Frankenwein wird knapp:Weinende Winzer

Die Frostnächte im Mai haben Frankens Weinproduzenten in Panik versetzt, die Hälfte der Ernte ist vernichtet. Jetzt schlagen die Winzer Alarm: Der Frankenwein wird knapp.

Olaf Przybilla

Hans Ruck war in Weinheim an der Bergstraße an jenem Abend, als der Frost kam. Der Winzer besuchte eine Weinprobe dort, er erinnert sich an einen kernigen Tropfen, vor allem aber erinnert er sich an diesen Anflug von Panik, der den Kollegen ins Gesicht geschrieben stand: Minusgrade im Mai, das kann einem Winzer die Arbeit eines ganzen Jahres versauen.

Regenwolken über herbstlichen Weinbergen

Die Steilhänge der Weinberge bei Escherndorf können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Frankens Winzer Sorgen haben.

(Foto: dpa)

Ruck ist dann noch in der Nacht zurückgefahren nach Iphofen in Unterfranken, ein flaues Gefühl hatte er schon im Magen während der Fahrt. Andererseits gilt Mainfranken als ein klimatisch gesegneter Landstrich, es wird schon gutgegangen sein, sagte er sich. Am nächsten Morgen ging er früh in den Berg und der erste Mensch, der ihm dort oben begegnete, war ein Kollege aus Iphofen. Der Mann weinte. Wer als Winzer keinen Sinn für Humor mitbringe, sagt Ruck, der habe "seinen Beruf verfehlt". An diesem Morgen aber stand später auch Ruck das Wasser in den Augen.

20 Kilometer weiter nördlich in Mainfranken, hoch über Escherndorf, schneidet Egon Schäffer in diesen Tagen Laub aus dem Hang. Es ist Mittag, im Steilhang - eine der begehrtesten Lagen in Europa - kann man es bei den Temperaturen kaum aushalten. Aber mindestens in der Hochebene muss jetzt die Arbeit gemacht werden, "nutzt ja alles nichts", sagt Schäffer.

Auch ihn hat es schwer getroffen in den Nächten des 4. und 5. Mai 2011, sein Schwarzriesling etwa wurde komplett vernichtet, auch der Bacchus - eher die Rebe für den zur Beschwingtheit neigenden Touristen - wurde vollständig dahingerafft. Trotzdem, sagt Schäffer, sein Familienbetrieb sei "mit einem blauen Auge davongekommen". Am "Lump", jenem Steilhang, an dem sie in Escherndorf Weinprämierungen sammeln wie andere Teekannen, haben die Spitzen-Sorten zum Glück überlebt.

Nicht alle Winzer in Franken können das so sagen und es gibt keinen, der das besser wüsste als Andreas Oehm. Denn erstens ist Oehm Vorstandsvorsitzender der GWF, der Winzergemeinschaft Franken, bei der jene 2400 Weinbauern ihren Ertrag abliefern, die ihn nicht - wie etwa Hans Ruck oder Egon Schäffer - selbst vermarkten wollen. Und zweitens lebt Oehm in der Nähe des Weinortes, der auf den hübschen Namen Beckstein hört. Der wiederum liegt im Taubertal, wo der Frost im Mai besonders verstörend gewirkt hat.

Oehm weiß vom mehreren Winzern, deren Ertrag des Jahres 2011 nahezu komplett vernichtet wurde. Das Taubertal gilt, anders als die Spitzenlagen an den Steilhängen am Main, als Region, in der etwas angebaut wird, das Fachleute wie Oehm einen "Basiswein" nennen. Viele dieser Sorten, etwa der Müller-Thurgau, sind weniger widerstandsfähig - und genau das war das Problem.

Im Durchschnitt hat der Frost im Mai die Hälfte der gesamten Weinernte vernichtet, an der Grenze zu Baden - in Röttingen und Tauberrettersheim - wären sie zum Teil schon froh, wenn sie nur ein Viertel des Ertrages gerettet hätten. Einige der Betriebe, befürchtet Frankens Weinbaupräsident Artur Steinmann, "könnte dieses Jahr in den Ruin treiben".

Alkohol für 20 Cent den Liter

Diese Situation ist neu und sie fühlt sich "schon ein bisschen komisch" an, sagt Andreas Oehm. Denn alle können sie sich noch an die bösen Jahre in Franken erinnern, als die Region mit Ehrgeiz daran arbeitete, den eigenen Ruf möglichst nachhaltig zu ruinieren.

Die heißen Jahren von 1997 bis 1999 waren das, in Mainfranken herrschte damals Goldgräberstimmung: Jeder, der das Wort Rebe unfallfrei buchstabieren konnte, fühlte sich plötzlich berufen, dem Hang möglichst viele Liter abzupressen. Das Dreifache eines üblichen Ertrags lieferten manche ab, am Ende waren die Keller voller vergleichsweise schwer genießbarer Ware - und zuletzt schob man eine Bugwelle von 450 000 Hektolitern Wein vor sich her.

Der Höhepunkt der unguten Schlagzeilen war im Sommer 2002 erreicht, als osteuropäische Händler - trink, Brüderlein, trink! - den Weinsee in Franken abklapperten auf der Suche nach einem Liter Alkohol für 20 Cent. Wein, vor allem der mit dem UTA-Ton - der untypischen Alterungsnote - muss irgendwann entsorgt werden. In Franken waren damals alle Händler willkommen.

Und heute? Der Winzer Ruck sagt, es werde "Engpässe geben". Wer nicht vorgesorgt habe oder wen es zweimal getroffen hat - immerhin verhagelte das Wetter schon den Jahrgang 2010 - werde wohl nur Stammkunden versorgen können.

Was sich vor zehn Jahren wie ein Kalauer angehört hätte, droht Wirklichkeit zu werden: Der Franken-Wein wird knapp. Von einem "historischen Tiefstand in den Kellern" berichtet auch GWF-Chef Oehm. Er hat an die Genossenschaftswinzer einen Appell gerichtet, der früher als gespielter Witz durchgegangen wäre: Bei "Nichtablieferung von Trauben" drohen den Winzern hohe Strafgelder. Damit, so heißt es, solle der "Abwerbung von Flächen durch andere geschädigte Weinbaubetriebe" vorgebeugt werden. "Traube ist Traube, also her damit, sagen sich wohl manche Winzer", erklärt Oehm. Dem müsse man entgegenwirken.

Aber es gibt auch Hoffnung. Karl Schmitt aus Randersacker etwa stand im Mai ebenfalls im Hang, in den Händen erfrorene Triebe. Drei Monate später weiß er, dass niemand auf einen "Spätburgunder 2011" aus seinem Betrieb hoffen darf: Kaum mehr als zwei Eimer voll gesunder Rotwein-Trauben wird er ernten können.

Andererseits könnten jene Weißwein-Reben, die überlebt haben, am Ende einen exzellenten Tropfen hergeben. "Der Stock kann seine Kraft nun auf die paar Reben konzentrieren, die er hat", sagt Schmitt. Es wird einen sehr geringen Jahrgang geben in Franken. Aber es könnte ein besonders guter werden.

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