Flüchtlingsandrang:Bayerns Politik im Krisenmodus

Flüchtlingsandrang: Dieser gebrauchte Feuerwehrwagen soll in Zukunft im Libanon eingesetzt werden. Fraktionschef Hubert Aiwanger übergab die Spende der Freien Wähler.

Dieser gebrauchte Feuerwehrwagen soll in Zukunft im Libanon eingesetzt werden. Fraktionschef Hubert Aiwanger übergab die Spende der Freien Wähler.

(Foto: fw)

Die CSU drängt auf Obergrenzen für Flüchtlinge, SPD und Grüne fordern eine bessere Koordination der Behörden

Von D. Kuhr, L. Schnell, W. Wittl

Für einen Politiker wie Hubert Aiwanger, der sich als Pragmatiker versteht, ist dieser Termin wie gemacht. Der Chef der Freien Wähler steht mit ein paar Fraktionskollegen vor dem Landtag, dahinter ein großes rotes Feuerwehrauto, das er gleich feierlich dem Kabarettisten Christian Springer für dessen Hilfsorganisation "Orienthelfer" spenden wird. Mit einem Handbuch auf Arabisch wird das Auto von Hamburg aus zu seinem neuen Einsatzort in den Libanon verschifft, man wolle Hilfe zur Selbsthilfe leisten, sagt Aiwanger. Ein paar hundert Meter weiter tagt währenddessen das bayerische Kabinett, es geht um Abschiebungen und die dramatischen Verhältnisse an der Grenze zu Österreich, die Flüchtlinge zu Tausenden überschreiten. Um im Bild von Aiwangers Feuerwehrauto-Termin zu bleiben: Es brennt lichterloh an den bayerischen Grenzen.

Wie sehr es brennt, zeigen ein paar Zahlen, die Innenminister Joachim Herrmann (CSU) nach der Kabinettssitzung bekannt gibt. Demnach sind allein am Wochenende 15 000 Flüchtlinge über die österreichisch-bayerische Grenze gekommen. Am Montag kamen weitere 10 000. Dem Vernehmen nach waren sie von der österreichischen Regierung in Bussen bis wenige hundert Meter vor die Grenze gefahren worden - ohne Ankündigung, ohne Versorgung. Dieses Verhalten sei "unverantwortlich, skandalös und beispiellos", sagt Herrmann am Dienstag. Zumal die Bundespolizei den Österreichern zuvor angeboten habe, Flüchtlinge an fünf bestimmten Grenzübergängen in Empfang zu nehmen. Doch die Österreicher hätten sie stattdessen an die grüne Grenze gefahren. "Das ist ein absichtliches Umgehen der Grenzkontrollen", sagt Herrmann. Der Bund müsse dafür sorgen, dass das abgestellt werde.

Dazu gehört nach Meinung der CSU vor allem, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) endlich ein klares Signal aussendet: Deutschland könne nicht unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen. Solange dieses Signal ausbleibe, "solange die Bundesregierung sagt, die Leute dürfen alle hier einreisen nach Deutschland", hätten die Österreicher "keine große Veranlassung, die Flüchtlinge aufzuhalten", sagt Staatskanzleichef Marcel Huber (CSU). Auch Landräte aus Niederbayern forderten die Kanzlerin auf, Merkel müsse die Situation mit ihrem österreichischen Kollegen endlich klären. Sie schlossen sich damit Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) an. Er sei betroffen "über das Ausmaß an Ratlosigkeit", hatte Seehofer tags zuvor gesagt.

Auf die Vorwürfe aus Bayern erwiderte der österreichische Kanzleramtsminister Josef Ostermayer (SPÖ): "Bundeskanzler Werner Faymann ist in engstem Kontakt mit Kanzlerin Angela Merkel." Auch auf höchster polizeilicher Ebene habe es am Montagabend Telefonate gegeben, heißt es aus Regierungskreisen. Auf den Vorwurf, Österreich würde das Recht brechen, wenn es unregistrierte Flüchtlinge einfach weiter nach Deutschland schicke, antwortete Ostermayer: "Wenn die Flüchtlinge einmal unterwegs sind, geht es nur mehr darum zu entscheiden, versorgt man die Menschen medizinisch und mit Nahrungsmitteln oder lässt man sie erfrieren."

Die Grünen haben am Dienstag sieben Punkte formuliert, mit denen sie in den Flüchtlingsgipfel gehen wollen, zu dem Seehofer die bayerische Opposition für Freitag eingeladen hat. "Wir werden uns auf keinen Fall an einem Wettbewerb um die effektivsten Abschottungsmaßnahmen beteiligen", kündigte Fraktionschefin Margarete Bause an. Ihr Kollege Ludwig Hartmann sagte, das Chaos an den ostbayerischen Grenzen sei erst durch die Grenzkontrollen und die Schließung des Drehkreuzes in München entstanden. Dieses müsse möglichst schnell wieder in Betrieb genommen werden, fordern die Grünen.

Innenminister Herrmann sagte dazu, es sei allein Entscheidung der Bahn gewesen, keine Züge mehr von Österreich nach München durchfahren zu lassen. Das Unternehmen hatte das beschlossen, weil die Kontrollen an der Grenze den Zugverkehr zu sehr beeinträchtigt haben. Seither werden die Flüchtlinge direkt an der Grenze aufgegriffen - und von dort aus von der Bundespolizei innerhalb Deutschlands verteilt.

Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hat nach eigenen Angaben der Staatsregierung bereits vor zwei Wochen angeboten, wieder Flüchtlinge aufzunehmen. Im Rathaus herrscht dem Vernehmen nach eine gewisse Ratlosigkeit, warum der Freistaat das Angebot nicht annimmt. Doch Sozialminister Emilia Müller (CSU) erklärt, es handele sich lediglich um Notunterkünfte, die überwiegend zum Übernachten ungeeignet seien. "Die sind wichtig, wenn auf einen Schlag 2000 Menschen ankommen", was aber seit Einführung der Kontrollen an der Grenze in München nicht mehr passiere. Für die Verteilung der Flüchtlinge, die jetzt an der Grenze ankämen, sei dagegen die Bundespolizei zuständig. Die aber bringe die Flüchtlinge nicht in Notunterkünfte, sondern in Erstaufnahmeeinrichtungen.

Um Abschiebungen zu beschleunigen und Kreisverwaltungen zu entlasten, hat das Kabinett beschlossen, alle Verfahren bei den Bezirksregierungen anzusiedeln. Damit zentralisiert Bayern seine Rückführungen. Dazu sollen an den Bezirksregierungen landesweit 750 neue Stellen geschaffen werden. Bause nannte das Vorgehen von Innenminister Herrmann einen "regelrechten Skandal", einerseits "bei Nacht und Nebel Abschiebungen zu inszenieren". Andererseits hätten viele Flüchtlinge gar keine Möglichkeit, das Land freiwillig zu verlassen, "weil ihre Pässe von den Behörden verschlampt wurden". Aber natürlich müssten Menschen, die kein Bleiberecht in Deutschland hätten, wieder abreisen.

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