Flüchtlinge in Oberbayern:Szenen der Verzweiflung

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Als Flüchtlinge erfahren, dass sie noch drei Monate in einer Turnhalle in Raubling bleiben sollen, rasten einige aus. Das war nur eine Frage der Zeit, sagt der Landrat.

Von Heiner Effern, Raubling

Am Dienstagnachmittag, als der Frust ihrer einquartierten Gäste offen losbrach, stand die Raublinger Schulleiterin Kathrin Hörmann-Lösch am Eingang ihrer Turnhalle. Sie hörte lautes Geschrei, eilte auf die Zuschauertribüne, und blickte hinab auf die Dielen, auf denen normalerweise ihre Gymnasiasten herumturnen. Dort stehen nun Betten für fast 200 Asylbewerber. "Von einigen waren die Matratzen heruntergerissen", sagt sie. Ein paar Metallgestelle seien halb zusammengeklappt gewesen. Laut Polizei waren sie kaputt. Unrat lag auf dem Boden verteilt. "Zwei Männer haben auf einen Eimer eingetreten", sagt die Schulleiterin. Szenen, wie sie in ihrer Schulturnhalle noch nie vorgekommen sind. Es waren offenbar Szenen der Verzweiflung.

Eine Betreuerin hatte den Bewohnern der Turnhalle laut Mitteilung des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd kurz davor eröffnet, dass sie weitere drei Monate hier leben sollen. Dass sie weiter in Bettenreihen schlafen sollen, die nur von einem Bauzaun mit Sichtschutz voneinander getrennt sind. Dass sie keine Perspektive haben, einmal für sich zu sein. Dass manchen Menschen aus einem solchen Grund ausrasten, das könnte man noch öfters erleben, fürchtet der Rosenheimer Landrat Wolfgang Berthaler (CSU). Nicht nur in seinem Landkreis, sondern in ganz Bayern. "In Großunterkünften ist das vorprogrammiert", sagt er. Menschen, denen in ihrer Heimat der Himmel in Deutschland versprochen worden sei, erlebten nun, wie sie von Turnhalle zu Turnhalle verschoben werden. "Das kann nicht gut gehen."

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Doch auch der Rosenheimer Landrat hat sich nicht mehr anders zu helfen gewusst. Bis Juni wurden ihm etwa 20 bis 25 Asylsuchende pro Woche zugewiesen. In der Regel schaffte es sein Amt, die Flüchtlinge in Wohnungen und Pensionen unterzubringen. Doch nun landen pro Woche 57 Neuankömmlinge in seinem Landkreis. "Es gib keine Wohnungen mehr", sagt Berthaler. Erst im Herbst sollen die bestellten Wohncontainer geliefert werden, von denen er sich Entspannung erhofft.

Der Landrat, die Schulleiterin und auch der Raublinger Bürgermeister Olaf Kalsperger (CSU) verurteilen Gewalt. Sie sind auch nicht begeistert, wenn am Dienstagnachmittag etwa 20 Polizeiautos zum Gymnasium rasen und das Oberbayerische Volksblatt am Tag danach schreibt: "Flüchtlinge proben den Aufstand". Aber sie sehen auch, dass Menschen, die oftmals schon von den Ereignissen in der Heimat oder auf der Flucht traumatisiert sind, gerade in den großen Unterkünften aus dem Gleichgewicht geraten können.

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"Bei so großen Einheiten muss man in Zukunft aufpassen", sagt der Bürgermeister. Doch Aufmerksamkeit hätten beide Seiten nötig. Die Asylsuchenden, aber auch die Einheimischen. "Es gibt viele, die Verständnis haben, aber wenn man die auf Dauer überbeansprucht?" Kalsperger lässt die Antwort offen. Im Rathaus, sagt er, kommen immer wieder verunsicherte Menschen an, die angesichts von immer mehr Flüchtlingen in Bayern fragen würden: "Wie lange geht das noch so weiter?"

Szenen wie am Dienstag bedienen Vorbehalte oder auch Ängste. Schulleiterin Hörmann-Lösch wurde angesprochen, ob denn tatsächlich Polizisten an der Turnhalle gerufen hätten, Anwesende sollten "aus der Schusslinie" gehen. Sie selbst und auch das Präsidium Oberbayern Süd dementieren solch Worte. Von einem Aufstand könne ebenfalls keine Rede sein, sagt die Schulleiterin, sie wolle ausdrücklich "auf keinen Fall Hysterie aufkommen lassen". Gleichwohl legt sie Wert auf die Feststellung: "Eine Schulturnhalle ist nicht der richtige Ort für eine solche Unterkunft. Für beide Seiten nicht."

Das weiß auch Sozialministerin Emilia Müller, doch angesichts von 70 000Flüchtlingen, die der Freistaat 2015 erwartet, fehlen ihr die Alternativen. "Ziel ist deshalb, die Turnhallen nur vorübergehend als Unterkünfte zu nutzen, wenn andere Kapazitäten nicht mehr ausreichen", sagte ein Ministeriumssprecher. Die Asylbewerber sollten aber baldmöglichst in reguläre Unterkünfte verlegt werden. Lokalpolitiker wie der Raublinger Bürgermeister Kalsperger fühlen sich bei solchen Aussagen "allein gelassen von der großen Politik".

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Diesen Mangel verwalten oder abfedern sollen die Sozialverbände und die vielen Helfer, die sich freiwillig für Asylbewerber engagieren. Doch angesichts stetig steigender Flüchtlingszahlen sagt Susanne Podchul von der Rosenheimer Diakonie, die mit anderen Sozialverbänden die Unterkunft in Raubling betreut: "Wir sind zu wenig Hauptamtliche. Wir müssen die Ehrenamtlichen zu oft alleine lassen." Die seien oft am Ende ihrer Kräfte, aber gleichzeitig mit ihren Angeboten wie Sprachkurse oder Ausflüge wichtig, um Frustrierte auf andere Gedanken zu bringen. Man könnte schon noch mehr dagegen tun, sagt Susanne Podchul. "Aber dafür ist kein Geld da." Noch erlebt sie die Grundstimmung gegenüber Asylbewerbern als positiv. "Doch das ist eine sehr filigrane Geschichte, die Stimmung droht zu kippen."

© SZ vom 25.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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