Freizeit:Feierabend - und dann schnell mal auf den Berg

Hirschberg Tegernsee Skifahren bei Nacht

Mit Stirnlampe unter dem eisigen Sternenhimmel: Seit zwei Jahren ist die Route am Donnerstagabend für Skibergsteiger geöffnet.

(Foto: Matthias Ferdinand Döring)
  • Jeden Donnerstag um 18 Uhr fährt ein Bus aus München ins Tegernseer Tal. Das Ziel: der Hirschberg. Der ist am Abend für Skitourengeher geöffnet.
  • Die Münchner nehmen das Angebot offenbar rege an.
  • Umweltschützern und Anwohnern gefällt der Ansturm der Städter hingegen nicht.

Von Christian Gschwendtner, Kreuth

Bevor der Bus abfährt, meldet sich der Fahrer. An Bord seines Busses gibt es genau zwei Optionen: Wasser oder Bier. "Das ist das Wichtigste", sagt der Busfahrer, "alles andere spielt keine Rolle." Dann fährt er los.

Auf der Auffahrt zur Autobahn tippt ein Student mit Rollkragenpullover seinen Sitznachbarn an. "Martin, magst noch was?" Martin schüttelt den Kopf. Er mag kein zweites Erdnussbutter-Sandwich. Zwei Reihen weiter hinten liest eine Frau angeregt in einem Buch. Die Ingenieure neben ihr diskutieren, was mehr zählt im Beruf: das Gehalt oder der Spaß. Ein Bier bestellt niemand.

"Afterwork mal anders" - mit diesem Slogan wirbt die Münchner Werbeagentur, die diesen Ausflug an den Hirschberg organisiert. Die jungen Leute sollen nach dem Büro nicht in die Bar gehen, sondern auf den Berg steigen. Es ist deutschlandweit der erste Feierabend-Skitourenbus. Jeden Donnerstag werden Münchner ins Tegernseer Tal gefahren, für ein "Nachtspektakel".

Abfahrt ist um 18 Uhr am Zentralen Omnibusbahnhof, die Fahrt kostet 15 Euro, der Verleih einer Tourenskiausrüstung ist gratis. 19.38 Uhr Ankunft am Hirschberglift. Die Fahrt aus München hat dann doch länger gedauert. Erst ein Stau auf der Autobahn, dann Probleme beim Abbiegen in die Straße zum Hirschberg. Viermal musste der Busfahrer vor- und zurückrangieren. Erst dann ging es weiter. Der Busfahrer heißt "Bobby". Den Skitourenbus nennt er "Bobby-Car".

Als die Tür aufgeht, die jungen Münchner auf den Parkplatz treten, da müssen sie erst mal blinzeln. Vor ihnen hat sich ein Kamerateam aufgebaut. Das Fernsehteam will wissen, wie die jungen Leute denn auf die Idee kommen, nachts auf den Hirschberg zu steigen. Denn: Seit die Nachricht von Deutschlands erstem Nachtskitourenbus die Runde macht, gibt es Proteste aus allen Richtungen.

Naturerlebnis mit GPS-Gerät

Die Umweltschützer sorgen sich um die Birkhühner, die es auf dem Hirschberg noch gibt. Der Jagdverband argumentiert, durch die Nachtskifahrer werde die Ruhephase von Gams- und Rotwild gestört. Das Landratsamt Miesbach vertritt dieselbe Auffassung. Und die Einheimischen fühlen sich bestätigt, dass viel zu viele zu ihnen kommen. "Jetzt laufen die Münchner auch noch nachts auf den Hirschberg", titelte die Lokalzeitung.

Hirschberg Tegernsee Skifahren bei Nacht

Abfahrt ist um 18 Uhr am Zentralen Omnibusbahnhof. Mit Deutschlands erstem Feierabend-Skitourenbus schaffen es Berufstätige bis 20 Uhr zum Lift.

(Foto: Matthias Ferdinand Döring)

Der 29 Jahre alte Ingenieur aus dem Bus sagt, dass das halt der Luxus sei, wenn man in München wohnt, und die Berge vor der Haustür hat. Tagsüber hat er sich mit Pipeline- und Infrastrukturprojekten beschäftigt, jetzt freut er sich über den Sternenhimmel über Kreuth. Und die Ruhe. Zu dritt marschieren sie los, immer schön gleichmäßig, der Schnee knirscht, bis es zum ersten Mal steil wird und die Skier anfangen zu rutschen. An einer Weggabelung wissen die drei Münchner kurz nicht weiter. Auf der Piste bleiben, oder lieber den Weg durch den Wald nehmen? Der Freund des Ingenieurs hat ein GPS-Gerät dabei. Er zeigt in den Wald.

Die Gäste verhalten sich mitunter wie die Axt im Wald

Nach einer Stunde hat die Gruppe ihr Ziel erreicht: das Ende des Schlepplifts. Mehr ist heute nicht drin. Die Zeit drängt, die drei wollen noch ein Weißbier trinken, unten im Stüberl. "Könnte man tagsüber auch mal machen die Tour", sagt der leicht erschöpfte Freund des Ingenieurs.

Unten im Tal, in Andis Hirschbergstüberl, schieben sich die Leute durch die Tür. An einem Holztisch, abseits von den Münchnern, sitzt Kristina Roedel, 57, Vorstandsmitglied im Drachen- und Gleitschirmfliegerverein Tegernseer Tal, vor allem aber: Anwohnerin des Hirschbergwegs. Sie hat sich leicht in Rage geredet, hat von den tausend Wanderern erzählt, die an Sommerwochenenden an ihrer Haustür vorbeimarschieren. Ein Wanderer, sagt Kristina Roedel, habe ihr voriges Jahr sogar in den Garten geschissen - und das Toilettenpapier da gelassen. Alles klar, dachte sich Frau Roedel, dieses Mal also kein Hundekot.

