Freiwillige Feuerwehr:Löschen auf dem Lande

Freiwillige Feuerwehr Göbertsham

Der Chef: Siegfried Raabe ist Kommandant der Göbertshamer Feuerwehr - und damit ein einflussreicher Mann im Dorf.

(Foto: Sebastian Beck/oh)

Wer wissen will, welche Institution wichtiger als Kirche und CSU ist, der muss nach Göbertsham im Landkreis Passau fahren. Dort hält die Feuerwehr das Dorfleben zusammen. Dumm nur, dass es an Einsätzen mangelt.

Von Sebastian Beck

Es ist auch ein Abend der Dankbarkeit im Gasthaus Gruber in Dorfbach. Nach diversen Reden, dem Gruß an die Fahnenmutter und Rahmbraten für alle hat sich ein Grundgefühl der Zufriedenheit der Versammlung bemächtigt. Die Luft steht warm und stickig in der Stube, als endlich Ortenburgs Bürgermeister Johann Halser ans Rednerpult tritt: "Ich bin dankbar dafür, dass wir die zehn Feuerwehren haben", sagt er. "Auch wenn es welche anders sehen." An diesem Abend sehen es die gut 60 Männer und Frauen im Wirtshaus genauso wie er, denn dies ist die Jahreshauptversammlung der Freiwilligen Feuerwehr Göbertsham, gegründet am 22. Oktober 1900 von Johann Lehner aus Blasen und seitdem stets einsatzbereit, wenngleich nur selten gefordert.

Aus der Luft betrachtet ist Göbertsham eine Ansammlung von Bauernhöfen im Landkreis Passau. Einen Kirchturm oder eine Wirtschaft sucht man hier vergeblich, das Zentrum des Dorfs liegt am Ortsausgang in Richtung Hinterhainberg: Hier steht das Feuerwehrhaus, und darin wartet der rote Iveco Magirus, Baujahr 1988, samt Tragkraftspritze TS 8/8 Eurofire und diversen B- und C-Schläuchen aufs Ausrücken. Von der Decke hängt das Ladekabel für die Batterie, was ein bisschen so aussieht, als bekomme das alte Auto eine Infusion verabreicht.

Die wahre Bedeutung des Fahrzeugs fürs Gemeinwesen aber kann man erst erahnen, wenn man sich ein paar Zahlen vor Augen führt: Göbertsham hat 62 Einwohner, der Feuerwehrverein jedoch zählt 142 Mitglieder. Oder anders ausgedrückt: Das Dorf hat keine Feuerwehr - es ist eine Feuerwehr. Das gilt in gewisser Weise für den gesamten Landkreis Passau mit seinen 154 Freiwilligen Feuerwehren, ganz besonders aber für die Marktgemeinde Ortenburg mit 7000 Einwohnern und zehn Feuerwehren - eine davon ist Göbertsham.

Gerade bei den karg ausgerüsteten Kleinfeuerwehren ist die Nachfrage nach Einsätzen größer als das Angebot, um es mal marktwirtschaftlich auszudrücken. Auf der Hauptversammlung fällt der Bericht des Ersten Kommandanten Siegfried Raabe entsprechend kurz aus. Raabe, ein bedächtiger Mann mit kräftigen Händen, fasst das Jahr 2012 so zusammen: "Von den Einsätzen her haben wir eigentlich nicht viel gehabt."

Dachstuhlbrand im Saustall

Um genau zu sein, es waren vier: ein Autounfall, als eine Frau am Steuer ohnmächtig wurde und ein Schild überfuhr; ein Hilfseinsatz bei der Dreistädte-Rallye - "des war a wengerl interessant". Im Sommer der Dachstuhlbrand im Saustall vom Sepp: Die 13 Zuchtschweine und eine unbekannte Zahl von Hühnern konnten gerettet werden, nur mit dem Wasser, sagt Raabe, gab es "a wengerl a Problem". Denn die FFW Göbertsham muss sich das Löschwasser mangels Tank immer erst aus schlammigen Bächen oder Hydranten besorgen. Und dann ist da noch die "Tierrettung", wie es im Fachjargon heißt: Die Katze von der Liesl traute sich nicht mehr vom Nussbaum runter.

Freiwillige Feuerwehr Göbertsham

Einsatzbereit: Kreisbrandinspektor Johann Walch bei der Hauptversammlung in Dorfbach - einer von 270 Terminen im Jahr. 

(Foto: Sebastian Beck/oh)

In diesem Fall forderten die Göbertshamer Verstärkung bei den Nachbarn in Fürstenzell an, weil nur die über eine Drehleiter verfügen. Mit vereinten Kräften gelang es schließlich, die Katze aus dem Geäst zu retten. "Des war's von de Einsätze her", schließt Raabe, um sich dann den Schulungen zuzuwenden. Darauf sind die Göbertshamer Aktiven nicht so scharf: "Am Samstag vor Ostern", mahnt der Kommandant, "da sind wir zu dritt da gestanden. Das kann nicht sein."

Als Nichtmitglied der großen Löschfamilie kann man sich nun durchaus ein paar Fragen stellen: Was soll dann das Ganze? Und warum gibt es hier "alle drei Kilometer eine Feuerwehr", wie Kreisbrandinspektor Johann Walch referiert? Er ist der Chef von 43 Wehren allein im Westen des Landkreises Passau und damit auch Vorgesetzter der Göbertshamer. Ein typischer Niederbayer: Gut drauf und nicht von falscher Nachdenklichkeit gebremst, wenn es darum geht, den Rettungsspreizer anzusetzen. Walchs Vater war bei der Feuerwehr, er selbst ist seit seinem sechzehnten Lebensjahr dabei. Bei seinen Einsätzen ist er Zeuge der schlimmsten Tragödien geworden. Zum 50. Geburtstag haben ihm die Kameraden einen geschnitzten St. Florian geschenkt, der nun neben der Spielzeugdrehleiter die Eckbank in der Küche ziert.

