Fall Peggy:Wie Lichtenberg mit der Ungewissheit lebt

Vor zwölf Jahren ist Peggy verschwunden und seither ist Lichtenberg nicht mehr zur Ruhe gekommen. Die Suche nach ihrer Leiche bleibt auch am zweiten Tag erfolglos. Viele Bürger der Stadt wollen endlich Ruhe haben.

Von Katja Auer, Lichtenberg

Das Paar aus Österreich fragt, ob wohl ein Film gedreht werde. Die vielen Kameras, die Absperrung. Die beiden sind Touristen, Kurgäste vielleicht aus dem nahen Bad Steben, solche kommen immer wieder nach Lichtenberg. Schlendern die Marktstraße hinauf bis zur Burgruine und zum Vereinsheim des TSV Lichtenberg und schauen hinunter ins Tal.

Aber es wird kein Film gedreht. Die Absperrbänder hat die Polizei gespannt, rund um das rosafarbene Haus mit der Nummer 33. Deswegen sind auch die vielen Fernsehteams da. Seit Montag durchsucht die Polizei das Haus mit dem Vogelhäuschen auf dem Fenstersims im ersten Stock und gräbt im Innenhof, der direkt an die Kirche grenzt. Denn "es gibt Hinweise auf einen möglichen Leichenablageort", wie es ein Polizeisprecher in umständlichem Behördendeutsch formuliert. Deswegen durchkämmten die Polizisten am Montag auch "zwei Objekte" in Mittelfranken und Thüringen. Sie suchen nach Peggy, dem neunjährigen Mädchen, das am 7. Mai 2001 in Lichtenberg spurlos verschwunden ist. Sie hat nicht weit von dem rosafarbenen Haus gewohnt. Nur ein paar Schritte die Straße runter, hinter der hellblauen Fassade.

Frühmorgens, kurz bevor die Glocken sieben Uhr schlagen, rückt das Technische Hilfswerk an. Die drei großen blauen Lastwagen poltern durch die kopfsteingepflasterte Markstraße, sonst ist es noch still in dem 1100-Einwohner-Städtchen im Frankenwald. Sie parken direkt vor dem Zugang zum Hof und versperren den Blick auf das üppig dekorierte Haus dahinter, wo auf einen rostigen Tonnenboden geschrieben steht: "Die Freude und das Lächeln sind der Sommer des Lebens." Jean Paul wird dieser Spruch zugeschrieben, den feiern sie in diesem Jahr in Oberfranken.

Vor zwölf Jahren ist Peggy verschwunden und seither ist Lichtenberg nicht mehr zur Ruhe gekommen. Zwar verurteilte das Landgericht Hof im April 2004 den heute 35-jährigen Ulvi Kulac als Mörder von Peggy zu lebenslanger Haft. Doch immer noch zweifeln viele an der Schuld des geistig behinderten Gastwirtssohnes, dessen Eltern die Wirtschaft oben am Schlossberg führen. Ulvi Kulac hat Kinder missbraucht, deswegen sitzt er in der geschlossenen Psychiatrie in Bayreuth. Aber wie es dem Kerl, der offenbar kaum lesen, geschweige denn etwas Geschriebenes auch verstehen kann, wie Vertraute erzählen, gelungen sein soll, den perfekten Mord zu begehen, das ist eine der ungelösten Fragen im Fall Peggy. In Lichtenberg hat sich deswegen eine Bürgerinitiative gegründet, die von der Unschuld Ulvis überzeugt ist. Gudrun Rödel gehört dazu, sie ist Ulvis Betreuerin und steht am Dienstag schon am frühen Morgen vor der Polizeiabsperrung. Auch wenn sie nicht glaubt, dass man Peggy im Hof finden wird. Zwar gebe es Hinweise, dass das Mädchen bei dem Hausbewohner, der wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern vorbestraft ist, gelegentlich zu Besuch gewesen sei. Aber dass er etwas mit dem Mord zu tun habe, das glaubt Gudrun Rödel nicht.

