian Pritzl, der nicht lange reden kann, weil gleich noch eine Brandschutzübung im Haus ansteht. Im Übrigen sehe er aber dem Gipfel gelassen entgegen und verlasse sich auf die Polizei, sagt der Amtsgerichts-Direktor.

Geschäfte schließen an den Gipfeltagen

So halten es auch die "Kaffee Börse" ums Eck oder das Sanitätshaus Süßbauer. Man öffne, wenn der Chef von Mittenwald nach Partenkirchen durchkomme, heißt es dort. Wie das große Sporthaus Conrad drüben in Garmisch schließen aber nicht wenige Geschäfte, weil sie befürchten, dass ihre Angestellten von außerhalb wegen der Verkehrskontrollen nicht pünktlich oder auch gar nicht durchkommen werden. Der Weinhändler in der Ludwigstraße jedenfalls wird versuchen, seinen Laden in den Gipfeltagen zu öffnen. Da aber auch er von außerhalb nach Partenkirchen fahren muss, rät er seinen Kunden auf einem Schild an der Tür. "Decken Sie sich einfach frühzeitig mit einem Weinvorrat ein."

Für einen solch gelassenen Umgang mit den anstehenden Demonstrationen in Garmisch-Partenkirchen wirbt Bürgermeisterin Sigrid Meierhofer (SPD) seit Wochen. Auch bei einem Gespräch in ihrem Amtszimmer legt sie ihre ausgestreckten Hände zu einer bittenden Geste zusammen und appelliert an ihre Bürger, "die Geschäfte bitte nicht zu schließen, gute Gastgeber zu sein und Ruhe zu bewahren". Ihre größte Sorge gelte derzeit nicht dem Streit um ein Camp für die Gegner, sondern "in erster Linie der Stimmung im Ort". Sie selbst könne gut schlafen, sagt sie, habe Vertrauen in die Polizei und, das betont sie besonders, auch in die Demonstranten. "Die ganz große Mehrheit von ihnen ist friedlich." Trotz aller Appelle macht die Bürgermeisterin "eine diffuse Angst" im Ort aus, die ihren Nährboden auch in der fehlenden Erfahrung mit Demonstrationen habe.

10 000 Demonstranten bei 27 000 Einwohnern

Vor allem mit Kundgebungen dieser Größe. 10 000 Demonstranten erwartet der Ort, in dem etwa 27 000 Menschen leben, am kommenden Samstag. Setzt man diese Zahlen in Bezug zur Einwohnerzahl, wird die Dimension deutlicher: Für die 1,5-Millionen-Einwohnerstadt München würde das im Vergleich bedeuten, dass dort mehr als eine halbe Million Menschen durch die Straßen zögen. Davon wären ungefähr 55 000 der gewaltbereiten Szene zuzuordnen. Erwartet werden in München für die größte Gipfel-Demo 35 000 Teilnehmer. Insgesamt.

Polizei und auch die Organisatoren der Demonstrationen in Garmisch-Partenkirchen betonen zwar stets, dass sie niemanden beunruhigen wollen. Doch sie erreichen damit offensichtlich nicht alle, und bei vielen bewirken sie das Gegenteil. Bei Benny Ruß, Sprecher von Stop G7 Elmau, vermissen viele ein klares Nein zu Gewalt im Namen seines Bündnisses. Die Sicherheitskräfte wiederum betonen bei jeder Gelegenheit, wie hart, schnell und kompromisslos sie einschreiten würden. Gerne wird dabei auf den Schwarzen Block, eine als gewaltaffin geltende Gruppe, oder auf die Krawalle bei der Einweihung der EZB-Zentrale verwiesen.

"Aufklären und beruhigen"

Solche Filme laufen auch in den Köpfen mancher Garmisch-Partenkirchner ab, wenn sie an den Gipfel denken. Viele äußern ihre Sorge am Telefon oder kommen selbst ins Bürgerbüro der Polizei im Rathaus von Garmisch-Partenkirchen. Gerade ältere Menschen seien verängstigt und beunruhigt, sagt Polizeioberkommissar Norbert Erlinghagen. Seine Hauptaufgabe fasst er kurz zusammen: "Aufklären und beruhigen." Ein Problem hätten die Einheimischen, die sich hier meldeten, sicher nicht. "Zu viel Polizei."

Schloss Elmau

Und wenn keine Polizisten anzutreffen sind, muss man damit rechnen, dass man per Video überwacht wird.

(Foto: Lukas Barth)

Doch auch die im Ort zunehmend omnipräsente Staatsmacht reicht nicht, um die Gemüter zu beruhigen. Als vor einigen Wochen Material in langen Kisten in die nahe Kaserne nach Mittenwald geliefert wurde, machte schnell die Runde: Hunderte Särge seien wegen des G-7-Gipfels angeliefert worden. Neben akutem Drohnenalarm hält sich auch die Geschichte von der zusammenbrechenden Wasserversorgung in Garmisch-Partenkirchen hartnäckig. "Wir haben hier derzeit die größte Gerüchteküche Bayerns", sagt Erlinghagen.

"Wir sind für alle offen"

Doch es gibt auch Garmisch-Partenkirchner, die sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Die Künstlerin Stephanie Kelch-Oncken steht im Café, das mit zu ihrer Galerie gehört. Mit ihrer Partnerin Andrea Berger-Endress freut sie sich auf alle Gäste aus Deutschland oder der Welt, sei es aus den Reihen der Politiker-Delegationen, der Polizei oder der Demonstranten. "Wir sind für alle offen", sagt Kelch-Oncken. Es tue doch gut, wenn ein internationaler Geist ins enge Tal hereinwehe. "Wer was gegessen und getrunken hat, ist zufrieden und wird auch nicht so leicht gewalttätig", sagt Berger-Endress.

Die "Kunst Klamm" der beiden liegt nur ein paar Minuten von der Garmischer Fußgängerzone entfernt, durch das am zweiten Gipfeltag eine Demonstration führen wird. Obwohl dort nur 500 Menschen angemeldet sind, sperrt etwa die Hälfte der Geschäfte, die in der Werbegemeinschaft organisiert sind, zu. Wieder aus Angst, dass das Personal nicht durchkommt - und weil die Kunden fehlen. "Ein Trauerspiel" sei der Betrieb in der Fußgängerzone jetzt schon, sagt Michaela Nelhiebel, die ein Optikergeschäft betreibt und der Werbegemeinschaft vorsteht. Wer öffnet, tut das um das Image des Ortes willen. "Wir wollen uns als gute und freundliche Gastgeber zeigen", sagt Martin Pirner, Juniorchef eines Modehauses in der Fußgängerzone.

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