Flüchtlinge in Niederbayern:"Die größten Schleuser sind die Österreicher"

Flüchtlinge in Niederbayern: Sie kommen über eine Grenze, die eigentlich keine Grenze ist, sondern eine Feldstraße, die durch ein kleines Waldstück über ein Bächlein führt.

Sie kommen über eine Grenze, die eigentlich keine Grenze ist, sondern eine Feldstraße, die durch ein kleines Waldstück über ein Bächlein führt.

(Foto: Francois-Weinert)

Im niederbayerischen Breitenberg sind in zwei Wochen 10 000 Menschen angekommen. Die Bewohner dort sind sauer - auf die Österreicher.

Von Andreas Glas, Breitenberg

Bernhard Hartl hat den Reißverschluss seines Anoraks bis unters Kinn gezogen. Es ist kalt, es ist spät am Abend, aber es wird nicht dunkel vor Hartls Haustür. Seit zwei Wochen strahlt nachts das Flutlicht, beleuchtet das Zelt, das sie nebenan aufgestellt haben. Erst waren es nur ein paar Menschen, die aus dem Wald über die Grenze kamen, die sich vor Hartls Gartenzaun in die Wiese hockten. Dann wurden es immer mehr und irgendwann stand der Bürgermeister vor der Tür und fragte die Hartls, ob sie auf der Wiese neben dem Haus ein Zelt aufbauen dürfen. Die Hartls haben Ja gesagt, die Nächte werden kälter in Breitenberg. "Da ist doch klar, dass man was tun muss", sagt Bernhard Hartl. "Aber jetzt haben wir die Weltpolitik direkt vor der Nase."

Im Zelt haben sich ein paar Dutzend Flüchtlinge in Decken gewickelt, trinken Tee und Kakao aus Plastikbechern, kleine Kinder sausen zwischen Biertischen herum. Zwei, drei Stunden bleiben sie hier, dann bringt sie ein Bus nach Passau, wo sie registriert werden. Mehrere hundert Menschen kommen jeden Tag in Breitenberg an, insgesamt waren es mehr als 10 000 in den vergangenen zwei Wochen. Sie kommen über eine Grenze, die eigentlich keine Grenze ist, sondern eine Feldstraße, die durch ein kleines Waldstück über ein Bächlein führt, das Deutschland an dieser Stelle von Österreich trennt.

Neben dem Zelt, hinter einem rot-weißen Absperrband, steht Klaus Weidinger, 34, Kreisrat, Lederjacke, Dreitagebart, die Hände in den Hosentaschen, es hat ja kaum fünf Grad. Weidinger hat schlechte Laune. Nicht wegen der Kälte, sondern wegen der österreichischen Polizei, die keinen der Flüchtlinge registriert, aber einen nach dem anderen über die Grenze winkt. Und wegen der Bürger in Julbach, auf der anderen Seite der Grenze. Die Julbacher helfen der Polizei, die Flüchtlinge möglichst schnell außer Land zu bringen. "Die fahren die Leute bis 50 Meter vor die Grenze, lassen sie aussteigen, dann holen sie die nächsten", sagt er, "das ist echt krass."

Am nächsten Morgen macht die Dämmerung sichtbar, wie strategisch die Österreicher den Grenzverkehr nach Breitenberg organisiert haben. Wer die sechs Kilometer von Julbach nach Breitenberg fährt, sieht am Straßenrand Schilder, auf denen die schwarz-rot-goldene Flagge abgebildet ist, auf denen "Germany" steht, dazu ein Pfeil, der den Flüchtlingen den Weg nach Breitenberg weist. Es sind viele, die an diesem Freitagmorgen unterwegs sind. Alle paar hundert Meter marschiert eine Gruppe junger Männer am Straßenrand, Männer mit Rucksäcken und Anoraks, die immer wieder stehen bleiben und mit ihren Smartphones Fotos machen von der Hügellandschaft, von den Kühen und den Pferden, die entlang der Strecke grasen.

Der Landrat will eine Quotenregelung

Um neun Uhr gibt es den ersten Stau in Breitenberg. "Please wait", ruft ein Bundespolizist den Flüchtlingen zu, die zu Dutzenden aus dem Wald kommen. Ein Spalier aus Flatterbändern weist ihnen den Weg, etwa 80 junge Männer stehen in einer Schlange. Es ist wie am Flughafen: Die Polizisten winken einen nach dem anderen aus der Schlange, die jungen Männer legen ihre Rucksäcke auf einen der fünf Biertische, die von der Polizei der Länge nach zu einer Kontrollstraße zusammengeschoben wurden. Mit Plastikhandschuhen durchwühlen die Polizisten das Gepäck, tasten jeden Flüchtling ab, nehmen Fingerabdrücke, dann geht es ins Zelt, wo sie sich ausruhen dürfen, wo sie etwas zu essen kriegen.

