"Filz in der CSU":Eine Lüge und ihre Folgen

Der ehemalige Justizminister Manfred Weiß und seine Getreuen haben versucht, einen kritischen Partei-Anhänger mundtot zu machen - vergeblich.

Olaf Przybilla

Das Verfahren gegen Peter Villhauer dauerte 16 Monate. Nicht weniger als vier Staatsanwälte waren damit beschäftigt. Und das nur, weil der pensionierte Verwaltungsangestellte bei einer angemeldeten Demonstration den CSU-Landtagsabgeordneten und ehemaligen bayerischen Justizminister Manfred Weiß der Lüge bezichtigt hatte. Zu Recht, wie das Nürnberger Landgericht in zweiter Instanz geurteilt hat. Der Richterspruch ist mittlerweile rechtskräftig. "Das Urteil", sagt Villhauer, "hat mein Vertrauen in die Unabhängigkeit der Justiz wiederhergestellt, zumindest halbwegs."

"Filz in der CSU": Peter Villhauer, Harald Zeh und das CSU-Mitglied Michael Billmeyer (von links) protestierten gegen den ehemaligen Justizminister Manfred Weiß.

Peter Villhauer, Harald Zeh und das CSU-Mitglied Michael Billmeyer (von links) protestierten gegen den ehemaligen Justizminister Manfred Weiß.

(Foto: Foto: oh)

Wer Villhauer, 58, während der zwei gegen ihn geführten Prozesse am Nürnberger Justizpalast beobachtet hat, der ahnt, dass dieser Satz nicht einfach so dahingesagt ist. Villhauer versuchte während der Verhandlung Haltung zu bewahren. Er drückte das Kreuz durch und schien bemüht zu sein, sachlich zu argumentieren. An einer Stelle aber hätte er doch beinahe die Fassung verloren: Als ein Staatsanwalt ihn aufforderte, er möge der Einfachheit halber eine Geldstrafe akzeptieren. "Ich bitte Sie, Herr Staatsanwalt", entfuhr es ihm, "ich bin doch hier nicht auf einem Bazar, oder?" Er klang verzweifelt.

Auch der Landtag hat sich mit der Sache Villhauer beschäftigt. Im Petitionsausschuss war der SPD-Abgeordnete Horst Arnold mit der Causa betraut. Bevor Arnold Abgeordneter geworden ist, war er selbst Staatsanwalt. Arnold hat viel erlebt. Den Fall Villhauer nennt er eine "exemplarische Klamotte über vorauseilenden Gehorsam" und über "kleine Buschsoldaten, die glauben, jemandem gefallen zu müssen".

Die Klamotte beginnt in Heideck, einer Kleinstadt in Mittelfranken. Dort war vor der Kommunalwahl 2008 eine Gruppe von Bürgern mit dem CSU-Bürgermeister nicht mehr einverstanden. Der Ort sei auf dem absteigenden Ast, argumentierten sie. Das sollte sich ändern - was aber nicht hieß, dass es die große Revolution geben sollte: Die Gegner des Stadtoberhaupts definierten sich allesamt selbst als wertkonservativ. "Ich habe mein Leben lang nur CSU gewählt", erzählt Villhauer. Er wollte für seine Stadt einen CSU-Mann, aber eben nicht den amtierenden Bürgermeister. Man fragte also einen anderen Parteigänger, ob er antreten wolle. Der wollte, und 50 Heidecker wollten daraufhin in die CSU eintreten.

In der Partei blieb das nicht unbeobachtet. Es kam zu einer Versammlung, in der Manfred Weiß, damals Kreisvorsitzender der CSU in Roth, 35 eintrittswilligen Heideckern erklären sollte, wie sie Mitglied werden können. Über den Verlauf der Versammlung im Gasthaus Gugel gibt es zwei Varianten. Die eine stammt vom ehemaligen Justizminister Weiß. Die andere stammt von den 35 Bürgern.

Weiß hat seine Sicht der Dinge am 11.November 2009 als Zeuge vor dem Landgericht Nürnberg dargestellt, in einem wortgewaltigen Auftritt. Zu keinem Zeitpunkt habe er den Heideckern eine Aufnahme in die CSU versprochen. Dazu sei er gar nicht befugt. Über die Aufnahme von Mitgliedern habe nicht allein der Kreischef zu bestimmen, sondern der gesamte Kreisvorstand. "Ehrlichkeit und Gradlinigkeit", sagte Weiß dem Richter, seien stets sein Markenzeichen gewesen. Auch verwies er darauf, selbst jahrelang Richter am Gericht in Nürnberg gewesen zu sein, bevor er Abgeordneter wurde.

Eine andere Sicht der Dinge bezeugen die Anwesenden der Versammlung: Alle haben unterzeichnet, an jenem Abend aus dem Mund des ehemaligen Ministers den Satz gehört zu haben: "Wenn Sie der Ortsverband nicht aufnimmt, nehme ich Sie auf." Am 2. Dezember hat der Vorsitzende Richter am Landgericht Nürnberg fünf der Unterzeichner als Zeugen vernommen.

