Flüchtlingspolitik:CSU-Fraktionschef bringt Änderung des Grundgesetzes ins Spiel

  • Thomas Kreuzer, Chef der CSU-Landtagsfraktion, hat die Schweiz besucht, um sich anzusehen, wie die Schweiz Asylverfahren abwickelt.
  • Die Schweiz hat bereits vor drei Jahren ein 48-Stunden-Verfahren eingeführt.
  • Kritik kommt aus den Reihen der SPD-Landtagsfraktion und deren Chef Markus Rinderspacher.

Von Lisa Schnell und Wolfgang Wittl, München/Zürich

Eine Kunstfigur aus gleißendem Metall, strahlender Sonnenschein, Häuserfassaden aus verspiegeltem Glas - alles blitzt und funkelt in dieser Ecke von Zürich. Erst recht die Augen von Thomas Kreuzer. Das Thema Asyl beschäftigt den Chef der CSU-Landtagsfraktion seit Monaten mehr als alles andere. Doch am Mittwoch rumort es in ihm noch mehr als sonst.

Es gehe nicht an, poltert Kreuzer, wie sich die meisten europäischen Nachbarn in der Asylfrage gemütlich zurücklehnten und zusähen, wie Deutschland mit dem Problem fertig werde. "Europa muss handeln", sagt Kreuzer. Die Verantwortung müsse gemeinschaftlich getragen werden. Noch habe er die Hoffnung nicht aufgegeben. Aber wenn sich die anderen Länder weiter verweigern, ihren Anteil an Flüchtlingen aufzunehmen? Was dann?

Kreuzer hält das Grundgesetz nicht mehr für unantastbar

Thomas Kreuzer ist der Mann für ungewöhnliche Vorschläge. Die Idee der CSU, europäische Aufnahmezentren für Flüchtlinge in Nordafrika zu errichten, stammt von ihm. Sein neuster Coup: Auch das Grundgesetz hält er nicht mehr für unantastbar. Sollte Europa sich nicht bewegen, müsse man eben "innerstaatliche Gesetze und europäische Verträge ändern". Rechtlich sei so ein Alleingang möglich, sagt Kreuzer. Denkbar etwa sei, dass Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten bereits in den Botschaften ihre Anträge stellten - und sich den Weg nach Deutschland damit sparen könnten.

Eigentlich ist Kreuzer mit ein paar Fraktionskollegen nach Zürich gefahren, um sich einen Testbetrieb für beschleunigte Verfahren anzusehen. In höchstens 140 Tagen will die Schweiz Asylverfahren abgewickelt haben. Es bewähre sich, dass alle Vorgänge unter einem Dach zusammengefasst würden, sagt Barbara Büschi, die stellvertretende Direktorin des Staatssekretariats für Migration.

Die Schweiz hat vor drei jahren ein 48-Stunden-Verfahren eingeführt

Die Verfahren würden um 30 Prozent beschleunigt. Die Qualität der Entscheide habe dabei sogar noch zugenommen. Für Balkanflüchtlinge, welche die bayerische Staatsregierung demnächst in zwei Aufnahmezentren zusammenfassen will, hat die Schweiz bereits vor drei Jahren ein 48-Stunden-Verfahren eingeführt. Seitdem ist die Zahl der Anträge aus Ländern wie Kosovo und Mazedonien um 90 Prozent gesunken. Kreuzer ist beeindruckt: "Ich würde sagen, dass das ein Modell für Deutschland ist."

Die Ideen, die Kreuzer in der Schweizer Sonne gekommen sind, kann SPD-Fraktionsschef Markus Rinderspacher in München nur bedingt gut heißen. Grundgesetzänderungen lehnt er ab und rät Kreuzer, "das Grundrecht auf Asyl nicht aus tagesaktueller Parteitaktik" in Frage zu stellen. Gegen die von Flüchtlingsrat und Grünen stark kritisierten Aufnahmezentren für Balkanflüchtlinge hat er prinzipiell aber nichts. Die Idee, Kompetenzen an einem Ort zu bündeln, stamme aber nicht alleine von Ministerpräsident Horst Seehofer, auch wenn der es gerne so verkauft.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Regierungschefs der Länder haben schon am 18. Juni Ähnliches beschlossen. In dem Protokoll, das der SZ vorliegt, kommen Bund und Länder überein, die "Gesamtaufenthaltsdauer für Asylbewerber aus Herkunftsländern mit besondres niedriger Schutzquote" - wie dem Kosovo - zu verkürzen. Das solle durch "Clustern von Verfahren" und die "Bündelung von Entscheidern" erfolgen. Diese Zentren dann aber als "Abschiebelager" für Balkanflüchtlinge zu bezeichnen, kritisiert Rinderspacher. Das sei eine "Stigmatisierung von Flüchtlingen", die er ablehne. Balkanflüchtlingen pauschal "Asylmissbrauch" vorzuwerfen, wie es Seehofer tue, sei eine "harte, unbarmherzige Asylpolitik". Er fordert von Seehofer stattdessen eine "Politik des warmen Herzens".

Seehofer verzichte auf öffentliche Auftritte

Seehofer sei der einzige Regierungschef, der noch nie ein Flüchtlingsheim besichtigt habe. Jeden Tag würden in Deutschland Unterkünfte brennen. "Spätestens nach den jüngsten Anschlägen muss Seehofer vor Ort Gesicht zeigen", fordert Rinderspacher. Kreuzer weist die Kritik zurück: Der Ministerpräsident wisse sehr genau, wie es in Flüchtlingsheimen aussehe. Nur verzichte er in diesem Fall auf öffentliche Auftritte.

Dass auch Kanzlerin Angela Merkel am Mittwoch eine Unterkunft im sächsischen Heidenau besucht habe, sei ja in Ordnung. Doch "Besuche allein reichen nicht. Ich fordere Berlin auf, endlich zu handeln", sagt Kreuzer. Statt sich ständig an den Bund zu wenden, solle die CSU ihre "Hausaufgaben in Bayern machen", fordert dagegen sein Kollege von der SPD und wirft ihr ein "hochrangig defizitäres Organisationsmanagement" vor.

"Die Schweiz hat genügend Personal"

Den Trip in die Schweiz hätte sich Kreuzer sparen können. Rinderspacher könne ihm sagen, warum die Schweizer ein Verfahrenin 48 Stunden abwickeln, die Bayern in der Zeit aber gerade mal die Daten aufgenommen haben: "Die Schweiz hat genügend Personal". In Bayern aber fehle es an jeder Ecke. Die Haftanstalten seien überfüllt, die Verwaltungsrichter kämen mit den Verfahren nicht mehr hinterher. Doch 50 neue Richterstellen, die die SPD beantragt habe, seien von der CSU abgelehnt worden. Sie sei damit "mitverantwortlich für die Verlangsamung der Verfahren", so Rinderspacher.

"Es müssen Tarifbeschäftigte neu eingestellt werden", sagt er - bei der Bundespolizei, der Ausländerbehörde und am Gericht. Mehr Richterstellen seien "vorstellbar", sagt CSU-Chef Kreuzer. Alleine mit Personal könne das Problem aber nicht gelöst werden. Stattdessen müsse der Flüchtlingsanstieg "mit allen Mitteln" gestoppt werden. Nach seinen scharfen Vorwürfen betonte Rinderspacher noch: "Wir brauchen eine konsensorientierte Zusammenarbeit. Die SPD ist dazu bereit." Zum Asylgipfel Anfang September hat sie Seehofer - sehr zu Rinderspachers Bedauern - aber nicht eingeladen.

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