Forsa-Umfrage:Warum Realschulen so beliebt sind

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Mittelschule und Gymnasium beschäftigen Politiker und Betroffene, dabei sitzen gerade in den Realschulen die Fachkräfte der Zukunft. (Foto: Franziska Kraufmann/dpa)
  • Realschulen erfreuen sich in Bayern und Baden-Württemberg großer Beliebtheit, das belegt eine neue Forsa-Studie.
  • 89 Prozent finden, dass diese Schulform wichtig oder sehr wichtig ist - gerade im Hinblick auf den steigenden Fachkräftemangel.
  • In Bayern machen etwa zwei Drittel der Realschüler nach dem Abschluss eine Ausbildung, ein Drittel besucht eine Fachoberschule.

Von Anna Günther, München

Über Geschwisterkonstellationen gibt es unzählige Studien, die beleuchten wollen, wer welche Rolle in der Familie inne hat. Die ältesten Geschwister tragen demnach Verantwortung, die jüngsten nutzen den Nesthäkchenfaktor. Und die Mittelkinder machen ihr Ding, aber ohne Getöse. Auf das bayerische Schulsystem umgelegt, nimmt die Realschule die Position des Mittelkindes ein.

Mittelschule und Gymnasium beschäftigen Politiker, Eltern und Schüler seit Jahren intensiv, die Realschule ist selten Thema. Für den Bayerischen Realschullehrerverband (BRLV) war das ein Grund, mit einer Forsa-Umfrage die Meinung der Bevölkerung abzuklopfen. Im März befragten die Sozialforscher repräsentativ 1034 Männer und Frauen in Süddeutschland. Heraus kam: Die Wertschätzung der Realschule ist enorm.

89 Prozent finden, dass diese Schulform wichtig oder sehr wichtig ist - gerade im Hinblick auf den steigenden Fachkräftemangel. Die Zustimmung ist unter den 45- bis 59-Jährigen am größten, 53 Prozent gaben an, dass sie die Arbeit der Realschule "sehr wichtig" finden. Dass knapp über die Hälfte der Befragten einen Realschulabschluss hat, überrascht kaum. Doch auch Akademiker würdigen die Arbeit an den Realschulen. Der Großteil der Befragten findet gut, wie an Realschulen anders als am Gymnasium Theorie und Praxis im Unterricht verknüpft werden.

Ein weiterer Fragen-Komplex betrifft die Aufgaben der Realschule: Zur Auswahl standen breite Allgemeinbildung, Werte und soziale Kompetenz sowie die Vorbereitung auf das Berufsleben. Die Unterschiede sind hauchdünn - Allgemeinbildung findet nur ein Prozent mehr Zustimmung unter den bayerischen Befragten als die anderen Bereiche. Interessanter ist der Unterschied in den Altersklassen: Für drei Viertel der 14- bis 29-Jährigen ist das Berufsleben qua Lebensphase deutlich wichtiger als Allgemeinbildung. Die 20 Jahre älteren schieben den Fokus auf Wertevermittlung und soziale Kompetenz.

In Bayern machen etwa zwei Drittel der Realschüler nach dem Abschluss eine Ausbildung, ein Drittel besucht eine Fachoberschule. 40 Prozent der bayerischen Hochschüler kommen nicht vom Gymnasium, sondern von den Fachoberschulen oder studieren nach der Ausbildung. Im vergangenen Schuljahr besuchten 240 000 Kinder und Jugendliche die 368 bayerischen Realschulen, 346 000 lernten an den Gymnasien und 205 000 an den Mittelschulen.

Wie die Realschulen im PISA-Vergleich abschneiden

Die Forsa-Umfrage zielte auf Bayern und Baden-Württemberg ab, in der Befragung unterschieden sich die Antworten in den beiden Bundesländern allerdings kaum. Der zweite Grund für die Untersuchung ist laut Jürgen Böhm, der Vorsitzender des BRLV und des Bundesverbandes ist, der Strukturwechsel im benachbarten Bildungssystem. "Wir befürchten, dass die Qualität verloren geht", sagt Böhm.

Die Realschulen in Bayern stehen im PISA-Vergleich auf dem Niveau der Siegerländer. In Baden-Württemberg sollen die Schulen als Weiterentwicklung vom Schuljahr 2016/2017 an "neben der mittleren auch die grundlegende Niveaustufe anbieten", heißt es auf der Internetseite des baden-württembergischen Kultusministeriums. Damit würden sie auch die Hauptschulabschlussprüfung nach der 9. Klasse anbieten. Die Verbände fürchten nun um die Existenz der Realschule, vermuten die Auflösung in der Gemeinschaftsschule. "Industrie und Handwerk schätzen Realschulabgänger als Bewerber. Deshalb ist dieser Bildungsgang auch in Zukunft unverzichtbar", sagt Irmtrud Dethleffs-Niess, die Verbandsvorsitzende in Baden-Württemberg.

Gemeinschafts- statt Realschule? Derzeit undenkbar

In Bayern ist der Weg zur Gemeinschaftsschule - zumindest derzeit - undenkbar. "Die Realschule ist ein fester Pfeiler im differenzierten bayerischen Schulwesen. Daran wird nicht gerüttelt", sagt Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU). Für ihn sei die Realschule gerade wegen der Verbindung von Theorie und Praxis, von allgemeiner und spezieller Bildung ein Erfolgsmodell. Ähnlich sehen das die bayerischen Firmen. "Aus unseren Mitgliedsunternehmen erhalten wir viele positive Rückmeldungen über die Realschule", sagt Bertram Brossardt, der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW). Die Absolventen bewährten sich in der Regel sehr in ihren Ausbildungsstellen. Eine VBW-Studie zum Fachkräftemangel ergab, dass 2020 bereits 230 000 qualifizierte Arbeiter fehlen werden. Die Unternehmen setzen auch deshalb stark auf berufsbildende Schulen.

Auch für das Handwerk werden Realschüler immer wichtiger, aber die Betriebe wünschen sich eine deutliche Ausweitung der Berufsorientierung im Unterricht. "Gerade gewerblich-technische Berufe könnten noch mehr in den Fokus rücken", sagt Georg Schlagbauer, der Präsident des Bayerischen Handwerkstages. Der Anteil der Azubis mit Mittlerer Reife habe sich seit 2005 auf knapp ein Drittel verdoppelt. Früher lag der Fokus des Handwerks klar auf den Absolventen der Mittelschule. Auch beim zweiten süddeutschen Realschultag in Ulm am Freitag wird der Fachkräftemangel im Fokus stehen.

© SZ vom 13.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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