Auf die Einvernahme der anderen verzichtete er. Es gebe "keinen Zweifel mehr" darüber, dass Weiß den Satz so gesagt hat, urteilte der Richter. Ganz gleich, ob Weiß satzungsgemäß dazu befugt war: Der Abgeordnete habe sich offenbar zu einem Wort hinreißen lassen, das er nicht einhalten konnte. Denn elf Heideckern hat der Kreisverband die Aufnahme in die CSU verweigert - vermutlich weil man eine feindliche Übernahme befürchtete.

"Lachstück über CSU-Verfilzung"

Einer der Abgelehnten war Villhauer. Eine Begründung dafür gab es nicht. Das aber war nicht der Grund, der ihn so in Rage brachte - eine Partei darf selbst darüber entscheiden, wen sie in den eigenen Reihen wissen will. Der Grund sei gewesen, "dass sich da einer als Symbol für Glaubwürdigkeit hinstellt und Sachen sagt, die er nicht halten kann". Deshalb meldeten die Heidecker eine Demonstration für den 18. Juli 2007 vor dem Kongresszentrum in Nürnberg an, wo an dem Tag der CSU-Parteitag stattfand. Und deshalb hat Villhauer gemeinsam mit dem ebenfalls abgelehnten Harald Zeh und dem in die CSU aufgenommenen Michael Billmeyer den CSU-Abgeordneten Weiß auf einem Plakat als Lügner bezeichnet.

Es ist der Zeitpunkt, an dem die eigentliche Klamotte ihren Lauf nimmt, jene Geschichte, die der SPD-Abgeordnete Arnold ein "Lachstück über CSU-Verfilzung" nennt. Zunächst rückte die Polizei die Protestierer in Nürnberg sogar in den Blickpunkt: Sie schickte die drei Männer - so hat es der Einsatzleiter später vor Gericht zu Protokoll gegeben - an eine günstige Position auf dem Gelände, damit ihr Plakat von den Delegierten wahrgenommen werden kann. Drei Tage später ist das Plakat wieder zu sehen, diesmal in Heideck, und wieder sorgt es für Aufsehen, diesmal allerdings in anderer Hinsicht.

Der Polizeichef der Hilpoltsteiner Inspektion, selbst Mitglied im CSU-Kreisverband von Weiß, nimmt im Gegensatz zu den Kollegen in Nürnberg Anstoß am Plakat. Er lässt es beschlagnahmen und nimmt Kontakt zu Weiß auf. Nach dem Telefonat stellt Weiß Strafantrag, was er zuvor nicht getan hatte. Horst Arnold vermutet, dass Weiß einen "so eifrigen Polizisten nicht im Regen stehen lassen" wollte - schließlich hätte sonst die Rechtsgrundlage für eine Beschlagnahmung gefehlt. Weiß hat das vor Gericht heftig bestritten. Er habe sich die Sache "eben erst mal durch den Kopf gehen lassen" müssen.

Eine erste Staatsanwältin verzichtet auf eine Anklage wegen der Sache in Heideck. Danach übernimmt der Staatsanwalt Thomas Regenfus, der selbst CSU-Ortschef in einer fränkischen Gemeinde ist. Er lässt die Sache nicht auf sich beruhen, sondern klagt nun das Zeigen des Plakats in Nürnberg an. Die Anklage endet mit einer Bauchlandung: Der Amtsrichter stellt das Verfahren ein, weil "kein ordnungsgemäßer Strafantrag" gestellt ist.

Aber auch danach will die Staatsanwaltschaft die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Wieder wird Villhauer angeklagt, wegen "Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens". In diesem zweiten Prozess ist auch Regenfus geladen, als Zeuge. Er wird gefragt, warum er die Protestierer Weiß und Zeh angeklagt habe, nicht aber das CSU-Mitglied Billmeyer. Der Staatsanwalt im Zeugenstand sagt, es sei für ihn "nicht klar ersichtlich gewesen", dass sich Billmeyer die beleidigenden Aussagen ebenfalls zu eigen gemacht habe. Es ist der Moment, in dem Villhauer zum zweiten Mal die Fassung zu verlieren droht. "Ich bitte Sie", fleht er. Das CSU-Mitglied Billmeyer habe die Demonstration sogar angemeldet, sei die ganze Zeit neben ihm, Villhauer, gestanden und habe Weiß einen Lügner genannt. Der Richter schmunzelt in diesem Moment. Der Staatsanwalt im Zeugenstand sagt: "Für mich war das nicht ganz klar."

Der Prozess endet mit einem Freispruch erster Klasse. Der Richter sagt, in "fast jeder Aschermittwochsrede" werde deftiger ausgeteilt, als dies Villhauer, Zeh und der nicht angeklagte Billmeyer getan hätten. Die Kosten der insgesamt sechs Verhandlungstage hat die Staatskasse zu tragen.Demnächst soll Villhauer sein Plakat wiederbekommen, nach anderthalb Jahren Beschlagnahmung. Er will es versteigern, für einen guten Zweck.

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