Flüchtlinge:"Die Leute schauen mich anders an"

Diskusionsrunde mit Jugendlichen im Nuernberger Club 402 der AWO

Diskusionsrunde mit Jugendlichen im Nürnberger Club 402 der AWO.

(Foto: www.roggenthin.de)

Junge Flüchtlinge haben gehofft, in Deutschland Frieden zu finden. Seit den Anschlägen von Würzburg und Ansbach haben sie Angst: vor Anschlägen und vor den Reaktionen auf der Straße.

Von Dietrich Mittler, Nürnberg

Shahab Alizai ist vom ganzen Auftreten eher der Typ Sozialarbeiter: freundlich, aufgeschlossen, engagiert. Der Asylbewerber aus Afghanistan - momentaner Status "geduldet" - will demnächst eine Pflegeschule besuchen. Ein Blick ins Gesicht des 22-Jährigen verrät: Das ist einer, der anderen Menschen wohlwollend begegnet. Doch Alizai geht momentan nicht mehr gerne aus dem Haus. Seitdem ein 17-jähriger Afghane in einem Regionalzug nahe Würzburg mit einem Beil Mitreisende schwer verletzt hat, ist für Shahab Alizai die Welt nicht mehr so wie früher.

Eine heile Welt war es zwar ohnehin nie, aber irgendwie war sie für den 22-Jährigen doch noch berechenbarer. Er selbst war 17, als er ohne Eltern nach Deutschland kam, auch er hat in Bulgarien auf seiner Flucht Schlimmes erlebt - so wie der Selbstmordattentäter von Ansbach. "Aber ich würde doch niemals so etwas machen", sagt er mit Blick auf die jüngsten Terrorakte. Dabei könne er jetzt ebenfalls nicht sagen, dass es ihm besonders gut geht - erst recht nicht seit dem Erlebnis vor ein paar Tagen.

Alizai war mit ein paar Freunden beim Fußballspielen. Danach gingen sie zur Bushaltestelle, um "heimzufahren" - in die Asylunterkunft an der Regensburger Straße. Die jungen Männer scherzten und lachten, als plötzlich eine alte Frau auf sie zukam und sagte: "Was wollt ihr hier? Warum geht ihr nicht in euer Land, ihr Terroristen?"

Seitdem geht Shahab Alizai nur noch aus dem Haus, wenn er einen Termin hat oder etwas Wichtiges besorgen muss, was sich nicht verschieben lässt. "Die Leute schauen mich komplett anders an als früher", sagt er. Als die alte Frau ihn und seine Freunde beschimpfte, fehlten Alizai die Worte - obwohl er inzwischen gut Deutsch spricht. "So wie da mit mir umgegangen wurde, hatte ich plötzlich das Gefühl, kriminell zu sein. Dabei finde ich es doch auch furchtbar, wenn ein Asylbewerber so ein Verbrechen begeht wie das in Würzburg oder in Ansbach", sagt er. Aber nun gehen die deutschen Schulkameraden in der Berufsschule auf ihn zu und fragen, was er denn da in der Tasche habe - doch nicht etwa auch ein Messer? "Die sagen das natürlich aus Spaß, aber ich fühle mich gar nicht gut dabei", sagt Shahab Alizai.

Dass der 22-Jährige an diesem Tag in den Club 402 der Nürnberger Arbeiterwohlfahrt gekommen ist, hat wahrscheinlich nur einen Grund: Dankbarkeit gegenüber Nicole Schwenger, einer jungen Sozialpädagogin, die bereits seit sechs Jahren dort arbeitet. Der Club, kürzlich in München mit dem Bayerischen Asylpreis ausgezeichnet, bietet den Flüchtlingen neben der regulären Asylsozialberatung unter anderem auch noch Hausaufgabenbetreuung, Billard, Tischfußball sowie weitere Freizeitaktivitäten wie etwa gemeinsame Paddelausflüge an. Das verbindet. Neben Shahab Alizai sind sieben weitere junge Asylbewerber gekommen, um darüber zu berichten, was die jüngsten Anschläge mit ihnen angerichtet haben.

Unter ihnen sind auch zwei Frauen. Sara Shaiko aus dem syrischen Aleppo ist eine von ihnen. Sie hatte in ihrer Heimat Innenarchitektur studiert, bevor die Gewalt in der hart umkämpften Stadt unerträglich wurde und sie mit ihrer Familie nach Deutschland floh. "Ich habe nun auch hier Angst, in die Stadt zu gehen", sagt sie. Immer, wenn nun jemand mit einer Tasche oder einem Rucksack im Bus zusteige, schieße in ihr der Gedanke hoch: "Was hat der da drin? Was passiert jetzt?"

