Asylpolitik:Flüchtlingsrat wirft Behörden Härte im Umgang mit Schutzbedürftigen vor

Familiennachzug von Flüchtlingen

Der Bayerische Flüchtlingsrat wirft Behörden einen immer härter werdenden Umgang mit Schutzbedürftigen vor.

(Foto: dpa)
  • Der Bayerischen Flüchtlingsrat wirft Behörden vor, immer härter mit Schutzbedürftigen umzugehen.
  • Schwangere, Kranke und Familien würden durch das Vorgehen der Behörden in Dublin-III-Fällen einer desaströsen Situation ausgesetzt.
  • Im Dublinverfahren wird geprüft, welches europäisches Land für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.

Von Dietrich Mittler

Am Freitagmorgen war Sulaiman Tarawally für 16 Minuten und 32 Sekunden wieder in Bayern - aber nur digital am Bildschirm. Per Liveschaltung berichtete er über seine Abschiebung nach Italien. Es war im Mai dieses Jahres, als er zunächst in Abschiebehaft kam und von seiner mittlerweile siebenjährigen Tochter getrennt wurde.

Dann der für ihn folgenreiche Fehler bayerischer Polizeibeamter, die ihm zwar vorschriftsmäßig die Originalpapiere abnahmen, aber später bei der Abschiebung im Juni nicht mehr aushändigten. Die Folge: Zurück in Italien - dort, wo er nach der Flucht aus seiner afrikanischen Heimat Sierra Leone zum ersten Mal europäischen Boden betreten hatte - seien ihm und dem Kind aufgrund der fehlenden Dokumente Asylunterkunft und Verpflegung verweigert worden.

Von all dem berichtet Tarawally an diesem Freitagmorgen. Sein Oberkörper bäumt sich auf, die Stimme wird laut, als er auf die Wegnahme der Papiere zu sprechen kommt: "Sie haben mich gezwungen, haben mich gezwungen." In Italien landete der 30-Jährige mit dem Kind buchstäblich auf der Straße. Ordensschwestern rieten ihm, das Mädchen auf einer Polizeistation der Obhut der Behörden zu übergeben. Das tat er. Das Kind lebt nun vorerst bei einer Pflegefamilie.

Petra Haubner, Rechtsanwältin aus Passau, die diesen Fall betreut, spricht von einem Drama. Tarawally und seine Frau hatten sich zur Flucht entschieden, um dieses Mädchen zu schützen. Ihre ältere Schwester war nach einem Beschneidungsritual verblutet. "Davor wollte er die jüngere Tochter bewahren", sagt Haubner. Auf der Flucht erlitt Tarawallys schwangere Frau einen Abgang. Auch sie verblutete.

Tarawally kam in Italien an, wurde dort von den Behörden registriert. Da er für sich und sein Kind in Deutschland eine bessere medizinische und psychologische Behandlung erhoffte, sei er hierher gekommen, geht aus den Akten hervor. Für die deutschen Behörden klang das offenbar nicht glaubwürdig.

"Vermehrt finden Dublin-Abschiebungen von besonders schutzbedürftigen Menschen aus Bayern statt"

Kurz bevor Tarawally gemäß der Dublin-III-Verordnung die Chance gehabt hätte, in Deutschland einen Asylantrag stellen zu können, holte die Polizei ihn und sein Kind aus dem Transitzentrum Deggendorf ab. Aus Sicht des Bayerischen Flüchtlingsrats ist das ein Bruch mit den humanitären Grundsätzen dieser Gesellschaft. Aber da sei das Schicksal von Tarawally und seiner Tochter kein Einzelfall.

"Vermehrt finden Dublin-Abschiebungen von besonders schutzbedürftigen Menschen aus Bayern statt", sagt Jana Weidhaase vom Flüchtlingsrat. Schwangere, Kranke und Familien würden durch das immer härtere Vorgehen der Behörden in Dublin-III-Fällen einer desaströsen Situation ausgesetzt, in der sich die Flüchtlinge weitgehend selbst überlassen blieben.

Adama K., auch aus Sierra Leone, hätte mit ihrem nun fünfjährigen Sohn ebenfalls nach Italien abgeschoben werden sollen. Letztlich rettete sie davor ihre fortgeschrittene Schwangerschaft - doch für viele andere schwangere Flüchtlingsfrauen laufe es nicht so glücklich, stellt Heike Barnes vom Frauennotruf München klar. Dabei hätten etliche von ihnen - auf der Flucht vergewaltigt und in der Folge schwanger geworden - psychologische Betreuung nötig. Hilfe, die sie nach der Abschiebung nicht mehr bekämen.

Adama K. wird den Berechnungen der Ärzte zufolge an diesem Wochenende ihr Kind auf die Welt bringen, ein Mädchen. Da auch diesem Kind in der Heimat die Beschneidung drohen würde, wird der Asylantrag für die nun bald dreiköpfige Familie wohl erfolgreich sein, hofft Anwältin Petra Haubner.

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