Fall Peggy:Zweifel am perfekten Mord

Keine Leiche, keine DNS-Spur: Vor zehn Jahren soll ein geistig behinderten junger Mann im fränkischen Lichtenberg den perfekte Mord verübt haben. Doch das Urteil im Fall Peggy bewegt noch immer viele Menschen. Anwälte und Bürger haben Zweifel an der Schuld von Ulvi K. - und kämpfen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens.

Olaf Przybilla

Am 7. Mai 2001 soll es in Oberfranken den perfekten Mord gegeben haben. Höchstens eine Stunde hatte der Täter Zeit, währenddessen soll er die neun Jahre alte Peggy aus Lichtenberg ermordet und die Leiche so gut versteckt haben, dass sich in den Wäldern und Tümpeln rings um die fränkische Kleinstadt keine Spur fand. Die Kameras der Tornados fanden nichts, an der Kleidung des später verurteilten Täters fand sich nichts, kein noch so kleiner DNS-Rest. Drei Jahre nach dem Verschwinden des Mädchens wurde ein junger Mann des Verbrechens schuldig gesprochen: der geistige behinderte Wirtssohn Ulvi, dem zu jener Zeit die geistige Reife eines Zehnjährigen attestiert wurde. Einem Jungen von sehr schlichtem Verstand ist also im Jahr 2001 der perfekte Mord gelungen.

ULVI K.

Ulvi K. wurde 2004 wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Jetzt mehren sich die Zweifel.

(Foto: AP)

Wirklich? Zehn Jahre sind seit Peggys Verschwinden vergangen, selbst über die perfidesten Kapitalverbrechen wächst üblicherweise Gras in so einer Zeit. In Oberfranken aber füllt das Thema heute noch ganze Seiten in der örtlichen Presse. In Lichtenberg, nordwestlich von Hof gelegen, engagiert sich seit sieben Jahren eine Bürgerinitiative für die Freilassung Ulvis. Empörte Bürger sind nach Urteilen in Mordprozessen nichts besonderes, nur erhebt sich Volkes Stimme normalerweise dann, wenn schwer Verdächtige auf freien Fuß kommen - aus Mangel an Beweisen und weil es den Grundsatz gibt: im Zweifel für den Angeklagten. In der Sache Ulvi ist das anders. Da versuchen Bürger, einen Mann aus der Haft zu bekommen und lassen nichts unversucht.

Gudrun Rödel hat Ulvi K. nie kennengelernt. Sie stammt nicht aus Lichtenberg, sie lebt nicht in Lichtenberg und war nicht im Gerichtssaal, als Ulvi schuldig gesprochen wurde. Warum steht sie - zehn Jahre nach dem Verschwinden eines Mädchens - einer Bürgerinitiative pro Ulvi vor? Zu der Zeit, als sich Ulvi vor Gericht verantworten musste, sei sie berufstätig gewesen, sagt Gudrun Rödel, als Sekretärin in einem Anwaltsbüro. Als sie das nicht mehr war, habe sie sich eingelesen in den Fall, mit Gerichtsprozessen kenne sie sich ein wenig aus: "Aber diese Akten sind erschütternd." Man habe in Oberfranken nie aufgehört, für Ulvi zu kämpfen - und man werde auch nicht aufhören, für ihn zu kämpfen. "Aufhören können wir nicht", sagt Gudrun Rödel, "und dass wir Michael Euler kennengelernt haben, ist für uns alle ein Segen."

Euler ist Rechtsanwalt in Frankfurt, kürzlich wurde er vom Landgericht Bayreuth als Pflichtverteidiger Ulvis für ein mögliches Wiederaufnahmeverfahren beigeordnet. Auch wenn das Gericht seither betont, dies sei mitnichten als Präjudiz zu deuten, dass die Causa Ulvi tatsächlich wieder aufgerollt wird: in Franken reagieren viele wie elektrisiert. Der Anwalt ist nicht bemüht, diese Hoffnungen zu dämpfen: "Nach dem Studium der Akten kann ich eines sagen: Ulvi war es nicht, da sitzt ein Unschuldiger in Haft."

Euler will den Antrag auf Wiederaufnahme im Herbst stellen. Die Argumente, die er andeutet, lassen ahnen, dass da kein Wichtigtuer am Werk ist. Da sind etwa die Aussagen, die ein Hauptbelastungszeuge im Mordprozess gegen Ulvi vor elf Monaten vor dem Amtsgericht Bayreuth getroffen hat. Der Mann hatte den festgenommenen Ulvi einst in einer Klinik kennengelernt. Im Mordprozess hatte er ausgesagt, Ulvi soll ihm in der Klinik berichtet haben, er habe Peggy damals am Hals gepackt und so lange zugedrückt, bis sie tot war. Im Oktober 2010 hat er diese Aussage vor einem Bayreuther Richter zurückgezogen. Er habe seinerzeit an einem Tumor gelitten, wollte alles daran setzen, noch einmal auf freien Fuß zu kommen - und habe deswegen einen Sachverhalt erfunden, von dem er sich Hafterleichterungen erhofft hatte.

Der Anwalt hat auch einen Zeugen aufgetrieben, der berichtet, er habe Peggy noch nach dem angeblichen Tatzeitpunkt gesehen, sie sei in ein rotes Auto mit tschechischem Kennzeichen eingestiegen. Das habe er der Polizei auch so geschildert. Als aber überall zu lesen gewesen sei, man habe den mutmaßlichen Täter bereits gefasst - einen geistig behinderten Mann, der mit dem Mord einen sexuellen Missbrauch habe verbergen wollen - habe er seine Aussage revidiert. Er habe sich eben nicht blamieren wollen.

Manfred Bauer hat sich 2001 auch bei der Polizei gemeldet. Er schilderte, wie er ein Mädchen am Grenzübergang nach Cheb gesehen hat, am Sonntag nach dem Verschwinden Peggys. Das Mädchen saß in einem Auto mit zwei Männern, keiner der beiden sei phänotypisch als Vater des Mädchens in Frage gekommen. Bauer hat dann bei den Ermittlern angerufen, dort sei ihm gesagt worden: Das Foto von Peggy, aufgrund dessen er eine Ähnlichkeit mit dem Mädchen im Auto zu erkennen glaubte, sei kein gutes Porträtbild von Peggy gewesen. Außerdem habe man den Täter wohl schon gefasst: Ulvi. Das habe ihn schon irritiert, sagt der Betriebswirt Bauer: "Diese Gewissheit, den richtigen schon festgenommen zu haben."

Eine Wiederaufnahme des Verfahrens? "Die Stimmung in Oberfranken ist sehr emotional", sagt Christine Künzel, die Vizepräsidentin des Landgerichts Bayreuth. Man werde den Antrag des Anwalts aus Frankfurt abwarten müssen. Aber selbst, wenn diesem nicht stattgegeben werden sollte: Der Fall dürfte Oberfranken weiter in Atem halten. Kürzlich hat das ZDF dort einen Krimi gedreht. Einen älteren Kommissar - gespielt von Elmar Wepper - lässt das Verschwinden eines Mädchens nicht mehr los. Obwohl nie eine Leiche gefunden wurde und es keine genetischen Spuren gibt, wurde ein geistig behinderter Mann wegen Mordes verurteilt. Drehbuchautor Friedrich Ani betont, es handele sich um eine "vollkommen fiktive Geschichte". Eine jedoch, die "Splitter der Wirklichkeit" verwende.

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