Walch selbst rückt 270-mal im Jahr aus - nicht nur zu Unfällen und Bränden, sondern als Kreisbrandinspektor vor allem zu Versammlungen. Nicht, dass er sich Schlimmes wünscht, aber: "Ab und zu schadet es nicht, wenn mal ein Unwetter hereinbricht", sagt er freimütig. Denn manche Mini-Feuerwehren haben gerade mal ein oder zwei Einsätze im Jahr. Darunter leidet nicht nur die Motivation der Mannschaften, sondern vor allem das Gerät: "Standschaden." Ein brutales Wort. Aber bitte, nach 30 Jahren wird auch das robusteste Fahrzeug von einer Art Arthritis dahingerafft, verursacht durch chronischen Bewegungsmangel.

Mindestens 700 Kilometer muss so ein Feuerwehrauto im Jahr fahren, um nicht einzurosten. "Manche schaffen das gar nicht", sagt Walch. Aber deshalb die Dorf-Feuerwehr gleich ganz abschaffen? Oder zusammenlegen, wie es zwei Gemeinden im Bayerischen Wald vorgemacht haben? Bloß nicht! Denn dann, das befürchtet nicht nur Walch, bliebe auf dem Land bald nichts mehr übrig, was die Leute zusammenhält.

Feuerwehr als gesellschaftlicher Mittelpunkt

Freiwillige Feuerwehr Göbertsham

Hauptbrandinspektor Franz Danninger aus Katzenberg in Österreich: Er trainiert die Göbertshamer Damengruppe.

(Foto: Sebastian Beck)

Und im Grunde genommen geht es bei den Mini-Feuerwehren auch um viel mehr als bloß ums Löschen. Da ist zum Beispiel die Göbertshamer Damengruppe, gegründet im Jahr 1980 als erste im Landkreis, und damit gewissermaßen die Speerspitze der Gleichberechtigung. Die Frauen halten bis heute zusammen - in der Versammlung sitzen sie alle gemeinsam am Tisch unter dem Ölschinken mit dem pflügenden Bauern. Trainiert werden sie seit jeher von Hauptbrandinspektor Franz Danninger aus Katzenberg in Österreich, ein Mannsbild behängt mit Abzeichen wie ein K.u.K.-General und ebenso streng, wenn es um den Löschangriff geht: "Wie beim Barras" habe man da strammstehen müssen, sagt eine der Damen. Die Schleiferei hat ihnen die Silbermedaille bei der Deutschen Meisterschaft eingebracht. Und 2008 dann der Höhepunkt: Da marschierten die Göbertshamer Frauen beim Bundeswettbewerb im Wiener Ernst-Happel-Stadion auf: "Da hamma nicht so viel zrissen." Egal.

Die Feuerwehr ist der gesellschaftliche Mittelpunkt, und gerade an Sommerwochenenden kommen sie im Landkreis Passau aus dem Feiern gar nicht mehr raus. Das befördert einerseits den Zusammenhalt, ist aber andererseits ziemlich teuer. Besucht man Ortenburgs Bürgermeister Johann Halser im Büro, dann wirkt er jedenfalls nicht ganz so dankbar über den allgemeinen Feuerwehreifer wie abends beim Wirt. Erst am Tag zuvor war er mit den Unteriglbachern bei einer Spezialfirma in Baden-Württemberg: Sie brauchen ein neues Löschauto für 150.000 Euro, und sie werden es wohl auch bekommen. Dann sind da noch die Oberiglbacher, die ein neues Feuerwehrhaus wollen, weil das alte feucht ist. Von Parschalling und den anderen mal ganz zu schweigen "Das reißt nicht ab, da ist man nie fertig", sagt Halser und wirkt für einen Moment hin- und hergerissen zwischen dem "brutalen Kirchturmdenken" und dem Wunsch nach einem intakten Dorfleben.

Gut, er war selbst 17 Jahre bei der Feuerwehr in Neustift. Kreisbrandspektor Walch arbeitet für den Bauhof der Gemeinde; der Kommandant der Ortenburger ist zugleich Kämmerer. Alleine aus den Feuerwehrlern in der Verwaltung ließe sich ein Löschtrupp zusammenstellen. Da beantwortet sich die Frage von selbst, ob man eine Feuerwehr auflösen kann, wenn man sie nicht mehr braucht. In den 90er Jahren hat das ein Gemeinderat mal vorgeschlagen. Der Kollege, erinnert sich Halser, habe "massive Probleme" bekommen. Politik gegen die Feuerwehr ist Politik gegen fast alle. Da lässt sich Halser lieber von seinen Bürgermeisterkollegen verspotten: "Du mit deine vielen Feuerwehren." Er sagt: "Eigentlich passt des schon."

Und dann passiert halt doch was. Während die letzen Göbertshamer noch beim Wirt sitzen, hat es einige Kilometer weiter auf der Autobahn A 3 gekracht. Zwei Lastzüge stehen am Fahrbahnrand, auf der rechten Spur ein Autowrack. Eine Frau sitzt in eine Rettungsdecke gehüllt an der Leitplanke. Die Feuerwehr, das ist sicher, wird gleich da sein.

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