Fehlendes Kirchengeläut in Lohr:Streit um ein lautstarkes Kulturgut

Immer mehr Anwohner im unterfränkischen Lohr fordern das nächtliche Kirchengeläut zurück. Sie haben das Schweigen zwischen 22 und 6 Uhr satt.

Es ist Mitternacht im unterfränkischen Lohr am Main. Lastwagen und Autos brausen am Fuß des Valentinusberges vorbei. Nur die Glocken der Auferstehungskirche schweigen. Dekan Michael Wehrwein würde sie gerne nachts wieder läuten lassen. "Sie gehören zu unserer christlich-abendländischen Kultur", sagt er.

Glocke 'Gloriosa' im Erfurter Dom

So viel Lärm um eine Glocke. Die Anwohner im unterfränkischen Städtchen Lohr am Main schafften die regelmäßig nächtliche Beschallung erst per Bürgerbegehren ab, jetzt sammeln sie Unterschriften für eine Rückkehr zu altem Geläut.

(Foto: dpa)

Der Kirchenvorstand der Gemeinde jedoch hat "um des Nachbarschaftsfriedens willen" beschlossen, das Geläut abzuschalten - seit Mitte September, schweigen sie jeweils zwischen 22 und 6 Uhr. Denn einige Anwohner hatten sich beschwert. Und die Stimmung, befeuert durch den Schlagabtausch in der Lokalpresse, schien zunehmend vergiftet. Einer der Initiatoren der Unterschriften ist Anwohner Harald Valder. Es handle sich um Ruhestörung, die man nicht hinnehmen müsse, findet er.

Doch seitdem die Turmglocken schweigen, treffen täglich Briefe, E-Mails und Anrufe im Dekanat und Pfarrbüro ein, in denen Anwohner fordern, die Glocken wieder anzuschalten. Auch nachts. Von den "kraftvollen Stundenschlägen", die einem "schon so manche schlaflose Nacht in Viertelstunden geteilt" habe, ist da die Rede, von einem "vertrauten Klang", der nun fehle.

"Die Alteingesessenen wollen die Glocken, viele Zugezogene nicht", sagt Wehrwein. Auch eine Unterschriftenliste gegen das Schweigen der Glocken ist inzwischen im Umlauf. Aufgesetzt hat sie Christoph Chodura, der knapp 100 Meter von der Auferstehungskirche entfernt lebt. "Ich bin Atheist", stellt er klar, aber "Kirchenglocken gehören nun einmal zu unserer Tradition und Kultur", meint er.

Rechtlich ist die Sache nicht eindeutig, sagt der Würzburger Anwalt Johannes Mierau, der die Landeskirche bereits in Geläut-Streitfällen vertreten hat. "Das sind immer Einzelfallentscheidungen." Dem Zeitläuten würden die Richter in der Regel keine liturgische Bedeutung zumessen.

"Grundsätzlich dürfen Glocken 65 Dezibel laut schlagen", sagt Kurt Kramer. Er ist Mitglied im Beratungsausschuss für das Deutsche Glockenwesen, einem gemeinsamen Gremium der evangelischen und katholischen Kirche. "Im Sinne des Nachbarschaftsfriedens ist Rücksicht das Wichtigste", ergänzt er.

Es gebe etliche technische Möglichkeiten wie etwa Schallläden am Kirchturm oder weniger starke Schlaghämmer, um die Lautstärke zu reduzieren. "Gerade nachts sollten Glocken die Zeit anzeigen", findet Kramer. Und er warnt davor, "ganze Epochen der christlich-abendländischen Kultur mit einem Handstreich zu beenden".

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