Freiheitsbeschränkung:Behinderte Kinder im Bett fixiert und eingeschlossen

Freiheitsbeschränkung: Ein Spezialbett für Kinder mit Behinderung, die ihre Impulse oder Bewegungen nicht kontrollieren können.

Ein Spezialbett für Kinder mit Behinderung, die ihre Impulse oder Bewegungen nicht kontrollieren können.

(Foto: Kayserbetten)
  • In bayerischen Heimen sind Kinder mit geistiger Behinderung freiheitsbeschränkenden Maßnahmen ausgesetzt.
  • Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Traunstein wieder in dieser Sache.
  • Aber gemäß einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist "die nächtliche Fixierung eines Kindes in einer offenen heilpädagogischen Einrichtung keine genehmigungsbedürftige Unterbringungsmaßnahme".

Von Dietrich Mittler

Nur sechs Monate arbeitete Franz Kurzmeier als Heilerziehungspflegehelfer in der katholischen Einrichtung "Franziskushaus" in Au am Inn, doch was er dort erlebte, ließ ihn nicht mehr ruhen.

20 Fälle von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen an Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen zehn und 18 Jahren dokumentierte er handschriftlich und schickte diese Liste verbunden mit einer Strafanzeige "wegen rechtswidrigen Freiheitsentzugs" an Heimkindern an die Staatsanwaltschaft Traunstein. Das war im Juli 2012.

Gut einen Monat später teilten ihm die Ermittler mit, von einem Ermittlungsverfahren werde abgesehen: "Eine subjektiv vorwerfbare Freiheitsberaubung liegt nicht vor", hieß es. Das Heim wies die Vorwürfe indes als "bewusste Diffamierung" und als bereits erwiesen unwahr zurück.

Kurzmeier legte Widerspruch ein. Nun kam es zu Ermittlungen, die aber im April 2013 eingestellt wurden. "Welche Alternativen zu den freiheitsentziehenden Maßnahmen unter Berücksichtigung des Wohles der Bewohner möglich gewesen wären, ist fraglich", hieß es zur Begründung.

Fremd- oder Eigengefährdung ist zu befürchten

In allen Fällen seien "inzwischen" richterliche Beschlüsse zur Genehmigung der freiheitsbeschränkenden Maßnahmen eingeholt worden. Kurzmeier wandte sich ans Justizministerium - und lief ins Leere. Umsonst waren seine Vorstöße dennoch nicht, und das vor allem dank der Hartnäckigkeit des Recherche-Teams vom Bayerischen Rundfunk.

Es blieb an dem Fall dran, dehnte seine Nachforschungen aus und kam zu dem Schluss: In bayerischen Heimen sind Kinder mit geistiger Behinderung freiheitsbeschränkenden Maßnahmen ausgesetzt. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Traunstein wieder in dieser Sache.

Das Problem ist vielschichtiger, als zunächst zu vermuten wäre. Die Kinder und Jugendlichen, um die es hier geht, sind extrem schwierig im Umgang. Bei manchen sei Fremd- oder Eigengefährdung zu befürchten, heißt es auf der Heimseite. Aggressionen hat auch Kurzmeier beobachtet.

In seinem Brief an die Ermittler hielt er in einem Fall fest, das betroffene Mädchen "wehrt sich oft, schreit dann und schlägt gegen die Türe". Andere Jugendliche, die in kastenförmige Spezialbetten eingeschlossen worden seien, hätten ebenfalls aggressiv reagiert. Kurzmeier notierte, das werde "eher durch das Einsperren ausgelöst".

Nächtliche Fixierung eines Kindes ist nicht genehmigungsbedürftig

Gemäß einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 7. August 2013 ist "die nächtliche Fixierung eines Kindes in einer offenen heilpädagogischen Einrichtung keine genehmigungsbedürftige Unterbringungsmaßnahme" - anders als bei Erwachsenen. Und auch das ist Recht: "Die Eltern können die Fixierungsmaßnahme in Ausübung ihrer elterlichen Sorge selbst genehmigen."

Dem BR-Team liegt eine unterzeichnete Einverständniserklärung vor, auf der angekreuzt ist: regelmäßige Zimmereinschlüsse, Auszeitraum (auch "Time-Out-Raum" genannt), Ganzkörperanzüge/Schutzanzüge "evtl. mit Magnetverschluss", Schutz-/Kastenbett. Die betroffene Mutter gab an, ohne diese Einwilligung hätte ihr Kind heute keinen Heimplatz.

Dem Sozialministerium als oberster Aufsichtsbehörde war von all dem nichts bekannt: "Kinder oder Jugendliche mit Behinderung werden nicht in Zimmern oder Time-Out-Räumen eingesperrt", antwortete es auf eine Anfrage der SPD-Abgeordneten Alexandra Hiersemann.

Am Mittwoch korrigierte Ministerin Emilia Müller diese Aussage: Es habe sich "leider bestätigt, dass Time-Out-Räume teilweise abgesperrt werden". Hier bestehe weiterer Klärungsbedarf. Fest stehe: "Es darf in unseren Einrichtungen für behinderte Kinder kein Einsperren als Strafaktion geben", betonte die Ministerin.

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