Film über Passionsspiele in Oberammergau:"Die Dornenkrone neben der Flasche Bier - herrlich!"

Lesezeit: 4 min

Zwei Jahre verbrachte Jörg Adolph in Oberammergau, um eine Doku über die berühmten Passionsspiele zu drehen. Nun läuft der Film im Kino an. Ein Gespräch darüber, was den Mythos Oberammergau ausmacht und warum manche es nicht lustig finden, wenn Jesus einen neonfarbenen Skianzug trägt oder am Kreuz lacht.

Lisa Sonnabend

Er filmte, als die Bewohner sich die Haare wachsen ließen, als sie probten, gemeinsam Bier tranken und stritten. Zwei Jahre verbrachte Jörg Adolph, 44, im bayerischen Oberammergau bei Garmisch-Partenkirchen, um einen Dokumentarfilm über die Passionsspiele zu drehen, die nur alle zehn Jahre aufgeführt werden. Der Film "Die große Passion" läuft am 17. November in den deutschen Kinos an.

"Ich bin zwei Mal rausgeworfen worden": Jörg Adolph beim Dreh in Oberammergau. (Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Sie haben einen Film über Oberammergau gedreht - und das, obwohl Sie aus Nordhessen kommen. Die Bewohner haben Sie wahrscheinlich nicht allzu herzlich aufgenommen, oder?

Jörg Adolph: Oberammergau ist eine besonders eingeschworene Gemeinschaft. Wenn man dort nicht geboren wurde, hat man es nicht ganz leicht. Andererseits ist man in Oberammergau Touristen und Medien gewohnt und so gibt es wahrscheinlich keinen Friseur im Ort, der nicht durch die Passionsspiele eine gewisse Interview-Routine erworben hat. Als Filmemacher will ich aber ja nicht nur zwei Fragen stellen und bin dann wieder weg, sondern ich bleibe und versuche, überall dabei zu sein. Es hat ein wenig gedauert, bis meine Filmarbeit akzeptiert wurde.

sueddeutsche.de: Was unterscheidet Ihren Film von den bisherigen Oberammergau-Streifen?

Adolph: Es gab grundsätzlich - auch von Oberammergauer Seite - den Wunsch, dass ein Dokumentarfilm gedreht werden soll, der einmal etwas anderes zeigt als die bisherigen Fernsehreportagen. Weniger "Making of" mit Interviews und Kommentar, vielmehr einen eigenständigen und ehrlichen spannenden Film. Einen konsequent unkitschigen Blick hinter die Kulissen des Bibelspektakels. Ich musste mich dafür beim Spielleiter Christian Stückl bewerben und auch der Gemeinderat hat über mein Filmprojekt abgestimmt.

sueddeutsche.de: Sie haben 200 Drehtage absolviert - wie steht man das durch?

Adolph: Es war ein unübersichtlich langer Zeitraum und psychologisch nicht immer einfach. Denn bei den Passionsspielen gibt es oft Streitigkeiten, die aber selten offen ausgetragen werden. Manchmal muss man dann einfach locker lassen und sagen: "Ok, ihr seid heute vielleicht mit dem falschen Fuß aufgestanden, da gehe ich mal lieber wieder." Ich bin zwei Mal auch rausgeworfen worden, aber das gehört dazu. Wichtig ist nur, dass man nach ein paar Stunden wieder zurückkommt und weiterfilmt, als wäre nichts gewesen.

sueddeutsche.de: Warum haben Sie dennoch durchgehalten?

Jesus besser verstehen: Spielleiter Christian Stückl bei den Dreharbeiten mit dem Jesus-Darsteller Frederik Mayet. (Foto: dpa)

Adolph: Aufgeben war keine Option. Im Gegenteil: Mir kommt es so vor, als wäre der Dokumentarfilm für genau solche Themen, Orte und Probleme erfunden worden. Denn egal, wo man hinschaut in Oberammergau, es gibt immer etwas Bemerkenswertes oder Wunderliches zu sehen. Allein die logistische Dimension der Passionsspiele - man fragt sich ständig, wie bekommen die das nur hin? Es hängt aber auch viel mit dem Charisma von Christian Stückl zusammen, wie er alles zusammenhält, vieles erträgt und das Spiel immer wieder auf eine neue Stufe hebt.

sueddeutsche.de: Was war der schönste Moment in den zwei Jahren?