Der Hype gefällt den Einheimischen nicht

Ins Hirschbergstüberl ist sie gekommen, weil sie gegen den Skitourenbus protestieren will. "Dieser Hype, der hier gemacht wird, an so einem sensiblen Ort, der geht mir so was von gegen den Strich", sagt Kristina Roedel. Eine Mitschuld an dem Hype gibt sie der ortsansässigen Skischule. Die Leute von der Skischule hätten die Gastwirtschaft übernommen, "jetzt müssen die ihr Geschäft machen". Wenn sie spricht, fliegen die Arme durch die Luft. Man hat fast Angst, dass ihr gleich das Nostril-Piercing aus der Nase fällt.

An den Tisch tritt jetzt ein älterer Herr, mit Trachtenhut und Trachtenjackett, in der Hand ein volles Glas Weißwein. Er reicht seine Visitenkarte, darauf steht sein Name und seine Titel: "Oberforstmeister a.D., Maler, Volkssänger und Privatier." Er ist ein guter Bekannter von Kristina Roedel. Der Oberförster a.D. sagt: "Früher wäre es uns im Traum nicht eingefallen, mit der Stirnlampe auf den Berg zu gehen". Prost!

Hirschberg Tegernsee Skifahren bei Nacht

Ein Nachtbus extra für Münchner? Die Anwohnerin Kristina Roedel sagt: "Dieser Hype, der hier gemacht wird, der geht mir so was von gegen den Strich."

(Foto: Matthias Ferdinand Döring)

21 Münchner sind genau deswegen mit dem Bus nach Kreuth gefahren. Zusammen mit etwa 60 anderen büffeln sie den Hirschberg hinauf. Seit zwei Jahren ist die Route am Donnerstagabend für Skibergsteiger geöffnet. Der große Ansturm ist lange ausgeblieben, wenn man den Hirschberg mit Bergen in der Umgebung vergleicht. Doch seit es den Nachtbus gibt, hat sich die Zahl mindestens verdoppelt. Eine Entwicklung, die Marco Müller besorgt.

Müller, 34, ist ein großer, drahtiger Schwabe, der eigentlich lange ruhig bleibt. Er ist der Gebietsbetreuer für das Mangfallgebirge, so etwas wie der oberste Naturlobbyist in der Umgebung, er soll die Leute zu einer möglichst naturverträglichen Freizeitnutzung bewegen. Seit 2011 hat er den Posten. An einem Dienstag, zwei Tage bevor der Nachtskitourenbus aus München anrollt, steht er in kompletter Skimontur auf einer Waldlichtung, 350 Meter unterhalb des Hirschberggipfels. Minus sieben Grad, später Nachmittag. Es schneit, es wird langsam dunkel.

Er will gerade über das Birkhuhn sprechen, als er sie sieht, wie ein Skifahrer eine Spur den Lawinenhang hinunter zieht, mitten durch das Schongebiet, das der Alpenverein ausgewiesen hat. Ob ihn das wütend macht? "Wütend nicht, aber es deprimiert mich immer ein Stück weit. Ich kann jetzt nicht mit der roten Karte auf den zu wedeln und ihn zurechtweisen." Die Erfahrung hat ihm gezeigt, das bringt nichts. Die Leute schalten dann immer auf stur, sie sagen: "Was willst denn Du jetzt?"

Stress kann für das Birkhuhn lebensbedrohlich sein

Der Skifahrer ist vorbeigerauscht, und Marco Müller kommt zurück zum Birkhuhn. So ein Birkhuhn fahre im Winter seinen Organismus komplett runter. "Du siehst hier die Nadeln und Knospen, die sie zum Fressen haben", er zeigt mit den Skistöcken auf Sträucher, Fichten und Tannen: "Da steckt fast keine Energie drin." Wenn aber ein Birkhuhn auf einen Skitourengeher treffe, dann müsse das Tier seinen Organismus wieder hochfahren, eine Reaktion, die unter Umständen lebensbedrohlich sein könne.

Freizeit: Auch Naturschützer, unter ihnen Marco Müller, sind skeptisch. Sie sorgen sich um die Birkhühner, die es auf dem Hirschberg noch gibt.

Auch Naturschützer, unter ihnen Marco Müller, sind skeptisch. Sie sorgen sich um die Birkhühner, die es auf dem Hirschberg noch gibt.

(Foto: Matthias Ferdinand Döring)

Vor acht Monaten haben sie im Landratsamt das letzte Mal die Birkhähne im Gebiet Hirschberg, Roßstein und Fockenstein gezählt. Auf neun Tiere sind sie damals gekommen. Nicht mehr als eine grobe Schätzung, weil sie immer nur die Balzplätze einsehen können. Sicher sagen lässt sich trotzdem, dass die Zahl der Birkhühner seit 2002 um 60 Prozent abgenommen hat. Daran seien vor allem die Tourengeher schuld, glaubt Marco Müller.

22.17 Uhr, der Busfahrer startet den Motor, es geht zurück in die Stadt. Der Ingenieur sitzt auf einer der hinteren Bänke. Für ihn war es die erste Skitour im Jahr. Die weit verbreitete Skepsis im Tegernseer Tal gegen die Skibergsteiger aus München hat sich bis zu ihm herumgesprochen. Er sagt, er wohne 500 Meter von der Wiesn entfernt. Und es gefalle ihm auch nicht sonderlich gut, wenn ihm die Betrunkenen im September in den Hausflur kotzten. "Aber es ist schon okay, wenn jemand anders, der nicht hier wohnt, auch mal da ist."

Dann überlegen er und sein Freund, auf welchen Berg sie nächste Woche fahren. Für die Nachtskitour.

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