Eching am Ammersee:Neue Indizien im Fall Ursula Herrmann

Eching am Ammersee: Die zehn Jahre alte Ursula Herrmann war in Eching am Ammersee im Jahr 1981 auf dem Heimweg von einer Turnstunde entführt und in eine Kiste im Wald gesperrt worden. Dort erstickte das Mädchen.

Die zehn Jahre alte Ursula Herrmann war in Eching am Ammersee im Jahr 1981 auf dem Heimweg von einer Turnstunde entführt und in eine Kiste im Wald gesperrt worden. Dort erstickte das Mädchen.

(Foto: Franz-Xaver Fuchs)
  • Ein Mann aus Eching im Kreis Landsberg am Lech wurde 2010 wegen erpresserischen Menschenraubs mit Todesfolge verurteilt.
  • Er soll Ursula Herrmann entführt und in eine Kiste gesperrt haben - worin das Mädchen erstickte.
  • Der Bruder des vor knapp 40 Jahren getöteten Mädchens liefert seiner Ansicht nach neue Spuren. Die Staatsanwaltschaft prüft nun die Unterlagen auf Relevanz.

Von Johann Osel und Lisa Schnell

Fast vier Jahrzehnte nach der Entführung der zehnjährigen Ursula Herrmann, einem der spektakulärsten Kriminalfälle der Bundesrepublik, hat die Staatsanwaltschaft mögliche neue Spuren vorgelegt bekommen. Wegen erpresserischen Menschenraubs mit Todesfolge verurteilt worden war 2010 ein Mann aus Eching im Kreis Landsberg am Lech: Er soll das Mädchen im September 1981 in dem Ort am Ammersee auf dem Heimweg von einer Turnstunde entführt und in eine Kiste im Wald gesperrt haben, wo es erstickte.

Der in einem Indizienprozess zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilte Mann beteuert bis heute seine Unschuld. Allerdings hielt der Richterspruch bis zum Bundesgerichtshof Stand. Jetzt hat sich der Bruder des Mädchens mit seiner Ansicht nach neuen Indizien an die Strafverfolgungsbehörde gewandt. Bei Nachforschungen sollen auf der Rückseite eines Erpresserbriefs Druckspuren mathematischer Skizzen entdeckt worden sein, wie sie in Stochastik in der gymnasialen Oberstufe gelehrt werden. Dies deute auf Jugendliche als Täter hin, mutmaßlich aus einem Internat in der Nähe. Weitere Indizien gingen in diese Richtung.

Die Hinweise des Bruders, Michael Herrmann, sind kürzlich bei der Staatsanwaltschaft Augsburg eingegangen. Ein anwaltlicher Vertreter habe "Unterlagen zur Prüfung vorgelegt" und diese noch in Gesprächen und Telefonaten, zuletzt in der vergangen Woche, "ergänzend erläutert". Die Prüfung, wie diese Unterlagen zu bewerten sind und welche Relevanz sie strafrechtlich oder strafprozessual haben, sei noch nicht abgeschlossen.

In Justizkreisen hieß es, gefragt sei "gründliche Arbeit", diese müsse "ohne Druck" geschehen. Einem theoretisch denkbaren Wiederaufnahmeverfahren stehen hohe Hürden im Weg, da es einen rechtskräftig verurteilten Täter gibt; dessen unrechtmäßige Verurteilung müsste belegt werden. Zudem müsste es sich insgesamt um mehr als nur Vermutungen handeln. Das juristische Vorgehen wäre deutlich komplizierter als bei der Einleitung von Ermittlungen allgemein. Michael Herrmann spricht gleichwohl von "echten Tatsachen, die ich auch belegen kann".

Laut Berichten des Bayerischen Rundfunks kritisiert er die Polizei für angeblich unzulängliche Ermittlungen - eben mit Blick auf das private Internat, in dem damals auch Kinder einflussreicher Eltern residierten, etwa aus dem Umfeld der Staatsregierung. Demnach habe dorthin schon damals eine wichtige Spur geführt: Kurz nach der Entführung hatten Ermittler am Tatort einen Draht gefunden, ihn aber zunächst nicht mit der Tat in Verbindung gebracht. Dieser könnte den Entführern als Warnsystem gedient haben.

Es braucht einen Anfangsverdacht für "verfolgbare Straftaten"

1983 sei der Draht dann wieder aufgetaucht - bei einer Befragung von Schülern im Internat, einem sogenannten Landerziehungsheim. Diesem Sachverhalt seien, so Herrmann, die Ermittler kaum nachgegangen, ebenso wenig anderen Ungereimtheiten. "Man hätte weiterforschen müssen. Aber ich glaube, die Forschungen beim Landheim, da wusste man schon von der Polizei, das ist nicht gern gesehen", sagte der Bruder dem BR. Mittlerweile sei die Sache mit den Druckerspuren hinzugekommen.

Herrmann hatte als Nebenkläger im Strafprozess Akteneinsicht genommen, dabei seien ihm Zweifel gekommen. Im vergangenen Jahr hatte er in einem offenen Brief geschrieben: "Vieles spricht dafür, dass ein Unschuldiger seit zehn Jahren im Gefängnis sitzt. Die Menschen, die den Tod meiner Schwester zu verantworten haben, leben in Freiheit. Damit will ich mich nicht abfinden." Nach aktuellem Stand ist der Fall abgeschlossen. Mord verjährt nicht, erpresserischer Menschenraub mit Todesfolge nach 30 Jahren.

Die Kammer hatte 2010 auch deshalb so entschieden, weil in der Kiste unter anderem Essen, Kleidung und ein Belüftungssystem eingebaut waren, eine Tötungsabsicht mangels Merkmalen also nicht gesehen werden konnte. Sollte es theoretisch - weil neue Hinweise sich als relevant zeigen - Ermittlungen gegen andere Personen geben, müssten die Behörden den Fall als Mordverdacht führen. Es braucht, so die offizielle Lesart, einen Anfangsverdacht für "verfolgbare Straftaten". Das wäre eine weitere Hürde.

Der Landespolizeipräsident Wilhelm Schmidbauer sagte am Montag bei einer Veranstaltung im Innenministerium auf Nachfrage, die Erfahrung zeige, dass derartige unaufgeklärte Kriminalfälle Gesellschaft, Medien und natürlich Opfer sehr lange beschäftigten. "Ob damals nicht akribisch genug in die eine oder andere Richtung ermittelt worden ist, da habe ich meine Zweifel. Der Bruder war auch damals mit der Polizei in Kontakt und hat Hinweise gegeben." Dass gar nicht in die Richtung des Internats ermittelt worden sei, "kann ich mir nicht vorstellen". Wenn es allerdings neue Tatsachen gebe, die zu berücksichtigen seien, werde die Staatsanwaltschaft das Verfahren wiederaufnehmen.

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Eva Gäbl ist Kommissarin bei der Soko Altfälle im Polizeipräsidium München.

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