Im Passauer Landratsamt, 45 Autominuten von Breitenberg entfernt, sitzt Landrat Franz Meyer (CSU) in seinem Büro und sagt: "Es kann nicht sein, dass der Landkreis Passau mehr Flüchtlinge hat als so manches europäische Land." 1800 Menschen seien dauerhaft im Landkreis untergebracht, dazu 3300 unbegleitete Minderjährige und die Durchreisenden. Nicht nur in Breitenbach treffen Tausende ein, auch am Passauer Hauptbahnhof und der grünen Grenze in Neuhaus am Inn. "Wir brauchen eine Quotenregelung", um die Flüchtlinge gleichmäßig auf Europa zu verteilen, sagt Meyer. Leider scheitere die Quote "am Egoismus einiger Mitgliedstaaten".

Mehr Flüchtlinge als manch ein Land in Europa

Landrat Meyer hat diesen Egoismus dokumentiert und abgeheftet. Er legt eine Mappe auf den Tisch, zieht ein Blatt Papier heraus. Eine Landkarte, auf der eine grün markierte Linie den Weg vom österreichischen Julbach ins bayerische Breitenberg zeigt, am Ende der grünen Linie hat jemand mit Kugelschreiber "Border Germany" geschrieben. Die Julbacher verteilen diese Landkarten an die vielen Flüchtlinge, die jeden Tag in ihrem Dorf eintreffen. Busse bringen die Flüchtlinge aus Wien, aus dem Burgenland und anderen Teilen Österreichs nach Julbach, wo sie für einige Stunden in einer Stockschützenhalle untergebracht und dann über die Grenze geschickt werden. Das habe die österreichische Regierung so organisiert, sagt Meyer, "ein Unding" sei das.

Flüchtlinge in Niederbayern: In den vergangenen zwei Wochen zählte die Bundespolizei allein in dem Bayerwald-Ort 10000 Flüchtlinge.

In den vergangenen zwei Wochen zählte die Bundespolizei allein in dem Bayerwald-Ort 10000 Flüchtlinge.

(Foto: Francois-Weinert)

Drüben in Julbach sitzt Wolfgang Sonnleitner im Vereinsheim der Stockschützen auf einer Eckbank. Es steht gleich neben der Sporthalle, in der sie 250 Feldbetten aufgestellt haben und Dutzende Flüchtlinge darauf warten, dass sie eine Landkarte in die Hand gedrückt bekommen und los marschieren dürfen nach Breitenberg, nach Germany. Wolfgang Sonnleitner, 50, ist Kommandant der Bezirkspolizei, ein drahtiger Mann mit Lachfalten um die Augen. "Die tun uns auf jeden Fall leid", sagt er. Er meint nicht die Flüchtlinge, er meint die Deutschen, die sich um all die Flüchtlinge kümmern müssen.

Die meisten Flüchtlinge kennen Österreich nicht

Dass die Flüchtlinge unregistriert nach Deutschland weiterziehen, ist für Sonnleitner keine Entscheidung Österreichs, sondern die Entscheidung der Flüchtlinge. "Viele fragen, ob wir Australien sind", sagt er, "ich glaube, dass 80 Prozent der Syrer und Afghanen Österreich gar nicht kennen. Darum wollen sie auch nach Deutschland." Man könne die ja nicht mit Gewalt in Österreich festhalten, sagt Sonnleitner.

Er erfülle nur den Auftrag der Politik, sagt Sonnleitner. "Der Auftrag lautet, dass die Flüchtlinge hier in Empfang genommen und verpflegt werden, sie können hier die Kleider wechseln, dann können sie sich frei bewegen." Außerdem sorge man dafür, dass die Flüchtlinge nicht alle auf einmal nach Breitenberg marschieren, sondern grüppchenweise und in zeitlichen Abständen, um die deutsche Bundespolizei nicht zu überlasten. Und diejenigen Flüchtlinge, die nachts ankommen, "die regen wir dazu an, dass sie über Nacht dableiben, weil es zu gefährlich ist, dass sie sich verlaufen."

Zurück in Breitenberg. Es ist Mittagszeit, Josef Lamperstorfer schaut im Zelt vorbei, der Bürgermeister aus dem 15 Kilometer entfernten Wegscheid. Seine Assistentin notiert, was die Flüchtlinge im Zelt alles bekommen: Tee, Toast, Kekse. Sie notiert das, weil die Julbacher Stockschützen ihre Halle in einer Woche wieder selbst brauchen, weil die Flüchtlinge dann über die Grenze bei Wegscheid gelotst werden. "Die größten Schleuser sind die Österreicher", sagt Lamperstorfer. Er habe in Wegscheid bereits eine Halle im Auge, die gut heizbar ist, das sei das Wichtigste. Dass der Andrang vorbei ist, wenn der erste Schnee fällt, darauf will sich Lamperstorfer lieber nicht verlassen.

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