Fladungen:Heiraten im Ausstellungsstück

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Das Freilandmuseum in Fladungen liegt etwas abseits, bietet aber so manche Besonderheit: Es wird vom historischen Rhön-Zügle angefahren und in der Kirche können Hochzeiten gefeiert werden

Von Katja Auer, Fladungen

Eine Hose für ihren Mann hat Maria Winter mitgenommen, als sie am 10. Mai 1946 fortmusste aus ihrem Heimatdorf in Schlesien. Der war noch nicht zurückgekommen aus dem Krieg, aber wenn sie ihn wiedersähe, dann bräuchte er doch eine Hose, dachte Maria Winter. "Ohne Hosen kann er nicht gehen, aber ohne Jacke kann er eventuell gehen, das war doch so", erzählte sie viele Jahre später einer Forscherin aus dem Freilandmuseum Fladungen. Dort steht der Hof aus Rügheim in den Haßbergen heute, das Haus, in dem Maria Winter und ihr Mann zusammen mit seiner Mutter nach ihrer Vertreibung ein Zimmer bewohnten. Zwei Betten standen darin, ein Herd, ein Tisch und ein Küchenbuffet. Dort schliefen die drei, kochten, wuschen sich. Abends klappte sich Maria Winter ein Feldbett auf, auf dem sie die Nacht verbrachte. Noch drei Familien lebten im Haus, zeitweise waren es 15 Personen.

Im unterfränkischen Freilandmuseum ist der Hof aus dem Ende des 19. Jahrhunderts so erhalten, wie er kurz nach dem Krieg aussah. Als Mikrokosmos, wie es so viele gegeben hat im ländlichen Bayern der Nachkriegszeit. Der Hof war schon von 1919 an ein Mietshaus, eine Besonderheit im einem fränkischen Dorf dieser Zeit, als die meisten Häuser von den Besitzern oder deren Verwandten bewohnt wurden. Da der Vorbesitzer und seine Frau aber kinderlos blieben, verkauften sie es an die Nachbarn, die es an zunächst zwei Familien vermieteten. Dann kamen die Flüchtlinge aus dem Osten dazu. Mehr als 300 waren es alleine in Rügheim.

Der Vierseithof ist eines von mehr als 20 Gebäuden, die in den vergangenen 25 Jahren in Fladungen wieder aufgebaut wurden. Seither gibt es das unterfränkische Freilandmuseum, das jüngste in Bayern. Die Häuser stammen aus ganz Unterfranken, einige auch aus Hessen und Thüringen, aus der gesamten Rhön also, ebenso aus dem Spessart, aus dem Grabfeld und den Haßbergen.

Es ist ziemlich viel erhalten geblieben in der Gegend, auch deswegen, weil Unterfranken kein Durchgangsgebiet war, wie es Museumsleiterin Sabine Fechter formuliert. Als der Landstrich noch Zonenrandgebiet war, kurz vor der thüringischen Grenze, sei er etwas in Vergessenheit geraten, sagt sie. "Und die Leute hier hingen an ihrem Eigentum", sagt Fechter. Nicht wie anderswo, in Gegenden der Oberpfalz zum Beispiel, wo die alten Häuser den Neubauten weichen mussten, weil die Eigentümer es schöner fanden und praktischer und weil sich niemand den Denkmalschutz aufhalsen wollte oder die Mühe, die Bauten einem Museum anzubieten. In Fladungen bekommt Sabine Fechter immer noch bis zu zehn Angebote im halben Jahr. "Ein bis zwei davon sind interessant", sagt sie. Zuletzt ist ein Kühlhaus aus Nordheim vor der Rhön in das Museum umgezogen. Im Ganzen. Ein Schwertransport brachte die Gemeinschaftsgefrieranlage aus den 1950er Jahren auf das Gelände. Solche Kühlhäuser entstanden damals überall in Unterfranken, sie galten als großer Fortschritt für die Landbevölkerung, die dort Fleisch und Gemüse konservieren konnte, auch ohne eigenen Kühlschrank im Haus. Weil es die aber doch bald gab, wurden die Gemeinschaftsanlagen schon 20 Jahre später überflüssig. Das Kühlhaus ist der jüngste Bau in der Sammlung, der älteste ist der Gasthof "Schwarzer Adler", der aus dem 17. Jahrhundert stammt. In Fladungen beschränkt man sich auf die Neuzeit, anders als im Fränkischen Freilandmuseum in Bad Windsheim, das allerdings auch bald viermal so groß ist. Dort gibt es eine eigene Baugruppe aus dem Mittelalter.

"Wir sind wie die kleine Schwester von Bad Windsheim", sagt Fechter. Eine Konkurrenz sieht Fechter nicht. Im Gegenteil, die Zusammenarbeit funktioniere sehr gut. Zumal auch Fladungen seine Besonderheiten habe. Das Rhön-Zügle zum Beispiel, das an den Wochenenden Besucher aus Mellrichstadt zum Museum bringt. Die historische Eisenbahn fährt seit 1996 wieder auf der bis dahin stillgelegten Lokalbahnstrecke und endet am denkmalgeschützten Bahnhof in Fladungen.

Zudem sei das unterfränkische das einzige Freilandmuseum mit einer Kirche, sagt Fechter, einer geweihten zumindest. Die katholische Kuratiekirche aus Leutershausen im Kreis Rhön-Grabfeld wurde 1802 erbaut. Die Gemeinde hatte sich das Geld zusammengespart, weil die damals 297 Einwohner bis dahin immer ins Nachbardorf zum Gottesdienst pilgern mussten. Als Leutershausen größer und die Gläubigen mehr wurden, übernahm das Museum die nun zu klein gewordene Kirche. Der Würzburger Bischof weihte sie 1995. Jetzt kann dort geheiratet werden und im Museumswirtshaus anschließend auch gleich noch gefeiert.

Dass ausgerechnet Fladungen ein Freilandmuseum bekam, war eine politische Entscheidung und wurde schon in den 1980er Jahren diskutiert. Die nördlichste Kommune Bayerns, nur wenige Kilometer entfernt von der Grenze zur ehemaligen DDR, im Landkreis Rhön-Grabfeld, der zu den besonders strukturschwachen in Bayern zählt, sollte so mehr Touristen anziehen und die Region beleben.

Heute kommen etwa 60 000 Besucher pro Jahr, besonders viele dann, wenn etwas los ist. Am Museumstag am Sonntag etwa war das Zentraldepot geöffnet. "Man muss immer mehr Veranstaltungen bieten", sagt Fechter, dennoch ist sie zuversichtlich. "Die Aura des Originals bleibt erhalten", sagt sie. Das könne kein Multimedia-Konzept ersetzen. Also wird weitergesammelt. Ein Gerichtsgebäude fehlt noch in Fladungen und ein Gefängnis und eine Synagoge hätte sie auch gerne.

© SZ vom 18.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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