Ihr Landsmann Sufian Amairi kann solche Ängste gut verstehen. "Ich habe auch gedacht, dass Deutschland ein Land ist, in dem wir jetzt alle endlich Frieden finden", sagt er. Aber nach den furchtbaren Ereignissen in Würzburg, München und Ansbach ist sich der 25-jährige Stuckateur da nicht mehr so sicher. Seine Mutter sei kürzlich im Bus übel beleidigt worden. Zum Glück aber habe sie die Worte nicht verstanden - wohl aber den Gesichtsausdruck der Leute. Und der war feindselig.

Was die jungen Flüchtlinge zu den Anschlägen sagen

"Manche schauen die Frauen mit Kopftuch schief an, seitdem das in Würzburg passiert ist", sagt er. Aber was, so fragt er sich, kann seine Mutter für diese Anschläge, was kann er dafür? Und was die vielen anderen friedlichen Asylbewerber, die hier der Gewalt in ihrer Heimat entkommen wollten. "Wir haben den Krieg erlebt, und wir möchten nicht noch einen Krieg erleben", sagt er.

Sufian Amairis Worte fallen auf historischem Grund. In dem Gebäudekomplex, in dem nun der Club 402 untergebracht ist, haben die Nationalsozialisten einst Arbeiter einquartiert. Das war zu einer Zeit, als Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Kommunisten, Intellektuelle und vor allem Juden - sofern sie die Gelegenheit dazu hatten - aus Deutschland flohen, um dem staatlichen Terror zu entkommen. "Auch Deutschland hat einen Krieg erlebt", sagt der 25-Jährige. "Und wir wollen nicht, dass Deutschland nun wieder Furchtbares erlebt", sagt er mit Blick auf die Anschläge. So wie er dächten viele Flüchtlinge. "Mit diesen Attentätern haben wir nichts zu tun", sagt Sufian Amairi.

"Natürlich macht es mir auch Angst, dass hier Leute herkommen, die Anschläge verüben", sagt sein 23-jähriger Bruder Moawia. Aber es nerve ihn zugleich, dass ihn die Kollegen nun nach Anschlägen mit Fragen überschütteten: "Wer hat das gemacht? Warum hat er das gemacht? Wie hat er das gemacht? Was denkst du darüber?" - "Ich kann nur sagen: Ich weiß es nicht!", sagt Amairi. Andererseits kann der 23-jährige seine Kollegen auch ein Stück weit verstehen: "Es ist ja ihr Land", sagt er. Und Bomben, "die machen Stress". Ihm allerdings auch. Seine Schwester Aya, 20 Jahre alt, macht klar warum: "In Syrien haben wir schlimme Dinge mitbekommen, umgebrachte Menschen, die auf der Straße lagen - zum Anfassen nahe."

Und nun die terroristisch motivierten Anschläge in Würzburg und Ansbach: "Das war ein Schock, sagt Mohammad Barati, der aus der afghanischen Provinz Ghor stammt. Die Kollegen in der Arbeit versuchten, ihn zu trösten: "Es gibt überall Verrückte", sagten sie. Leute, "die im Kopf nicht ganz normal" seien. "Bei mir zu Hause in Afghanistan ist jeden Tag Krieg", sagt Barati. Und der Gedanke daran, dass nun auch hier in Deutschland eine Bombe explodiert ist und dass ein Attentäter mit einem Beil auf wehrlose Menschen losging, der machte ihn fassungslos.

"Zuerst habe ich mir gedacht: Jetzt wollen sie mir auch hier die Freiheit nehmen", sagt er. Mit die, da meint der 22-Jährige die Terroristen des IS und der Taliban. Er aber wolle ein normales Leben führen - dafür habe er auch das Opfer auf sich genommen, als Jugendlicher die Eltern zurückzulassen und in ein fremdes Land zu gehen. "Wir sind im Krieg geboren worden. Mitmachen oder abhauen, mehr gab es nicht", sagt er.

Nasir Ahmadi, der aus Afghanistan im Alter von 17 Jahren hier ankam, hat selbst mitbekommen, wie die Taliban 14-jährige Buben zum Kämpfen abholten. "Obwohl die das nicht wollten", sagt er. Wie alle anderen will er endlich nach vorne schauen und dem Land, das ihn aufgenommen hat, etwas zurückgeben. Der 17-jährige Abdullah Al-Maarek aus Syrien bringt es auf den Punkt: "Ich möchten den Menschen hier helfen können."

Doch zuvor brauchen die jungen Leute am Tisch selbst erst einmal Beistand - gerade jetzt. "Ich habe momentan Angst, in die Stadt zu gehen - aber nicht aufgrund der Terrorgefahr, sondern wegen den Leuten", sagt Shahab Alizai. Doch Abdullah Al-Maarek, immerhin gut fünf Jahre jünger, ist da voller Optimismus: "Deutschland", so sagt er, "ist ein gutes Land, wo man etwas aufbauen kann." Manche Deutsche sagten zwar: Alle Ausländer sind schlecht. "Aber das ist nicht so", sagt der 17-Jährige.

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