Flüchtlinge:Protest oder Zurückhaltung - Bayerns Landräte sind sich uneinig

Flüchtlinge in Passau

Neuankömmlinge werden von der Bundespolizei in Passau erfasst. Inzwischen sank die Zahl auf weniger als tausend Flüchtlinge am Tag.

(Foto: Armin Weigel/dpa)

Bayerns Landräte tragen die politische und organisatorische Hauptlast, wenn es um die Bewältigung der Flüchtlingskrise geht.

Von SZ-Autoren

Vor nicht allzu langer Zeit wäre das noch undenkbar gewesen: Ein CSU-Landrat fordert Kanzlerin Angela Merkel zum Rücktritt auf. "Für den Fall, dass sie ihre Flüchtlingspolitik nicht ändert, muss sie zurücktreten", sagt der Augsburger Landkreischef Martin Sailer.

Der Traunsteiner Landrat Siegfried Walch (CSU) kündigt in einem Brief an die Kanzlerin an, keine weiteren Flüchtlingsunterkünfte mehr suchen zu wollen. Sein Mühldorfer Kollege Georg Huber (CSU) fordert Durchgriffsrechte gegen die Gemeinden und "Sondereinrichtungen" für Flüchtlinge, die Schwierigkeiten machen. Warum denken die Landräte so - und was sagen ihre Kollegen? Die SZ hat nachgefragt.

Martin Sailer (CSU)

"Es kommen schwere Monate auf uns zu", sagt Martin Sailer. "Bei uns ist der Wohnungsmarkt ohnehin schon völlig überhitzt, auch auf dem Arbeitsmarkt werden wir viele nicht integrieren können." Deshalb befürchte er, "dass die Sozialabgaben bald durch die Decke schießen werden".

Zudem machten sich die Menschen Sorgen um die Sicherheit. Nach seiner Rücktrittsforderung hat Sailer jede Menge Mails und Briefe bekommen. "Die Reaktionen waren durchweg positiv", beteuert er, es habe "vereinzelt Kritik" gegeben, aber "95 Prozent Zustimmung".

Oswald Marr (SPD)

Der Kronacher SPD-Landrat Oswald Marr nimmt die Kanzlerin in Schutz. Eine Rücktrittsforderung wie CSU-Kollege Sailer "würde ich nicht machen", sagt er. "Frau Merkel hat es schwer genug, da kann man auf so was gut verzichten." Die Lage sei auch in Kronach ernst, keine Frage.

Aber "Hilfeschreie in dieser Form" halte er für wirkungslos: "Da ist auch viel Populismus dabei." Auch die ehrenamtlichen Helfer im Kreis Kronach klagten, wenn weiter so viele Flüchtlinge kämen, würde es eng werden. "Aber die Menschen sind nun mal da, die kann man nicht wegdiskutieren, also müssen wir uns kümmern."

Heinrich Trapp (SPD)

Marrs Kollege und Parteifreund Heinrich Trapp, Landrat in Dingolfing-Landau, sagt: "So kann es nicht weitergehen." Das hat er auch schon diversen Bundesministern geschrieben, Andrea Nahles zum Beispiel und Thomas de Maizière, aber auch dem SPD-Chef Sigmar Gabriel.

Und diese Woche wird er einen Brief an Merkel verfassen. 800 000 Euro pro Monat kostet die Unterbringung und Betreuung der aktuell 1300 Flüchtlinge in Trapps Landkreis. Und ob sich die alle wirklich integrieren lassen, da hat Trapp immer stärkere Zweifel.

Tamara Bischof (Freie Wähler)

Dass es so auf keinen Fall weitergehen kann, davon ist auch die Kitzinger Landrätin Tamara Bischof (Freie Wähler) überzeugt. Sie sagt aber auch, dass sie ein probates Mittel, wie eine Änderung zu erreichen wäre, bisher nicht gehört hat. Der Wohnraum in Kitzingen sei knapp, noch mehr aber sorgt sich die Landrätin darum, dass sie kein geeignetes Personal bekommt: "Wir schreiben Stellen aus, aber es meldet sich niemand."

Momentan gehe es nur darum, dafür zu sorgen, dass die Flüchtlinge ein Dach über dem Kopf haben, versorgt werden und die Stimmung einigermaßen positiv bleibe. "Für eine richtige Integration aber fehlen Zeit, Personal, die passenden Instrumente und eine Koordinierung."

Großunterkunft für 350 Flüchtlinge

Christian Bernreiter (CSU)

Christian Bernreiter, CSU-Landrat in Deggendorf und Chef des Landkreistags, hat Kanzlerin Merkel schon wiederholt gesagt, dass der Zuzug gestoppt werden müsse. Am Mittwoch trifft er sie erneut: "Natürlich werde ich ihr wieder erklären, dass wir so nicht mehr weitermachen können." Und zwar mit allem Nachdruck.