Als die Männer vom Technischen Hilfswerk Mittagspause machen im Burghotel, wo es der Speisekarte im Schaukasten nach ein "Lichtenberg Rittersteak" gibt und eine Allgäuer Pilzpfanne, kann der Polizeisprecher noch keinen Fund vermelden. Keinen Hinweis auf ein totes Mädchen. Ein gutes Dutzend Spezialisten arbeitet im Hof, vor der Tür wacht die Bereitschaftspolizei. Dass der Leichenspürhund am Morgen angeschlagen habe, da solle man nichts hineininterpretieren. Später erklärt er "nach Rücksprache mit dem Diensthundeführer", dass das Tier wohl auf die Gerüche in einem Abwasserkanal reagiert habe.

Im Hinterhof arbeitet der Bagger, ein Lastwagen fährt den Aushub fort. Ein Springbrunnen wird abgetragen, den soll der Hausbesitzer kurz nach Peggys Verschwinden angelegt haben. Aber darunter finden die Beamten nichts. 25 Quadratmeter ist der Hof groß, bis zum Nachmittag ist der Großteil umgegraben. Warum das rosafarbene Haus und "die Personen, die in Zusammenhang mit diesem Objekt stehen", wie es der Polizeisprecher formuliert, ausgerechnet jetzt in den Fokus geraten, wird nicht klar. Warum es nach zwölf Jahren eine neue Spur geben soll. Es habe "Hinweise" gegeben, sagt er, "die gepaart mit polizeilichen Erkenntnissen" nun zu der Aktion geführt hätten. Offenbar sind es neue Hinweise, zumindest habe sie es in den Jahren 2001 bis 2004 noch nicht gegeben, sagt der Sprecher. Allerdings wurde das Anwesen schon einmal durchsucht, nach Polizeiangaben war das 2008, nach der Anzeige gegen den Hausbewohner wegen sexuellen Missbrauchs.

Einen Zusammenhang mit dem Fall Peggy soll es nicht gegeben haben. Und offenbar entdeckt die Polizei auch diesmal keinen. "Es geht nicht darum, einen neuen Täter zu finden", sagt der Sprecher. Am Nachmittag betont er in einer schriftlichen Stellungnahme, die zusammen mit der Staatsanwaltschaft Bayreuth veröffentlicht wird, "dass im Rahmen der derzeit laufenden Ermittlungen keine Person festgenommen wurde". Entgegen anderslautender Medienberichte. Der 69-jährige ehemalige Stuckateur kann also in das rosafarbene Haus in Lichtenberg zurückkehren, wenn die Polizei weg ist. Wann das sein wird, ist am Dienstag lange nicht klar. Am späten Nachmittag erklärt der Sprecher, dass man auf einen bis dahin unbekannten Abwasserkanal gestoßen sei, der nun untersucht werden muss. Wie lang das dauert, weiß er nicht. Aber am Mittwoch werde man noch weiter graben müssen, sagt er.

"Ich geb' da nicht viel drauf"

Die Wirtin vom Cafe gegenüber hat ein paar Stunden früher geöffnet, weil die vielen Reporter gerne Kaffee trinken bei der Warterei. Sonst kommen Touristen zu ihr, aber erst am Nachmittag und eigentlich auch erst später im Jahr. Vor dem Fenster steht der Marktbrunnen, der zugleich Kriegerdenkmal ist. 32 Gefallene, vier Vermisste im ersten Weltkrieg. 38 Gefallene, 30 Vermisste im zweiten Weltkrieg. Ein paar Lichtenberger laufen an den Absperrbändern vorbei. Viele wollten nichts mehr hören von der ganzen Sache, eine Frau sagt, dass jetzt endlich einmal Ruhe einkehren müsse. Ulvis Vater kommt auch vorbei, aber sagen will er nichts.

Dieter Teichmann, 73, hat erzählt bekommen, dass sie graben hinter dem rosafarbenen Haus. "Ich geb' da nicht viel drauf", sagt er. Aber dass es Ulvi war, das glaubt auch er nicht. Schließlich sei der damals bei ihm gewesen zum Holzmachen, als Peggy verschwand. Das hat er auch der Polizei gesagt, aber die hätten ihm nicht geglaubt. Halb zwei sei mit dem Ulvi ausgemacht gewesen, und dann sei der halt ein bisschen später gekommen. "Aber er war da", sagt Teichmann. Deswegen habe er dem Mädchen gar nichts antun können.

Aus dem Innenhof lärmen die Maschinen und der Wind fegt scharf durch Lichtenberg. Die Sonne scheint, aber wo sie nicht hinkommt, ist es kühl. Das Klima ist im Frankenwald oft rauer als anderswo.

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