Flüchtlingspolitik:Bayern bangt um ausgeglichenen Haushalt

  • Wegen der vielen Flüchtlinge, die Bayern erreichen, muss der Freistaat möglicherweise neue Schulden aufnehmen - obwohl der ausgeglichene Haushalt ein großes politisches Ziel der CSU ist.
  • Das Kabinett hat in einer Sitzung am Montag zudem besprochen, wie die Neuankömmlinge möglichst untergebracht werden können.

Von Daniela Kuhr und Wolfgang Wittl

Der große Zuzug von Flüchtlingen und Asylbewerbern stellt die bisherige Finanzplanung der bayerischen Staatsregierung für das nächste Jahr infrage. Sogar der ausgeglichene Haushalt ist in Gefahr - was bedeuten würde, dass Bayern erstmals seit elf Jahren wieder Schulden aufnehmen müsste.

"Wir müssen durchaus daran denken, dass wir in so eine Situation kommen könnten, aber wir werden alles dafür tun, dass das nicht passiert", sagte Staatskanzleichef Marcel Huber (CSU) am Montag nach einer Kabinettssitzung in München: "Der ausgeglichene Haushalt ist der Markenkern, den wir mit Zähnen und Klauen verteidigen wollen."

In welchen Bereichen das Kabinett handeln will

Das Kabinett hat sich am Montag mit der Frage befasst, wie sich die große Zahl von Flüchtlingen integrieren lässt. In den vergangenen Wochen sei es überwiegend darum gegangen, schnell für Unterkünfte und Versorgung der ankommenden Asylbewerber zu sorgen. Doch "es kommt eine Phase danach", sagte Huber. Die Menschen, die bleiben dürften, müssten integriert werden - in den Arbeitsmarkt, den Wohnungsmarkt und generell in die "sozialen Systeme".

Nur wenn das gelinge, werde ein "vernünftiges Zusammenleben ermöglicht", sagte der Staatskanzleichef. Die Stimmung im Kabinett bezeichneten Teilnehmer als "ernst, aber gut". Im Moment sei große Geschlossenheit zu spüren, Ministerpräsident Horst Seehofer genieße für seine Politik breiten Rückhalt.

Um die Integration von Flüchtlingen zu fördern, definierte das Kabinett mehrere Bereiche, in denen dringend gehandelt werden müsse. Ganz oben steht das Thema Sprachvermittlung. Sie soll künftig verstärkt angeboten werden - sowohl in Kindergärten, Schulen und Berufsschulen als auch in der Erwachsenenbildung. Dazu müssen Erzieher und Lehrer geschult und das Personal insgesamt deutlich aufgestockt werden.

Kultusminister Ludwig Spaenle hatte zum Schulstart 910 Übergangsklassen angekündigt, in denen Flüchtlinge sprachlich besonders gefördert werden sollen. Inzwischen geht die Staatsregierung von bis zu 3200 solcher Klassen aus.

Wie viele Flüchtlinge für längere Zeit in Bayern bleiben

"Etwa 20 Prozent der Menschen, die zu uns kommen, sind Analphabeten", sagte Huber. Zwei Drittel hätten keinen Berufsabschluss, "nur zehn bis 15 Prozent sind Akademiker". Vor diesem Hintergrund habe bereits Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) festgestellt, dass wohl gerade mal zehn Prozent der ankommenden Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integrierbar seien, sagte Huber. Deshalb müsse nun alles getan werden, um so viele wie möglich schnellstmöglich in Arbeit zu bringen. Auch hierzu sollen die zuständigen Ministerien konkrete Vorschläge erarbeiten.

Dringenden Handlungsbedarf sieht das Kabinett auch beim Wohnungsmarkt. Bayern müsse dieses Jahr mit bis zu 130 000 Flüchtlingen rechnen, sagte Huber. Davon werde etwa die Hälfte "hier bleiben". All diese Menschen bräuchten eine Wohnung. "Der private Wohnungsmarkt wird das womöglich nicht allein stemmen." Deshalb erwartet Bayern zum einen dringend finanzielle Unterstützung vom Bund, will aber seinerseits auch die Bauvorschriften so reformieren, dass schneller gebaut werden kann. Auch an eine steuerliche Förderung für private Investoren wird gedacht.

Wie Söder die tatsächlichen Kosten berechnen will

Welche Kosten aus all diesen Maßnahmen erwachsen und inwieweit sie den bayerischen Staatshaushalt belasten, darüber wurde am Montag noch nicht im Detail gesprochen. "Heute ging es nur darum, eine Aufgabenliste zu erstellen, aus der wir dann in wenigen Wochen konkrete Handlungsschritte ableiten", sagte Huber.

Finanzminister Markus Söder sagte der SZ, die Kosten ließen sich erst seriös nach der Beantwortung dreier Fragen beziffern: Welche Flüchtlingszahlen seien zu erwarten? Zu welchen Standards müssten Asylbewerber versorgt werden? Und mit welchem Betrag beteilige sich der Bund? Söder bekräftigte seine Forderung, die Zahl der Asylbewerber sowie die Standards in der Versorgung zu senken. Weder dürften die Leistungen für Bürger reduziert, noch neue Schulden gemacht werden, sagte Söder. Am ausgeglichenen Haushalt sei "nicht zu rütteln". Denkbar ist in Regierungskreisen jedoch, mit der Schuldentilgung vorübergehend auszusetzen.

Was die Opposition fordert

In der CSU spricht man von der "Woche der Entscheidung". Am Mittwoch treffen sich die Staats- und Regierungschefs der EU zu einem Flüchtlingsgipfel, tags darauf kommen die Ministerpräsidenten der Länder mit der Bundeskanzlerin in Berlin zusammen. Dort gehe es insbesondere "auch um finanzielle Fragen", sagte Huber.

In der CSU ist man der Ansicht, dass der Bund erheblich zu den Problemen beigetragen habe, weil durch die Ankündigung von Kanzlerin Angela Merkel, die Grenzen zu öffnen, deutlich mehr Menschen gekommen seien. Daher müsse sich der Bund auch an den entstandenen Kosten beteiligen.

Für SPD-Landtagsfraktionschef Markus Rinderspacher hätte sich die Staatsregierung "die Sitzung komplett sparen können". Statt substanzieller Beschlüsse seien nur Absichtserklärungen erfolgt. Hubert Aiwanger, Chef der Freien Wähler, forderte eine "drastische" Reduzierung von Flüchtlingen aus sicheren Herkunftsländern sowie "gezielte Leistungskürzungen, mehr Asylrichter und konsequente Abschiebung". Erst dann sei die Integration "der wirklich Asylberechtigten" möglich.

Begleitend zum Kabinett wird sich Landtagspräsidentin Barbara Stamm für die CSU mit dem Thema Integration befassen. Bis zum Parteitag im November will die stellvertretende CSU-Chefin Vorschläge entwickeln. Der Arbeitsgruppe sollen Leute aus der Praxis angehören, etwa ehrenamtliche Helfer oder der Leiter einer Arbeitsagentur, sagte Stamm.

Ziel sei es, Flüchtlinge in Arbeit zu bringen und ihnen schnell die deutsche Sprache zu vermitteln. "Alleine mit den Schulen ist das nicht zu schultern", sagte Stamm. Grundsätzlich gehe es darum, ein Aufeinanderprallen der Kulturen zu verhindern. Integration könne nur unter "der großen Überschrift Wertevermittlung" funktionieren. Der Freistaat müsse einerseits allen hier bereits angekommenen Menschen gerecht werden. Andererseits müssten Flüchtlinge bereit sein, die neue Kultur anzuerkennen.

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