G-7-Gipfel:A.C.A.B. - Freispruch fürs Tattoo

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Die Demonstranten ließen sich während des G-7-Gipfels immer wieder neue Protestformen einfallen.

(Foto: Robert Michael)
  • Ein junger Mann hatte auf seinem Arm die Abkürzung für "All Cops Are Bastards" tätowiert - und erhielt eine Anzeige.
  • Der Fall ist der vorletzte von zwanzig verhandelten Straftaten während des G-7-Gipfels in Elmau 2015.

Von Matthias Köpf, Garmisch-Partenkirchen

Mehr als 20 000 Polizisten hatten der Bund und der Freistaat im vergangenen Sommer zusammengezogen, um den G-7-Gipfel in Elmau zu sichern. Aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts dürften das deutlich zu viele gewesen sein, als dass sie sich alle persönlich von den vier Buchstaben "A.C.A.B." für "All Cops are Bastards" auf dem Oberarm eines jungen Mannes beleidigt gefühlt hätten.

Denn um eine strafbare Beleidigung zu sein, müsse sich diese ansonsten freie Meinungsäußerung auf eine bestimmte Person beziehen, hatten die Verfassungsrichter im Mai im Fall einiger Fußballfans geurteilt. In Garmisch-Partenkirchen stand der junge Mann am Dienstag trotzdem wegen Beleidigung vor dem Amtsgericht.

Einer der 20 000 Polizisten hatte Strafantrag gestellt, doch nach einstündiger Verhandlung lautete das letzte Wort des mehrfach vorbestraften Angeklagten: "Besser nich." Das Urteil: "Auf Staatskosten freigesprochen."

Der 26-jährige Leipziger zeigte sich vor Gericht zwar üppig gepierct, doch in langen Ärmeln. Ein gutes Jahr zuvor hatte er ein Trägershirt an, das den Oberarm samt dem laut eigener Beschreibung "kleinen Scheiß-Jugendtattoo" nicht bedeckte. Das Tattoo sei ihm 2015 selbst längst nicht mehr bewusst gewesen, als er sich mit zwei Mitstreiterinnen zum Küchendienst für das Protestcamp gemeldet und in Garmisch-Partenkirchen nach einer Einkaufgelegenheit für Kichererbsen gesucht habe.

Gleichzeitig sollten Bereitschaftspolizisten aus München das Umfeld einer Demonstration am Bahnhof sichern, und weil bei einer der Frauen ein unbestückter Kochgürtel für Küchenutensilien wie ein Waffengürtel gewirkt habe, sei das Grüppchen einer Kontrolle unterzogen worden, berichtete der 23-jährige Polizist, der den Strafantrag gestellt hat.

Die Verteidigerin des Angeklagten ist berühmt

Weil Demo-Teilnehmer in Clownskostümen, ein Kamerateam und immer mehr Leute hinzukamen, zog sich die Sache, es kam Verstärkung und irgendwann die Order von oben, die Kontrollierten in die Gefangenensammelstelle in die frühere Abrams-Kaserne zu bringen. Beim Herumgehen während der Wartezeit habe ihm der Angeklagte mehrmals die Schulter mit dem Tattoo hingedreht, sagte der Polizist vor Gericht. Ansonsten konnten sich weder er noch eine Kollegin an belastende Details erinnern. Und das Tattoo? "Als Polizist fühlt man sich da schon - na ja", fasste die Beamtin zusammen.

Verteidigerin Verina Speckin war schon während des G-7-Gipfels innerhalb des Rechtsstaats auf der anderen Seite gestanden. Sie schloss sich mit etwa 50 Kollegen zu einen Anwaltsnotdienst für die Gipfelgegner zusammen, wie sie es schon in Heiligendamm getan und dafür später die Carl-von-Ossietzky-Medaille erhalten hatte.

Speckin hatte den Angeklagten damals aus der Sammelstelle geholt und ihm ein Pflaster auf die Tätowierung geklebt, damit er nicht gleich wieder in Gewahrsam kommt. Jetzt hatte sich die Rostocker Anwältin extra ein paar Tage frei genommen, um ihrem Schützling in Garmisch als Pflichtverteidigerin beizustehen. Sehr viel mehr als auf das Verfassungsgericht und auf den fehlenden Nachweis für eine Beleidigungsabsicht zu verweisen, musste sie da gar nicht tun.

Mit dem Freispruch kann die Strafjustiz den Gipfel wohl bald endgültig zu den Akten legen. Der Wurf eines Plastiktellers harrt noch der Berufungsverhandlung, ansonsten hat von vielleicht zwei Dutzend strafrechtlich relevanten Vorwürfen, die dem Anwaltsnotdienst insgesamt bekannt wurden, bisher offenbar nur ein einziger zu einer rechtskräftigen Verurteilung geführt: Ein junger Mann aus Stuttgart ist im Februar vom Amtsgericht München zu 20 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden, weil er eine Glasflasche und eine Holzlatte auf einen Journalisten und einen Polizisten geworfen hat.

Es mögen auch Verfahren mit Strafbefehlen erledigt worden sein, aber mehr Verurteilungen als diese vom Februar seien ihm nicht bekannt, sagt der Münchner Jurist Marco Noli, der den G-7-Anwaltsdienst mitorganisiert hatte. Das bayerische Justiz- und das Innenministerium haben laut eigener Auskunft keinen Überblick über Straftaten im Zusammenhang mit dem Gipfel.

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