Flüchtlinge an der Grenze:Nachts im Niemandsland

Flüchtlinge an der Grenze: Österreich transportiert Flüchtlinge von der slowenischen Grenzen in 50 Bussen direkt nach Passau. Der Grenzübergang Passau-Achleiten wird zur Wartezone.

Österreich transportiert Flüchtlinge von der slowenischen Grenzen in 50 Bussen direkt nach Passau. Der Grenzübergang Passau-Achleiten wird zur Wartezone.

(Foto: Hubert Denk)

An der Grenze zwischen Bayern und Österreich werden Zustände für Flüchtlinge immer schlimmer, zwischen den Nachbarstaaten mangelt es an Koordination. Selbst Polizisten finden das "einfach schäbig".

Reportage von Andreas Glas, Passau

Ein Traktor fährt Slalom zwischen den Zapfsäulen, schiebt die Überbleibsel der Nacht zu einem Haufen zusammen. Einwegdecken, Pappkartons, Plastikflaschen. Es ist früh am Morgen an der Tankstelle am Grenzübergang Achleiten, aber wenn es ums Wegräumen geht, sind die Österreicher fix. Das Geschäft muss ja weitergehen, die Autos stehen schon wieder Schlange, die deutschen Tanktouristen wollen versorgt werden, auch am österreichischen Nationalfeiertag.

Der Müll ist weg, aber ein paar Menschen sind noch da. Einer schläft neben dem Tankstellenshop, eingerollt in eine Filzdecke. Die anderen hocken auf der anderen Straßenseite, am Geländer der Donaubrücke, sie haben mit dürren Ästen Lagerfeuer gemacht. Es sind 30, vielleicht 40 Leute, Übergebliebene einer Nacht, die Bilder produziert hat, wie man sie bisher nur aus Slowenien kannte, aus Ungarn oder aus Kroatien.

Acht Stunden vorher herrscht ebenfalls Stau in Achleiten, dem letzten Ort vor der Grenze zu Bayern, zu Passau. Es ist Sonntagabend, kurz vor Mitternacht. Zwischen Absperrgittern drängen sich Menschen mit Rucksäcken, wie sich Menschen mit Rucksäcken sonst drängen, wenn sie zwischen den gleichen Gittern auf den Einlass zum Open-Air-Festival warten. Es sind Hunderte, Männer, Frauen, Kinder, Menschen auf Krücken, in Rollstühlen. Und daneben Polizisten, die sich eckig bewegen, weil man sich nur eckig bewegen kann mit kiloschweren Waffengürteln um die Hüften. Die österreichischen Polizisten tragen Kappen, die deutschen nicht. Weiter hinten, unterm Tankstellendach, zwischen Zapfsäule Nummer vier und Nummer sechs, stehen Polizisten ohne Kappe und schauen. Einer sagt: "Schäbig ist das, einfach schäbig."

Er meint nicht die Flüchtlinge, die zwischen den Zapfsäulen liegen, auf der Leitplanke hocken, in die Büsche pinkeln. Er meint seine Kollegen, die mit den Kappen, die im Akkord Busse mit Flüchtlingen zur Grenze karren, aber keinen Klowagen schicken, keine Zelte, keine Decken, keinen Tee, nichts.

Neben den Polizisten, an Zapfsäule sechs, steht ein Bub mit tränenverklebten Wimpern, vielleicht drei Jahre alt, im dicken Skianzug, aber ohne Schuhe, er steht mit Strümpfen auf dem kalten Pflaster. Sein Vater deutet auf die Füße des Jungen, die Polizisten zucken mit den Schultern, zeigen ihre leeren Handflächen. "Wir sind völlig überrascht worden", sagt eine deutsche Bundespolizistin, die Österreicher, sagt sie, hätten viel weniger Flüchtlinge angekündigt, als nun da seien. Es fehle an Bussen und Schlafplätzen, um die Menschen schnell auf die deutsche Seite, schnell ins Warme zu bringen. Die Flüchtlinge müssen warten, manche warten zehn Stunden, bei fünf Grad.

