Felssturz von Stein an der Traun:Die Zeichen an der Wand

Vor einem Jahr zerschmetterte ein Fels das Haus der Familie B. im oberbayerischen Stein an der Traun: Ein Mann und seine 18-jährige Tochter starben in den Trümmern. Jetzt zeigen Gutachten: Die Behörden wussten von den Risiken. Nur die Betroffenen wurden nicht gewarnt.

Max Hägler

Das hätte Peter B. wahrscheinlich gefallen: Eine Jazz-Session mit Freunden in seiner Traunsteiner Lieblingskneipe. Doch das Beisammensein am vergangenen Wochenende fand ohne Peter B. statt, es war ein Treffen ihm zu Ehren. "Now that you're gone, after thousend tons of rocks were moving on", begann der erste Song, den seine Freunde an dem Abend spielten. Was nach romantischem Blues klingt, hat einen ernsten Hintergrund: Peter B. und seine 18 Jahre alte Tochter sind tatsächlich gestorben, als sich 1000 Tonnen Stein bewegt haben.

Haus von Felssturz zerstört

Vor einem Jahr begrub ein tonnenschwerer Felsbrocken in Stein an der Traun ein Wohnhaus unter sich. Jetzt kommt ein Gutachten zu dem Schluss: Die Gefahr war bekannt.

(Foto: ag.dpa)

Vor genau einem Jahr, am Abend des 25. Januar 2010, ist ihr Haus in dem Traunreuter Ortsteil Stein an der Traun zusammengebrochen. Gesteinsbrocken von der Größe eines Busses hatten sich aus der Felswand direkt hinter dem Haus der Familie gelöst. Peter B.s Frau und sein Sohn überlebten schwer verletzt.

Eine Gitarre und zwei Saxophone, eines davon völlig platt gedrückt, wurden im eingestürzten Haus gefunden. Sie liegen nun im alten Kinderzimmer des Sohnes bei seiner Mutter. Es ist kein Zeichen von Verzweiflung, wie man es auch deuten könnte. Frau B. ist ratlos und wütend. Seit einem Jahr fragt sie sich, wieso die Familie nicht gewarnt wurde - denn offensichtlich gab es viele Zeichen darauf, dass der Hang ins Rutschen kommen kann. Und sie fragt sich, wieso die Staatsanwaltschaft Traunstein nur gegen einen Beschuldigten ermittelt - und nicht gegen andere, die offensichtlich von den Gefahren wussten und nichts sagten.

Von einer unvorhersehbaren Naturkatastrophe redet die Staatsanwaltschaft nicht. Aber recht viele Antworten haben die Ermittler trotzdem nicht. Man ermittle gegen den Mitarbeiter einer Erdbau-Firma, sagt Andreas Miller, der Sprecher der Staatsanwaltschaft. Im Raum steht der Vorwurf der fahrlässigen Tötung. Denn der Mitarbeiter hatte einige Jahre zuvor an dem Hang Sicherungsarbeiten durchgeführt. "Damals gab es bereits sichtbare Warnzeichen am Haus, die er hätte sehen müssen", sagt Miller.

Die Staatsanwaltschaft folgt dabei wohl weitgehend dem Gutachten des Ingenieurs Kurosch Thuro. Auf 142 Seiten hat der Wissenschaftler der Technischen Universität München (TU) die Ursachen des Felssturzes untersucht und ob er vorhersehbar war. Dabei wird unter anderem auf ein Foto aus dem Jahr 2006 verwiesen, das bereits "markante Risse" im Putz der Außenwand zeige.

Eben diese Risse hätten den Mitarbeitern der österreichischen Baufirma auffallen müssen, heißt es in dem Gutachten, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Denn die Firma arbeitete zwei Jahre nach der Fotoaufnahme, im Jahr 2008, am Hang unmittelbar neben dem Haus. Die Bauarbeiter sicherten das Felsgelände dort mit sechs Erdankern - am Abend des Felssturzes hielt das Gestein dort, direkt daneben wurde das Haus der Familie B. begraben.

Eigentlich hätten die Fachleute die Risse explizit begutachten und das Haus dann sofort evakuieren müssen, sagt der TU-Gutachter. Bei einer Untersuchung des Felsens wären dann offene Klüfte aufgefallen, die auf ein Abkippen hindeuten. Mit Betonpfeilern, Ankern und Drainagebohrungen hätte man die Felswand stabilisieren können. Mit solchen Sicherungsmaßnahmen hätte das Unglück sehr wahrscheinlich verhindert werden können, so das Fazit des Gutachters.

Ob die Erdbaufirma eine solche Beobachtung gemacht und dem Auftraggeber gemeldet hat, das wollte die Staatsanwaltschaft nicht sagen. Der Hügel samt seiner Höhlenburg gehört der nebenan gelegenen Schlossbrauerei Stein.

Gutachten: Der Felssturz hat sich seit Jahren abgezeichnet

Immer wieder in den vergangenen Jahrzehnten wurde der Hügel von Experten untersucht. Ein Gutachten des Geologischen Landesamtes ist auf den 16. Januar 1969 datiert. Bereits damals wird geraten, in einer Höhle ständig Messungen durchzuführen, um Gefahren zu vermeiden. Im Jahr 1979 ermittelten Behördenvertreter in Teilbereichen des Hügels "dünne Lagen geringer Festigkeit". Im sogenannten Gerichtszimmer der Burg stellten sie einen Riss fest und verordneten diverse Sicherungsmaßnahmen.

Bei einer Untersuchung zu Beginn der 1990er Jahre kommen die Beamten zu dem Ergebnis, dass die Steine und Sträucher in und oberhalb der Felswände weggeräumt werden sollten. Und dann heißt es dort, dass Risiken für Bauwerke und Personen bleiben, die sich nur durch "weit umfangreichere Sicherungen der Felswände", etwa Stützmauern, beseitigen ließen. Im Jahr 1997 untersuchten die Beamten nochmals - mit ähnlichen Ergebnissen.

Die amtlichen Vermerke legen zwar nahe, dass vor allem der Bereich der Burg begutachtet wurde und die Felswand oberhalb der Brauerei. Aber hätten nicht schon die Beamten die Kluft im Felsen und die Risse im wenige Meter entfernten Haus entdecken müssen und die Brauerei als Auftraggeber oder die Gemeinde warnen müssen?

TU-Ingenieur Thuro stellt in seinem aktuellen Gutachten jedenfalls fest, dass sich der Felssturz von 2010 mindestens seit elf Jahren durch eine Kluft im Gestein abgezeichnet habe. Auch dazu gibt es noch keine Antworten. Mitte Februar will die Staatsanwaltschaft entscheiden, ob sie Anklage gegen den Firmenmitarbeiter erhebt.

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