Adolph: In der Kantine, während um einen herum Römer in Rüstungen oder hohe Priester sitzen - und zwischendurch kommen Ansagen aus dem Lautsprecher wie "Auszug aus dem Paradies, erste Durchsage" oder "Mörder und Henker, letzte Durchsage". Aber ich habe auch viele "schönste Momente" verpasst.

sueddeutsche.de: Welche?

Adolph: Ich wollte immer ein Unwetter über der Freilichtbühne filmen. Doch es hat sich nie die Situation ergeben, dass die Spieler klatschnass wurden, zumal es 2010 erstmals ein sehr teures, bewegliches Bühnendach gegeben hat. Dann gab es eines Tages doch Hagel aus heiterem Himmel. Das Stück wurde abgebrochen, der Prologsprecher Otto Huber zog sein Kostüm aus und trat in Unterhemd auf die Bühne, um sich beim Publikum zu entschuldigen, in drei Sprachen. Er bekam dafür Standing Ovations. Das hätte ich gerne gefilmt, doch da war ich leider im Café gegenüber und filmte etwas nicht ganz so Entscheidendes.

sueddeutsche.de: Der Mythos Oberammergau hat also auch Sie vereinnahmt während des Drehs ...

Adolph: In Oberammergau geschieht etwas ebenso Einmaliges wie Unwahrscheinliches. Diese Mischung aus jahrhundertelanger Tradition und einem Sich-immer-wieder-neu-Erfinden, aus bayerischer Folklore und extrem professionellen Theatergeschehen. Das ganze Welttheater in einem kleinen Dorf. Das macht den Mythos aus. Da können Amerikaner aus dem Bible Belt kommen oder Agnostiker aus Berlin - die Passionsspiele ziehen fast jeden in ihren Bann.

sueddeutsche.de: Ein Fotograf wollte einen Bildband über die Passionsspiele machen, doch er hat die Arbeit aufgegeben, weil er es unerträglich fand, bei den Proben im Winter Jesus in einem Skianzug zu sehen. Ging es Ihnen ähnlich?

Adolph: Ich habe genau diese Ästhetik geliebt. Das waren die Bilder, die ich gesucht habe: Leute im Kostüm vor dem Urinal, die Dornenkrone neben der Flasche Bier, Jesus und andere biblische Figuren im neonfarbenen Skianzug. Diese Mischung zwischen dem Heiligen und dem Trivialen!

sueddeutsche.de: Was waren die irdischen Probleme, mit denen die Oberammergauer zu kämpfen hatten?

Adolph: Unendlich viele. Zum Beispiel die Angst davor, dass das Spiel zu lang werden könnte und die Zuschauer womöglich während der Kreuzigung aufstehen, weil sie Sorge haben, den letzten Zug zu verpassen. Oder das Anliegen des Gemeinderats, das Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden durchzusetzen - eine echte Herausforderung für den Spielleiter und Kettenraucher Christian Stückl.

sueddeutsche.de: Der Film zeigt auch, wie intensiv Oberammergau von den Medien beobachtet wird ...

Adolph: Einer der beiden Jesus-Darsteller hat kurz vor der Premiere ein Reh angefahren. Da fürchtete man natürlich, dass das öffentlich werden könnte, und in den Boulevard-Medien für Schlagzeilen sorgt: "Jesus tötet Bambi!" Oder das erste Probehängen am Kreuz. Natürlich gehen die Jesus-Darsteller ernst an die Sache ran, um zu schauen, ob das Kreuz von der Größe her passt. Aber es kommt vor, dass Jesus am Kreuz lachen muss, weil die Situation auch absurd ist. Eine Münchner Zeitung hat daraufhin einen Leserbrief abgedruckt: Jesus hat am Kreuz gelacht und das ginge doch nicht; in anderen Religionen würde so etwas zu Recht schwer bestraft werden.

sueddeutsche.de: Wäre Jesus zufrieden mit Ihrem Werk?

Adolph: Das ist die gleiche Frage, die Christian Stückl dem Dramaturgen Otto Huber am Schluss des Films stellt. Ich bin überzeugt, dass der Film der Aufführung, wie man sie vor Ort erleben konnte, etwas hinzufügt. Eine weitere Dimension mit einem Blick hinter die Kulissen, eine spannende Geschichte, interessante Charaktere und Humor. Ich hoffe schwer, dass Jesus damit nicht ganz unzufrieden wäre.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: