Freie Wähler:Volle Zustimmung für Aiwanger und das Ziel "Zehn Prozent plus x"

Freie Wähler hoffen auf Erfolg bei Landtagswahl

Wie schon beim Politischen Aschermittwoch (Foto) erklärte Hubert Aiwanger auch bei der Landesversammlung die Finessen der "Aiwanger-Position".

(Foto: dpa)
  • Hubert Aiwanger führt die Freien Wähler als Spitzenkandidat in die bayerische Landtagswahl, er wurde beim Parteitag mit 100 Prozent gewählt.
  • Ziel der Partei ist es, im Herbst mindestens zehn Prozent zu holen und damit erneut in den Landtag einzuziehen.
  • Eine Hauptforderung der Freien Wähler ist eine kostenfreie Kinderbetreuung.

Von Lisa Schnell, Nürnberg

Gäbe es die Sendung "Wetten, dass . . .?" noch, Hubert Aiwanger könnte eine interessante Wette anbieten, die in etwa so lautet: "Wetten, dass ich in unter vier Minuten über 120 Hände schütteln kann?" Kann er. Kaum ist er zum Spitzenkandidaten gewählt, beweist Aiwanger ungeahnte sportliche Aktivität. Er springt von der Bühne und fängt das Schütteln an. Von vorne links alle Reihen durch - schüttel, schüttel - kurze Unterbrechung für ein Bussi auf eine Damenwange und weiter - schüttel, schüttel - bis er vorne rechts die letzte Hand loslässt. Eine Schweißperle glänzt jetzt auf seiner Stirn, er sieht ein wenig außer Atem aus, aber doch sehr zufrieden.

Einstimmig ohne eine einzige Enthaltung wählen die Freien Wähler ihren Chef Hubert Aiwanger zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl. Die Zustimmung der Delegierten in der kleinen Meistersingerhalle in Nürnberg ist keine Überraschung. Denn anders als in der Oper von Richard Wagner, in der sich zwei Bewerber um die Gunst der Angebeteten mühen, tritt bei den FW nur Meistersinger Aiwanger an. Die vier Minuten Applaus nach seiner Rede aber sind weniger selbstverständlich. Sicher, wer hört schon das Klatschen auf, wenn der Vorsitzende noch Hände schüttelt? Und doch hat Meistersinger Aiwanger offensichtlich den richtigen Ton getroffen.

Besonders neugierig sind einige seiner Zuhörer, wie er es mit der Asylpolitik hält. Da ist die Ausgangslage für Aiwanger nicht ganz einfach. Er muss klare Worte finden, aber nicht so klar, dass er in den Verdacht käme, in einen Wettlauf mit der AfD einzutreten. Das hatte er schon mal, etwa vor einem Jahr, als er manchen zu offensichtlich im falschen Lager fischte. Also pendelte sich Aiwanger auf den Kurs der Mitte ein, wo die FW eine Lücke für sich vermuten, wenn die CSU nach rechts rückt. Zuletzt aber konnte der Eindruck entstehen, als sei das Pendel wieder in Bewegung geraten. Im Asylstreit der Union vertrat Aiwanger die Position der CSU, bezeichnete Kanzlerin Angela Merkel als "Totengräberin der Inneren Sicherheit" und riet der CSU, die Koalition zu verlassen.

Jetzt aber hört sich das wieder etwas anders an. "Wir sind keine Zündler, keine Hetzer, keine Ideologen, wir sind Realisten", sagt er gleich zu Anfang und braucht lange, bis er zum ersten Mal das Wort "Flüchtlingspolitik" in den Mund nimmt. 26 Minuten zeigt er, was den FW sonst noch wichtig ist. Da ist die kostenlose Kinderbetreuung, die Aiwanger mit einer Unterschriftenaktion zum neuen Wahlkampfschlager der FW ausruft. Da ist der Hinweis, dass nur, wer das Land stärkt, den Lebensraum in der Stadt erhält. Dahinter steckt auch der Wille, nicht mehr nur die Partei der Landwirte zu sein.

Da ist die harsche Kritik an Ministerpräsident Markus Söder, der mit seinen Milliardenversprechen einen "Vernichtungsfeldzug gegen das bayerische Staatseigentum" führe. Und gleichzeitig die Bereitschaft, mit diesem Söder trotz seiner "Hirngespinste" bald zu regieren. Und dann, ganz zum Schluss, sagt Aiwanger, wie er die Asyldebatte führen will: Mit einem Zungenschlag, der zielführend sei und nicht die ganze Republik vergifte. Stattdessen wirbt er für eine europäische Zusammenarbeit in der Asylpolitik und weniger bayerische "Großkotzigkeit". Aiwanger halte den Kurs in der Mitte, den knapp über die Hälfte der Landtagsfraktion vertritt, sagt der Landtagsabgeordnete Hans Jürgen Fahn. Von den Delegierten erntet Aiwanger Applaus, von den Journalisten bei der Pressekonferenz den Wunsch nach Aufklärung.

Schließlich hatte auch Aiwanger die Kanzlerin aufgefordert, geltendes Recht durchzusetzen - genau wie Seehofer. Ist er jetzt also nicht mehr für Zurückweisungen an der Grenze? "Zurückweisungen alleine funktionieren nicht", sagt Aiwanger. Da Länder wie Österreich bereit sein müssen, die Menschen wieder aufzunehmen, brauche es auch eine europäische Lösung. Seine Position, die vor ein paar Tagen noch die von Seehofer war, ist nun also die von Merkel? So will er das nicht sagen. Es sei die "Aiwanger-Position".

Zur "Aiwanger-Position" gehört es auch an einer möglichen Koalition mit der CSU festzuhalten. Grüne und SPD hatten dies zuletzt aufgrund des Verhaltens der CSU im Asylstreit ausgeschlossen. "Jetzt schnell das Handtuch zu werfen, weil der Söder uns nicht gefällt ist politisch ungeschickt", sagt Aiwanger. Der Wähler könnte da den Eindruck kriegen, eine bürgerliche Regierung gebe es nur mit Söder. "Diesen Spaß machen wir ihm nicht." Außerdem: Wer wisse schon, ob Söder nach der Wahl noch da ist. Als Wahlziel für die FW gilt ab diesem Tag: "Zehn Prozent plus x". Der Landrat von Nürnberg Land, Armin Kroder, war so frei, es in seiner Begrüßungsrede auszugeben und Aiwanger sagt: "Durchaus realistisch." Aktuell liegen die FW zwischen sechs und acht Prozent.

In ihrem Wahlprogramm beschlossen sie unter anderem die Abschaffung der Erbschaftssteuer, die Kürzung von Leistungen für nicht integrationswillige Flüchtlinge und den flächendeckenden Erhalt von Krankenhäusern und Geburtsstationen. Zum ersten Mal diskutieren sie auf einem Parteitag ausgiebig über ihre Inhalte. Während SPD und Grüne oft Hunderte Änderungsanträge abarbeiten, beschlossen die FW ihr Programm bis jetzt meist ohne viele Worte. Diesmal debattierten sie drei Stunden. Ein Zeichen, dass die aus der Kommunalpolitik kommenden FW ihre Skepsis gegenüber der Landespolitik überwunden haben, sagt der Landtagsabgeordnete Thorsten Glauber. Am Ende dann hat Aiwanger, der Rekordhändeschüttler, doch noch eine richtige Wette anzubieten. Warum er sich so sicher ist, dass die CSU mit den FW koalieren wolle und nicht mit der FDP? Weil die nicht reinkomme, sagt Aiwanger. "Dafür leg ich 1000 Euro auf den Tisch."

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