Flüchtlingspolitik:Die Ministerin der Abschreckung zeigt Gefühl

Flüchtlingspolitik: Die Gespräche mit Flüchtlingen haben Europaministerin Beate Merk bewegt.

Die Gespräche mit Flüchtlingen haben Europaministerin Beate Merk bewegt.

(Foto: Alessandra Schellnegger)
  • Die bayerische Europaministerin Beate Merk ist nach Italien gereist, um sich ein Bild von der Situation der Flüchtlinge zu machen.
  • Im größten Flüchtlingslager Europas auf Sizilien hat sie sich mit Flüchtlingen unterhalten.
  • Die Ministerin galt bisher als kühl - doch die Geschichten der Menschen sind an ihr nicht spurlos vorübergegangen.

Von Sarah Kanning

Schuhen, Mützen und Miniaturboote aus Keramik hat der italienische Künstler Mimmo Paladino an das fünf Meter hohe Tor am Hafeneingang von Lampedusa gehängt. Es sind Gegenstände, die Bootsflüchtlinge bei sich trugen, als sie das Meer zwischen Nordafrika und der italienischen Insel überquerten. "Porta di Lampedusa - Porta d'Europa", "Das Tor von Lampedusa, das Tor von Europa", heißt die Kunstinstallation.

Am Donnerstag stand hier Europaministerin Beate Merk (CSU) und schaute hinaus aufs Meer. Die Ministerin bereiste von Mittwoch bis Freitag Sizilien, Lampedusa und Rom, um sich über die Flüchtlingssituation im zentralen Mittelmeerraum zu informieren und mit den Staatssekretären im italienischen Innen- und Außenministerium drängende Fragen zur Flüchtlingspolitik zu diskutieren. Denn 500 000 bis 600 000 Flüchtlinge sind nach Schätzungen der Grenzschutzagentur Frontex momentan auf dem afrikanischen Kontinent unterwegs. Für viele steht das Ziel fest: Europa. 11 000 Flüchtlinge erreichten im Januar und Februar Italien - das sind doppelt so viele wie im gleichen Zeitraum im vergangenen Jahr.

Schicksal der Flüchtlinge stimmt Merk traurig

Am grauen Meer von Lampedusa, so beschreibt es Beate Merk, sei sie einen Moment ganz allein gewesen. Einer der eindrücklichsten Momente ihrer Reise. "Der Gedanke, dass Menschen über dieses Meer gekommen sind, ist beklemmend", sagt Merk. Eine Überfahrt in einem maroden Boot zu wagen, die vielleicht tödlich endet, weil alles besser ist als ein Leben im Heimatland - eine erschreckende Vorstellung. Einige der Männer und Frauen, die in den vergangenen Jahren am Strand von Lampedusa angekommen sind, traf Merk in Mineo, im größten Flüchtlingslager Europas auf Sizilien. Teilweise waren die Männer und Frauen vier Jahre unterwegs, bis sie es nach Italien geschafft hatten. "Alles junge Leute", sagt die Ministerin. "Was die auf sich genommen haben, welchen Druck sie in ihren Heimatländern erfahren haben, das beschäftigt einen schon lange und stimmt einen traurig."

Es war anfangs viel gelästert worden, als Beate Merk 2013 vom Amt der Justizministerin ins Europa-Ressort wechselte. Ein Gnadenposten, hatte es geheißen. Nach Merks missglücktem Krisenmanagement im Fall Gustl Mollath hatte nicht nur die Opposition gefordert, sie aus dem Amt der Justizministerin zu entlassen. Auch innerhalb der CSU hatten sie wenig Unterstützung. Merk hatte schlecht kommuniziert, Fehler der Justiz zu spät offen angesprochen. Inzwischen ist sie seit eineinhalb Jahren bayerische Staatsministerin für Europaangelegenheiten und regionale Beziehungen. Ein kleiner Posten, nicht gerade im Fokus der Medien - doch Merk scheint angekommen zu sein. Sie reist an wichtige Orte der Flüchtlingspolitik, war in den vergangenen Monaten mehrmals in Osteuropa, im Libanon. Mitte April geht es in die Vereinigten Staaten, um über TTIP zu verhandeln, dann Israel und Spanien.

Ihr Ton hat sich verändert

Wirkte Beate Merk lange eher wie eine Ministerin der Abschreckung, die in den Kosovo oder nach Serbien reiste, um Flüchtlingen noch vor ihrer Abreise klarzumachen, dass sie in Deutschland keine Chance auf Asyl haben, so hat sich ihr Ton inzwischen verändert. Als hätten die Geschichten und persönlichen Schicksale der Flüchtlinge, die Merk sowohl im Libanon als auch jetzt in Italien erfahren hat, und die Freundlichkeit, mit der sie den Gast empfingen, etwas bewegt in der Ministerin, der oft Gefühlskälte vorgeworfen worden war. Als hätten die oft beängstigenden Zahlen ein Gesicht bekommen.

Beate Merk hat sich viel vorgenommen in der Asylpolitik. Sie fordert einen EU-Gipfel zur Flüchtlingspolitik, der sich an folgenden Zielen orientieren soll: Flüchtlinge aufzunehmen, die wirklich verfolgt sind, Schlepperbanden zu verfolgen, Asylverfahren von Asylbewerbern aus sogenannten sicheren Herkunftsländern zu beschleunigen. Vor allem aber sollen die Fluchtursachen bekämpft werden. Europa soll sich dafür einsetzen, dass Menschen, die momentan in ihrem Heimatländern keine Chance haben, dort wieder eine Zukunft sehen. "Jeder Euro, den wir dort investieren", sagte Merk, "ist hundert Mal besser investiert, als wenn wir damit in Deutschland ein Asylverfahren finanzieren." Die Politik dürfe sich nicht zurücklehnen, solange "Flüchtlinge vor unseren Küsten durch das skrupellose Handeln von Schleppern ertrinken".

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