Asyl:Wie evangelikale Christen Flüchtlinge bekehren wollen

Asyl: Ein Wohnzimmer als Gebetsraum: Bibelstunde bei Jürgen Grau (links), mit Tee und Schokoriegeln. Zu Gast sind zwei irakische Kurden.

Ein Wohnzimmer als Gebetsraum: Bibelstunde bei Jürgen Grau (links), mit Tee und Schokoriegeln. Zu Gast sind zwei irakische Kurden.

(Foto: Christina Hertel)

Die Amtskirchen halten sich mit dem Missionieren zurück. Der Evangelikale Jürgen Grau aus Fürth kann das nicht verstehen. Ein Besuch in seiner Bibelstunde für Kurden.

Von Christina Hertel und Johannes Reichart, Fürth

Deutschland ist ein christenfeindliches Land, davon ist Jürgen Grau überzeugt. Denn viele hier verstehen seine Arbeit nicht, schimpfen sogar darüber. Für ihn ist es ein Rätsel, warum. Grau ist Missionar. Er versucht, Andersgläubigen, besonders Muslimen, das Christentum näherzubringen. Seit einiger Zeit muss er dafür nicht mehr in ferne Länder reisen. Wegen der vielen Flüchtlinge kann er inzwischen quasi direkt vor seiner Haustüre arbeiten.

Samstagnachmittag, die Sonne scheint. Grau steht vor der Erstaufnahmeeinrichtung in Zirndorf bei Fürth. Er trägt ein braunes Sakko, ausgetretene schwarze Turnschuhe. "Ich wollte auch mal Millionär werden", sagt er und man hört sofort, dass er aus Franken kommt. "Aber dann habe ich Gott kennengelernt." Ein Freund erzählte ihm vom Christentum und nahm ihn mit in seine Gemeinde.

Grau ist evangelikaler Christ. Evangelikale legen die Bibel meist wörtlich aus, sich Gott zuzuwenden, wird als bewusste Entscheidung gesehen. Deshalb werden Evangelikale oft erst als Erwachsene getauft. Wichtig ist vielen auch, Andersgläubige zu missionieren. Für Grau ist diese Aufgabe zu seiner Berufung geworden, zu seinem Lebensmittelpunkt. Gleichzeitig ist Missionierung für ihn kein Privatvergnügen. Er ist ein Vertreter des Arbeitskreises für Migration und Integration der Evangelischen Allianz in Deutschland, eines Netzwerks von Freikirchen.

"Ich mache wundervolle Musik und spreche zu Gott"

Sein Kofferraum ist voll mit Bibeln in fremden Sprachen, Broschüren, Kalendern, sogar Malbücher für Kinder hat er dabei. Heute will er die Flüchtlinge zu einem Begegnungsabend in seiner Freikirche in Fürth einladen. Damit die Kontaktaufnahme besser klappt, fährt Grau nie alleine zu den Unterkünften. Heute ist Riva dabei, ein kurdischer Flüchtling aus dem Irak, der bloß seinen Vornamen sagen möchte.

Er soll beim Übersetzen helfen, doch es geht ihm nicht gut. Er hat Bauchschmerzen und ist blass. Grau betet, Gott möge Riva gesund machen. Dann kommen die ersten Flüchtlinge aus der Unterkunft, zwei Afrikaner. Grau hastet auf die Männer zu und drückt ihnen den Flyer in die Hand. "Ich mache wundervolle Musik und spreche zu Gott. Ich kann euch Hoffnung geben", sagt er zu ihnen in einem Englisch, das nach Lothar Matthäus klingt. Die zwei runzeln die Stirn und gehen weiter. Grau ist enttäuscht. "Riva, du musst freundlicher gucken", fordert er seinen Begleiter auf.

Doch es gibt auch Flüchtlinge, die sich über Graus Angebot freuen. Anderen sieht man an, dass sie gerne weglaufen würden, aber nicht unhöflich wirken möchten. "Hallelu, hallelu, hallelu, halleluja", singt Grau, nimmt die Hand eines Flüchtlings und schwingt sie im Takt. Der Flüchtling lächelt, geht danach aber weiter.

Evangelikale Christen wie Jürgen Grau, aber zum Beispiel auch die Zeugen Jehovas missionieren vor Flüchtlingsunterkünften in ganz Bayern. Das ist nicht verboten. Doch in der Stadt und dem Landkreis München beschwerten sich Mitarbeiter der Caritas und der Diakonie, weil Missionare unerlaubt eingetreten sind.

Wenn die Bekehrungsversuche erfolgreich sind, kann das gravierende Folgen haben. Eine Caritas-Mitarbeiterin aus dem Landkreis München, die ihren Namen nicht in der Zeitung veröffentlicht sehen will, schreibt, dass eine Kongolesin nach ihrem Anschluss an die Zeugen Jehovas die Therapie ihrer posttraumatischen Belastungsstörung beendet habe. Man habe ihr gesagt, sie brauche nur ihren Glauben.

Immer mal wieder beherbergt Grau Flüchtlinge

Die Helfer wissen oft nicht, wie sie mit solchen Missionierungsversuchen umgehen sollen. Eine andere Mitarbeiterin der Caritas, die in einer Unterkunft in Pfaffenhofen arbeitet und ebenfalls anonym bleiben möchte, sagt, dass echte Hilfsbereitschaft und Missionierung meist nicht zu unterscheiden seien. Das trifft auch auf Jürgen Grau zu. Er bezeichnet sich nicht als Missionar, sondern als Sozialarbeiter. Denn er ist davon überzeugt, Flüchtlingen zu helfen. Und auf eine Weise tut er das auch. Riva, sein Übersetzer, wohnt bei ihm zu Hause in einem eigenen Zimmer. Auf dem Schreibtisch steht ein Bild vom letzten Abendmahl, die Bibel liegt aufgeschlagen da. Immer mal wieder beherbergt Grau in dem Zimmer Flüchtlinge.

