Flächenfraß:Landschaft in Gefahr

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Der extensive Straßenbau, wie hier bei Dießen am Ammersee, gefährdet vielerorts die Natur. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Alleine 2015 ist eine Fläche von 4772 Hektar überbaut worden

Von Christian Sebald, München

Kein Zweifel, das neue BMW-Logistik-Zentrum in Wallersdorf ist rekordverdächtig: Knapp 24 Hektar Grundfläche umfassen die gigantischen Hallen, die die Arbeiter binnen Jahresfrist in dem niederbayerischen 7000-Einwohner-Ort auf bis dahin bestem Ackerland aus dem Boden gestampft haben. Wer denkt, das Logistik-Zentrum ist ein Ausnahmefall beim Flächenfraß, der täuscht sich. In Bayern wird so viel gebaut wie seit Jahren nicht mehr. 4772 Hektar vormals freies Land sind 2015 im Freistaat zur Bebauung freigegeben worden. Das sind 13,1 Hektar oder 19 Fußballfelder am Tag. Der Grünen-Politiker und Vorsitzende des Umweltausschusses im Landtag, Christian Magerl, ist empört: "Bayern wird rücksichtslos betoniert und asphaltiert", schimpft er. "Ein Anstieg von über 20 Prozent bei den neu ausgewiesenen Siedlungs- und Verkehrsflächen ist skandalös." 2014 betrug der Flächenfraß 3940 Hektar oder 10,8 Hektar täglich.

Der Flächenfraß zählt für Experten zu den größten Umweltproblemen im Freistaat. So warnt Martin Wölzmüller, der Geschäftsführer des Landesvereins für Heimatpflege und damit gleichsam Bayerns oberster Heimatschützer: "An den Kulturlandschaften ist deutlich zu sehen, wie der Mensch die Geschenke der Natur annimmt. Reißt er ihre Gaben heraus oder nimmt er bewusst und behutsam entgegen, was sie ihm, ohne Schaden zu nehmen, anbieten kann?" Und Andrea Gebhard von der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung fordert: "Die Vielfalt der bayerischen Landschaften mit ihrem Wechsel von offenen Landschaften und kompakten dörflichen und städtischen Siedlungen darf nicht einer weiteren Zersiedelung und ausufernden Gewerbebändern entlang von Autobahnen geopfert werden." Selbst die Staatsregierung äußert sich besorgt. "Der Flächenverbrauch soll deutlich reduziert werden", heißt es in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie von 2013. Als - freilich langfristiges - Ziel formuliert sie: "Flächenkreislaufwirtschaft ohne weiteren Flächenneuverbrauch."

Davon ist Bayern weiter entfernt denn je. "Mit dem neuen Höchststand von 13,1 Hektar täglich sind wir wieder auf dem Niveau der Jahrtausendwende angelangt", sagt Magerl. "Es hat sich nichts verbessert, rein gar nichts." Zwar belief sich der Flächenfraß 2001 laut offizieller Statistik auf etwas mehr als 21 Hektar am Tag. Doch die Differenz zu den jetzt offiziellen 13,1 Hektar täglich im Jahr 2015 ist ausschließlich einer Umstellung der Berechnungsmethode seit den Jahren 2012 und 2013 geschuldet. Für Magerl ist die Umstellung denn auch "Schönrechnerei". Zumal die Zukunft wenig Besserung verspricht. Heimatminister Markus Söder (CSU) will es den Gemeinden noch leichter machen, neue Gewerbegebiete auszuweisen. "Das Bekenntnis zu Bayerns Kulturlandschaften kommt bei der CSU nur noch in Sonntagsreden vor", sagt Magerl. "Der politische Alltag spricht eine ganz andere Sprache."

Bei den Umweltverbänden sehen sie es genauso. Nächste Woche übergeben der Bund Naturschutz und weitere Organisationen, unter ihnen der Landesverband für Heimatpflege und die Akademie für Städtebau und Landesplanung, eine Massenpetition an Landtagspräsidentin Barbara Stamm, mit der sie gegen Söders geplante Lockerung für Gewerbeansiedlungen protestieren.

© SZ vom 05.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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