Flossenbürg:Licht ins Dunkel der Geschichte bringen

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"Wer in der Zukunft bestehen will, der darf in der Gegenwart die Vergangenheit nicht vergessen": 24 Jahre lang war Johann Werner Bürgermeister von Flossenbürg. Manche verspotten ihn als "unseren KZ-Bürgermeister". Doch Weggefährten sind sich sicher, dass es ohne ihn die Gedenkstätte so nicht gäbe.

Von Wolfgang Wittl, Flossenbürg

Es gibt schönere Tage in Flossenbürg, doch wann ist ein Besuch in einer KZ-Gedenkstätte schon schön zu nennen? Der kalte Wind macht den Regen noch ungemütlicher als sonst, im Hintergrund zieht eine Schulklasse vorbei. Ein Junge nölt, wie anstrengend doch alles sei. Johann Werner hört das gar nicht. Er steuert auf das Verwaltungsgebäude zu, erst auf der Treppe legt er einen kurzen Halt ein: "Die ist noch original, Eiche, da knarzt nix." Werner, 75, kennt jeden Meter dieser bedrückenden und doch so faszinierenden Anlage, und genauso kundig und leidenschaftlich kann er darüber erzählen.

Als Werner seine erste Führung abhielt, wusste er noch herzlich wenig über das frühere Konzentrationslager. Es war 1978, er war gerade zum ersten Bürgermeister von Flossenbürg gewählt worden, da beschied ihm der Geschäftsleiter der Gemeinde, dass es seine Aufgabe sei, Gäste über das Gelände zu führen. Das habe sein Vorgänger auch gemacht. Werner besorgte sich Bücher, las sich ein. Im Jahr darauf kam Franz Josef Strauß mit dem italienischen Präsidenten Sandro Pertini zu Besuch, dessen Bruder wie Tausende andere in der nördlichen Oberpfalz unter dem Nazi-Regime den Tod gefunden hatten. Auch Deutsche, die lange nur nach vorne und kaum zurück geblickt hatten, interessierten sich nun mehr und mehr für ihre Geschichte.

Gewitzt, hartnäckig und gute Kontakte

Das Schlüsselerlebnis für den Ausbau zur preisgekrönten Gedenkstätte war 1995 der 50. Jahrestag der Befreiung. Werner weiß noch, wie es ihm gelang, dem Landtag eine erste Halbtagsstelle abzuringen. "Leute, ihr müsst da was tun", ermahnte er seine CSU-Freunde. Der Plan: Flossenbürg liefert den Inhalt für die Veranstaltung, der Freistaat trägt die Kosten. So begann es. Gedenkstättenleiter Jörg Skriebeleit etwa war anfangs als Einzelkämpfer bei der Gemeinde angestellt, heute ist er der Kopf von 14 fest Beschäftigten und noch mehr Gästeführern. Ein wahrer Glücksfall sei Skriebeleit, schwärmt Werner. Skriebeleit sagt, dass es die Gedenkstätte ohne den früheren Bürgermeister so nicht gäbe.

Mit Gewitztheit, Hartnäckigkeit und guten Kontakten schaffte es Werner, das Projekt voranzutreiben. Als er beispielsweise erfuhr, dass EU-Mittel nur an einen Verein ausbezahlt würden, gründete er 1999 eben einen Förderverein. Dieser kümmert sich um die Bewirtung bei Überlebenden-Treffen, um Bücherpräsentationen und Lesungen, den Vorsitz hat Werner bis heute inne. Wenn er gefragt wird, warum er sich so engagiert, sagt er: "Wer in der Zukunft bestehen will, darf in der Gegenwart die Vergangenheit nicht vergessen." Deutschland sei verpflichtet, auch seine dunkle Geschichte zu beleuchten.

Als Bub hat Werner Anfang der Fünfzigerjahre miterlebt, wie die Opfer der Todesmärsche exhumiert und in Flossenbürg auf dem Ehrenfriedhof beigesetzt wurden. Wie so viele in der granitreichen Gegend lernte er Steinmetz, schulte dann um zum Grenzpolizisten, war 24 Jahre lang Bürgermeister. Er bekam das Bundesverdienstkreuz und die Bayerische Verfassungsmedaille überreicht, doch im Ort erntete er auch Spott. "Unser KZ-Bürgermeister" tuschelten manche, und dass es irgendwann auch mal reichen müsse mit der Vergangenheitsbewältigung. Werner hat das mitbekommen, beeindrucken ließ er sich davon nicht. "Stammtischparolen", sagt er.

Seit vergangenem Jahr ist er bei Führungen etwas kürzer getreten, aufhören will er noch nicht. Anschaulich weiß er im sogenannten Häftlingsbad zu berichten, wie den Opfern nicht nur Kleidung, sondern jedes Selbstwertgefühl genommen wurde. Wie hier Jahrzehnte später Federballschläger, Möbel und Autoteile hergestellt wurden, bis die letzten Arbeitsplätze nach Tschechien verlagert und die Häuser symbolisch für eine Mark an den Freistaat verkauft wurden.

Oder die Geschichte von Jack Terry, dem Sprecher der Überlebenden, der damals Jakub Szabmacher hieß und nur überlebte, weil ihn Mithäftlinge in einem Schacht versteckten. Etwa 100 000 Menschen waren in Flossenbürg und seinen Außenlagern interniert, viele wurden in den Steinbrüchen zu Tode geschunden. An sie alle erinnert die Gedenkstätte, deren Mitbegründer Johann Werner selbst ein Teil der Geschichte geworden ist. "Die Saat ist aufgegangen", sagt er: Man müsse den Leuten doch etwas zeigen können, "ich hab nur den Anfang gemacht".

Wir bedanken uns bei Willi Nirschl aus München für den Tipp.

© SZ vom 19.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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