"Denn seit den Ereignissen in der Silvesternacht in Köln ist die Stimmung völlig gekippt", sagt Bernreiter. "Egal in welche Versammlung ich gehe, die Leute haben kein Verständnis mehr dafür, dass wir immer noch mehr Flüchtlinge aufnehmen." Derzeit leben 1100 Flüchtlinge im Landkreis, nächste Woche öffnet eine Großunterkunft für 350 weitere. "Ende März werden wir 1700 haben."

Thomas Eberling (CSU)

Der Landkreis Schwandorf liegt nicht an einer Hauptflüchtlingsroute, deswegen gebe es freilich viel weniger Probleme als in Passau oder Rosenheim, sagt Landrat Thomas Eberling (CSU). Er muss noch keine Turnhallen zu Flüchtlingsunterkünften umfunktionieren, deswegen sei auch die Stimmung in der Bevölkerung recht gut - besonders gegenüber "dem konkreten Flüchtling".

Dennoch müsse sich bald was ändern. "Auf Sicht fahrend können wir das noch bewältigen", sagt er, aber die Zahl der Asylbewerber müsse begrenzt werden. Die Bemühungen von Merkel um eine europäische Lösung hält er für richtig, allerdings nicht für ausreichend.

Martin Wolf (CSU)

Martin Wolf (CSU) aus Pfaffenhofen an der Ilm hat eine klare Devise: Wenn Flüchtlinge kommen, bringt er sie unter, notfalls in 200-Personen-Einheiten, Bett an Bett. "Aber an Integration ist dann nicht mehr zu denken", betont er. "Es muss jetzt was passieren. Nicht in Monaten, sondern in Wochen brauchen wir eine spürbare Erleichterung."

Wolfgang Rzehak (Die Grünen)

"Wir sollten ein bisschen runter von den Emotionen alle miteinander", rät der grüne Landrat von Miesbach, Wolfgang Rzehak. Fast täglich neue Forderungen und fast wöchentlich neue Ultimaten vor allem seitens der CSU hält Rzehak nicht für den richtigen Weg.

Vielmehr müsse sich mancher Kollege fragen, ob er mit allzu viel Populismus nicht die Sorgen und Ängste der Bürger und damit das ganze Problem nur vergrößere, statt es zu lösen. "Es ist eine Aufgabe, die uns wirklich fordert, aber dafür sind wir auch gewählt."

Mangel an Bauland und Unwille bei den Bürgern

Erwin Schneider (CSU)

Der Landkreis Altötting stößt laut Landrat Erwin Schneider (CSU) mit seinem dezentralen Unterbringungskonzept bald an seine Grenzen. Noch mehr Flüchtlinge in größeren Einrichtungen unterzubringen wäre aus Schneiders Sicht logistisch nicht das größte Problem.

Allerdings scheitere das Akquirieren neuer Unterkünfte schon jetzt an der wachsenden Angst der Bürger - und zwar ganz unabhängig davon, ob diese Sorgen berechtigt sind. "Wir habe es am Anfang übertrieben mit der Willkommenskultur, und jetzt übertreiben wir es auf der anderen Seite. Wir müssen besser die Balance wahren", sagt Schneider und erinnert daran, dass viele Flüchtlinge kommen, um Leib und Leben zu retten.

Georg Grabner (CSU)

Im Berchtesgadener Land ringt Georg Grabner (CSU) in der Flüchtlingsfrage mit mehreren Problemen. Die Übergabe der Neuankömmlinge an der Grenze bei Freilassing habe sich inzwischen gut eingespielt, doch schon in wenigen Monaten werde sein Landkreis keine weiteren Menschen mehr dauerhaft aufnehmen können.

Denn weitere Unterkünfte zu schaffen werde aus schlichtem Mangel an Bauland und wegen des wachsenden Unwillens bei den Bürgern immer schwieriger und schon sehr bald ganz unmöglich sein. Für seinen Landkreis "völlig unerträglich" sei der Art der Grenzkontrollen mit den Staus.

Tanja Schweiger (Freie Wähler)

Die Regensburger Landrätin Tanja Schweiger (Freie Wähler) fordert klare Strukturen für die Integration. "Wenn jemand zu mir in den Landkreis kommt, muss der ab der dritten Woche irgendeine Maßnahme kriegen", sagt sie. "Und wer nicht hingeht, kriegt kein Geld." Man könne die Flüchtlinge nicht länger "per Zufall und Ehrenamt" integrieren.

Straffällige Asylbewerber möchte sie schneller abschieben. Damit die anerkannten Flüchtlinge untergebracht werden könnten, brauche es ein staatliches Anreizprogramm für Bauherren. Flächendeckend müsse gebaut werden, sagt sie. 15 Flüchtlinge pro Dorf - dann könne das funktionieren.

Wolfgang Berthaler (CSU) sieht in seinem Landkreis Rosenheim bei derzeit 3100 Flüchtlingen noch Platz für etwa 1000 weitere. Dann werde es auch in seinem Landkreise keine menschenwürdigen Unterkünfte mehr geben. Er warnt vor Konflikten zwischen den Landratsämtern als staatlichen Behörden und Gemeinden. "Auf Dauer wird es nicht mehr gehen."

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