Flugzeug im Chiemsee:Das Geheimnis in 57 Metern Tiefe

In einer spektakulären Aktion birgt die Feuerwehr ein Flugzeug aus dem Chiemsee - es war wochenlang vermisst.

Heiner Effern

Totale Finsternis in 57 Metern Tiefe, überraschend starke Strömung, Sichtweite bei eingeschalteten Scheinwerfern zwei bis fünf Meter. Im Kegel der starken Lampen liegt ein Flugzeug im Schlamm des Chiemseegrundes, eine Tragfläche ragt in die Höhe. Über der Maschine treibt der gelbe Rettungsschirm, mit dem das Flugzeug vielleicht vor dem Absturz hätte gerettet werden sollen. In der Kanzel sind seit eineinhalb Monaten zwei Tote: der 46-jährige Pilot und sein 49-jähriger Begleiter. Der Rettungsschirm hatte ihnen nicht mehr geholfen. Sie waren mit der Maschine in den See gestürzt.

Bergungsaktion auf dem Chiemsee, dpa

Balanceakt auf dem Wasser: In einer schwierigen Aktion gelang es den Helfern, das Wrack zu bergen.

(Foto: Foto: dpa)

Die Spezialkamera, die am Sonntag das Wrack im Chiemsee entdeckt hatte, liefert nun auch die Bilder für eine ungewöhnliche Bergung: Selbst erfahrene Taucher der Bereitschaftspolizei können sich nicht daran erinnern, ein Flugzeug aus ähnlicher Tiefe geborgen zu haben.

Mitten im Chiemsee zwischen den Orten Chieming und Gstadt schwimmt die Fähre Frauenwörth II, auf ihr steht ein roter Traktor, von dem aus ein Seil mit einem Haken bis hinab in die Tiefe reicht. Mit einem Joystick steuert ein Polizist das Seil in Richtung Flugzeug. Den Haken muss der Polizist mit Hilfe des Joysticks zu dem Rettungsschirm in der Tiefe bringen und dann versuchen, das Flugzeug daran emporzuziehen.

Der Traktorfahrer und die Kameramänner, die das Flugzeug in der Tiefe ausleuchten, müssen viel Feingefühl beweisen, damit sie genügend Schnüre des Rettungsschirms in den Haken einfädeln können. Das gelingt erstaunlich schnell, sofort startet der Traktorfahrer den Motor der Seilwinde, mit dem er das Flugzeug hochziehen will. Nun beginnt der gefährlichste Teil der Aktion, das Anheben des Flugzeugs vom schlammigen Grund.

Doch als die Winde auf Zug geht, löst sich das Flugzeug ohne Probleme aus dem Schlick. Es wird so weit hochgezogen, bis der gelbe Rettungsschirm an der Oberfläche treibt. Nun übernimmt ein Kran die weitere Arbeit. Er steht ebenfalls auf der Fähre und gehört zu einem Polizei-Unimog. Taucher der Bereitschaftspolizei sichern das Wrack unter der Oberfläche mit Gurten, um es sicher auf die Fähre heben zu können. Als Erstes werden an Bord die Leichen geborgen. Die Polizei sichert Spuren, die über die bisher völlig unklare Absturzursache Aufklärung geben sollen.

Rätsel von Beginn an

Das Unglück hatte den Behörden von Beginn an Rätsel aufgegeben. Die beiden Männer waren am 28. November vom Flugplatz Mühldorf-Mößling bei bestem Flugwetter zu einem kurzen Rundflug aufgebrochen und dann spurlos verschwunden. Nach fünf Tagen fand eine Spaziergängerin ein Wrackteil am Ufer des Chiemsees. Trotz aufwendiger Suche gelang es erst am vergangenen Sonntag mit einem speziellen Scanner einer privaten Bergefirma, die verunglückte Maschine zu orten. Bilder der Unterwasserkamera identifizierten am Tag darauf das Flugzeug eindeutig.

Taucher der Bereitschaftspolizei, Mitglieder der Feuerwehr München und zwei Beschäftigte einer privaten Firma rüsteten die Fähre zu einem Bergeschiff um. Schwere Anker wurden an Bord getragen, olivgrüne Schwimmwesten, zwei Tragen und Seile. Der Unimog mit Kran fuhr seine seitlichen Stützen aus, um auch auf Wasser einen festen Stand zu haben. Gegen 10.30 Uhr rief einer auf der Fähre: "Fahren wir, bevor die Bedenkenträger kommen." Ein anderer antwortet: "Die glauben eh, dass wir die Fähre versenken." Trotz der schwierigen Aufgabe herrschte große Zuversicht, das Flugzeug bergen zu können.

Tatsächlich liegt das Wrack am frühen Nachmittag auf der Fähre, die gegen 16.15 Uhr in Gstadt ankommt. Die beiden Toten werden zur Obduktion nach München gebracht. Das Flugzeugwrack wird auf einen gelben Abschleppwagen gehoben, der es in die Kaserne der Bundespolizei nach Rosenheim fährt. Dort wird neben den Beamten der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung auch ein unabhängiger Gutachter die Maschine untersuchen. Denn ob der Absturz ein Unfall oder ein Verbrechen war, ist bisher ungewiss. Noch birgt die Maschine aus dem Chiemsee ein Geheimnis.

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