Montags bietet Grau eine Bibelstunde für kurdische Flüchtlinge an. Eigentlich hätte sie schon beginnen sollen, aber noch niemand ist da. "Ruf ihn noch mal an, Riva, ja? Sag, wir können ihn auch abholen", sagt Grau. Er versteht nicht, was los ist. Beim letzten Mal waren doch auch so viele da. Riva ruft mehrere Nummern an. Am Ende holt er zwei Flüchtlinge ab. Mit einer Stunde Verspätung geht es los. Sie sitzen im Wohnzimmer, es gibt Tee und Schokoriegel, hinter ihnen steht ein riesiges Kreuz.

Grau spielt auf seiner Trompete "Amazing Grace". Die zwei Flüchtlinge sind Muslime, interessieren sich aber schon länger für den christlichen Glauben. Dass sich die Bibelstunde speziell an kurdische Flüchtlinge richtet, ist kein Zufall. Das Gebiet Kurdistan, sagt Grau, spiele in der Bibel eine besondere Rolle. Der Garten Eden soll dort liegen. Später hat sich in dem Gebiet der Islam verbreitet. "Mit sehr viel Gewalt", sagt Grau, in den Händen hält er eine alte Karte vom Nahen Osten. "Die Muslime hatten mit den Kurden nie eine gute Verbindung." Eine Anspielung darauf, dass zum Beispiel die Türkei ihnen die Gründung eines eigenen Kurdenstaats verweigert.

Vieles, was die Missionare erzählen, hört sich nach Pegida an

Asyl: Der Missionar Jürgen Grau hat Bibeln in allen möglichen Sprachen auf Vorrat, auch für seine kurdischen Besucher.

Der Missionar Jürgen Grau hat Bibeln in allen möglichen Sprachen auf Vorrat, auch für seine kurdischen Besucher.

(Foto: Christina Hertel)

Grau ist, was das Ringen um die Flüchtlingsseelen betrifft, kein Einzelkämpfer. Es gibt mittlerweile Bibeln in fast allen Sprachen der Welt, Hefte mit Titeln wie "Kurds in the Bible", Homepages, die in die deutsche Lebensweise einführen und gleichzeitig auf die christlichen Wurzeln des Landes hinweisen.

Besonders gerne verteilt Grau kleine Speicherkarten für das Handy, auf denen in mehr als 25 Sprachen das Evangelium und ein Jesus-Film abgespeichert sind. Die katholische Kirche und auch die evangelische Landeskirche treten an Flüchtlinge weniger offensiv heran. Mitarbeiter des katholischen Wohlfahrtsverbands Caritas zum Beispiel müssen unterschreiben, dass sie in den Unterkünften nicht missionieren.

Grau kann das nicht verstehen. Er sagt, die Caritas und das evangelische Pendant, die Diakonie, hätten sich von ihren christlichen Wurzeln entfernt. Für ihn ist der Glaube ein Geschenk, und er fühlt sich dazu verpflichtet, es an andere weiterzugeben. An manchen Tagen telefoniert er stundenlang mit Flüchtlingen, besucht sie, organisiert Bibelkreise und Deutschkurse, fährt zu anderen Kirchen, um sich auszutauschen, steht vor Flüchtlingsunterkünften und wartet darauf, jemandem eine Bibel in die Hand zu drücken.

Wovon er lebt? "Gott sorgt für mich." Tatsächlich ist er auf Spenden von anderen Christen angewiesen, aber Grau glaubt nicht an Zufälle. "Wenn ich bete, geht es in Erfüllung", sagt er. Zum Beispiel hat er Gott um ein billiges Haus gebeten. Kurze Zeit später konnte er direkt neben seiner Kirche eins kaufen.

Grau befürwortet den Kampf gegen ein Islamzentrum

Die Evangelische Allianz, katholische und evangelische Kirche haben sich eigentlich auf Richtlinien bei der Missionierung geeinigt. Zum Beispiel ist es unzulässig, andere Religionen schlechtzumachen. Doch wo fängt das an? Grau zum Beispiel erzählt, dass man im Islam lügen dürfe, was ja im Christentum verboten sei. "Das führt zu Misstrauen selbst unter den eigenen Landsleuten", sagt er und klingt etwas empört.

Der Generalsekretär der Evangelischen Allianz, Hartmut Steeb, sieht an dieser Art von Missionierung nichts Falsches. Er sagt, er sei ohnehin dafür, dass man einen weltweiten Wertekatalog erstelle. "Ich würde fragen, ob jemand bessere Werte hat als die, die uns vom Biblisch-Christlichen gegeben sind."

Steeb hat zehn Kinder, gilt als homophob und als Kritiker der sogenannten Gender-Ideologie. Das hört sich nach Pegida an. Tatsächlich unterstützt Jürgen Grau den Rechtspopulisten Michael Stürzenberger, der den Münchner Ableger der Organisation gründete. Besonders dessen Kampf gegen ein Islamzentrum in München hält Grau für richtig. Die Frage, wie viele Flüchtlinge Deutschland aufnehmen kann, ist für ihn schwer zu beantworten. "Es gibt bestimmt Grenzen", sagt er.

Gleichzeitig sei es für ihn als Christ ein Gebot der Nächstenliebe zu helfen. Er war sogar im Flüchtlingscamp Idomeni und in einem Lager im Irak. Mit im Gepäck: die Speicherkarten mit dem Jesus-Film. "Aber ich will nicht, dass das irgendwie falsch rüberkommt", sagt er. "Es geht mir immer darum, den Menschen zu helfen."

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