Seit Wochen bringt Österreichs Polizei Zehntausende Flüchtlinge zur bayerisch-österreichischen Grenze, das ist nichts Neues. Neu ist, dass sie dies ohne Vorwarnung tut und ohne die Flüchtlinge auf ihrer Seite der Grenze mit dem Nötigsten zu versorgen. Insgesamt 61 Busse kommen in der Nacht zum Montag in Achleiten an, in jedem Bus sitzen 60 Menschen, macht 3600 in einer einzigen Nacht. Dazu die Menschen, die mit dem Zug in Passau ankommen oder in anderen Grenzgebieten in Niederbayern. Am Sonntag kamen 9000 Flüchtlinge binnen weniger Stunden. Die deutsche Bundespolizei wirft den Österreichern nun vor, deutlich mehr Menschen an die Grenzen geschickt zu haben als vereinbart. So viele, dass Bundespolizeisprecher Frank Koller am Sonntagabend noch prophezeit hatte: "Wir saufen ab."

Sie sind dann doch nicht abgesoffen in Passau, "wir haben es irgendwie gewuppt", sagt Koller am Morgen danach. Vier Busse fuhren in Dauerschleife und brachten die Menschen von der Grenze in die Notunterkünfte am Passauer Hauptbahnhof, in den Passauer Paul-Hallen, ins 50 Kilometer entfernte Deggendorf. Weil nach kurzer Zeit alle Unterkünfte voll waren, öffnete die Stadt am Sonntagabend auch die Dreiländerhalle, wo Stunden zuvor noch eine Hundemesse stattgefunden hatte und wo die Menschen auf dem harten Hallenboden schlafen mussten. Immerhin: "Wir konnten am Ende allen ein Dach über dem Kopf bieten", sagt Bundespolizeisprecher Koller - zwischendurch aber vergingen Stunden, in denen die Flüchtlinge in der Kälte ausharren mussten.

Erst am späten Sonntagabend bringt das österreichische Rote Kreuz etwas zu trinken nach Achleiten. Die Kastenwagen sind bis unters Dach mit Wasserflaschen vollgestopft. Dann kommen auch die Malteser, sie kommen aus Deutschland und bringen Bananen, heißen Tee und Alu-Decken. Zuvor gibt es nur im Tankstellenshop etwas zu essen und zu trinken, aber irgendwann ist der Shop leergekauft, es gibt keine Erdnüsse mehr, keine Salzstangen, die Schokolade hat Daniela Doeringer an die Kinder verschenkt. Doeringer, Brille, Kurzhaarfrisur, ist die Betreiberin der Tankstelle, sie hat das Rote Kreuz angerufen, "erst dann sind sie gekommen". Sie hat ihr Wlan-Netz geöffnet, hat Kabelrollen nach draußen verlegt, damit die Flüchtlinge ihre Handys an Mehrfachsteckdosen aufladen können. "Mehr können wir nicht für die Menschen tun", sagt Doeringer.

Mehr hätte aber die österreichische Polizei tun können, das weiß wohl auch Petra Dascher, aber das sagt sie nicht, sie ist ja Sprecherin der oberösterreichischen Landespolizei. "Unser oberstes Ziel ist, alle Menschen gut und schnell zu versorgen", sagt Dascher, sie sagt aber auch: "Es läuft nicht immer so, wie man es gerne hätte." Bleibt nur die Frage, wie es die Österreicher gerne gehabt hätten, wie sie sich das eigentlich vorgestellt haben mit Tausenden Menschen an der Grenze, aber ohne Decken, ohne Essen und Getränke.

Fragt man die österreichischen Polizisten vor Ort, zucken sie mit den Schultern. Dass so viele Flüchtlinge an die Grenze geschickt wurden, "das hat uns ja genauso überrascht wie die Deutschen", sagt einer von ihnen. Und wie viele Menschen sind für die kommenden Tage angekündigt? Schulterzucken. Dann sagt er: "Viele."

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