Europawahl in Bayern:Ein Dressurakt mit Bier und Brezn

Die Bayern setzen in Brüssel die landestypische Folklore hemmungslos ein, um ihre Forderungen durchzusetzen.

Martin Winter

Brüssel - Die Kelten haben mit den Bayern gemein, ein alter europäischer Volksstamm zu sein. Was sie von ihnen, neben ihrer Liebe zu Guiness, Whisky und Poesie, aber unterscheidet, ist, dass sie ihre Sprache auf die Liste der Amtssprachen der Europäischen Union geschmuggelt haben.

Europawahl in Bayern: 30 Trachtler stellten im April 2008 zum ersten Mal einen Maibaum in Brüssel auf, begleitet vom damaligen Europaminister Markus Söder.

30 Trachtler stellten im April 2008 zum ersten Mal einen Maibaum in Brüssel auf, begleitet vom damaligen Europaminister Markus Söder.

(Foto: Foto: dpa)

Bairisch findet sich dort dagegen nicht, obwohl es wahrscheinlich von mehr Menschen in Bayern gesprochen wird als Gälisch von Iren in Irland. Fränkisch ist allerdings auch keine offizielle Sprache. Maltesisch dagegen, das wahrscheinlich von weniger Menschen gesprochen wird als in Nürnberg leben, kann mithören, wer bei den Debatten im Europäischen Parlament den richtigen Übersetzungskanal findet.

Nun ist es nicht so, dass sich Bundestagsabgeordnete - darunter gelegentlich auch solche aus Bayern - in Brüssel nicht bitter über die geringe Benutzung des Deutschen in der EU beklagten. Vernünftigerweise ist jedoch noch keiner auf die Idee verfallen, sich in Brüssel für das Bairische in die Bresche zu werfen. Natürlich ist derjenige im Vorteil, dessen Muttersprache bei Verhandlungen gesprochen wird. Aber man kann sich ja auch anders bemerkbar machen. Liebende etwa lassen gerne Blumen sprechen. Ganz so romantisch geht es beim bayerischen Auftritt in Brüssel aber nicht zu.

Der Auftritt der Bayern wird von dem Prinzip geleitet, nur nicht in der Masse der vielen Landes- und Regionalvertretungen bei der EU unterzugehen. Als erstes hat sich die bayerische Staatsregierung darum vor Jahren ein gewaltig repräsentatives Gebäude in der Rue Wiertz 77 zugelegt. Die Straßenadresse täuscht ein wenig darüber hinweg, dass dieses ehemalige Institut Pasteur, zu seiner Zeit eine berühmte Forschungsstätte, zur einen Seite an den Park Leopold im Herzen des Europaviertels grenzt. Auf der anderen Seite ragt, einen Steinwurf entfernt, das Europäische Parlament in den Himmel.

Der Maibaum in Brüssel

Diese Lage ist unschlagbar. Bayern lässt sich nicht übersehen. Aber weil diese Premiumlage allein kaum reicht, die EU bayerischen Wünschen gewogen zu machen, verfolgt die Vertretung des Landes eine Politik, die einer, der sie gut kennt, aber nicht genannt werden will, in folgende Formel packt: "Wir nutzen bayerische Alleinstellungsmerkmale, um unsere europapolitischen Interessen zu transportieren". Alleinstellungsmerkmale? Hinter diesem Begriff, den man im Wörterbuch des preußischen Beamten vermuten würde, verbirgt sich die Methode, Folklore hemmungslos zum Erreichen politischer Ziele einzusetzen.

Wer von der EU-Kommission, dem Europäischen Parlament und dem Ministerrat etwas will, der muss natürlich gute Argumente für seine Sache haben. Einerseits. Andererseits garantiert das noch keine offenen Ohren. Es wollen schließlich viele vieles und nur wenige können bedacht werden. Also hilft es, wenn man sich hohe Beamte, Kommissare und Abgeordnete gewogen macht. Und dabei hilft die bayerische Tradition. Wen wir erst einmal an unserem Biertisch haben, der hört uns auch zu, sagen sich die Bayern. Und lassen sich dabei nicht lumpen.

Das Oktoberfest, das die bayerische Vertretung alle zwei Jahre in Brüssel veranstaltet, gilt längst als Top-Ereignis, dessen Eintrittskarten sehr begehrt sind. Im Bierzelt auf dem Place Jourdan kommen sich die Bayern und die einflussreichen Damen und Herren des europäischen Apparates über einer Maß, Weißwürsten, Brezn und bei Blasmusik näher. Neuerdings greift man auch auf heidnische Bräuche zurück und stellt im Hof der Vertretung einen Maibaum auf. Der diesjährige stammt aus Prien am Chiemsee und wurde von einer Familie gestiftet, die dort die Seeschifffahrt betreibt. Zu Weihnachten kommt natürlich das Nürnberger Christkindl.

Die EU gewogen machen

Und wenn gerade kein Oktoberfest ist, also meistens, oder kein Maibaum aufgerichtet wird, also fast immer, sorgt die Vertretung selber für die Kontinuität bayerischer Gastfreundschaft und Gemütlichkeit. Dafür stehen zur Verfügung: eine Münchener Bierstube und eine fränkische Weinstube. Außerdem eine auf bayerisches und fränkisches Essen spezialisierte Küche. Bei Bier und Brezn, heißt es in der bayerischen Vertretung, lasse sich den Leuten von der Kommission gleich gut veranschaulichen, dass die Begrenzung des Salzgehaltes für bayerische Backwaren keine gute Idee ist.

Einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Umgarnen europäischer Granden und bayerischen Erfolgen auf der europäischen Bühne kann man zwar nur selten herstellen. Aber dass die Bayern es verstehen, ein sich ihnen gewogenes Klima zu schaffen, ist nicht zu übersehen.

Mit einigem Stolz präsentiert das Landwirtschaftsministerium in München auf seiner Website, für welche bayerischen Produkte es eine europaweit gültige "geschützte Ursprungsbezeichnung" schon durchgesetzt hat: Unter anderem für Nürnberger Bratwürste und Lebkuchen, bayerisches Bier im allgemeinen und das aus Hof und Kulmbach im besonderen. Für Bergkäse und Emmentaler aus dem Allgäu und - ein wenig rätselhaft - für Karpfen aus der Oberpfalz.

Stoiber zuckte zurück

Die geballte Ladung bayerischer Folklore täuscht leicht darüber hinweg, worum es allen vergangenen, der gegenwärtigen und wohl auch allen zukünftigen bayerischen Staatsregierungen geht: einen Auftritt in Brüssel hinzulegen, der garantiert, dass Bayern als etwas Besonderes wahrgenommen wird. Wie in Berlin will der Freistaat auch in Brüssel aus der Masse herausragen.

Wenn Edmund Stoiber in seinen gloriosen Zeiten in die europäische Hauptstadt kam, dann taten sich ihm die Türen auf. Und dass Bayern nicht nur Lederhosen anhaben, sondern auch was vom Laptop verstehen, beweist die Vertretung bei der EU mit meist respektabel besetzten Veranstaltungen zu Gegenwarts- und Zukunftsthemen. Die Einladungen dazu sind auf elegantem Karton gedruckt. Auf Hochdeutsch. Und auf Englisch.

Den ultimativen Preis für ihre Politik haben die Bayern aber verpasst. Im Jahre 2004 hätte Stoiber Präsident der EU-Kommission werden und damit die Inkarnation des bayerischen Alleinstellungsmerkmals werden können. Paris und Berlin hatten sich schon auf den CSU-Chef geeinigt. Doch der zuckte zurück. Angeblich auch deswegen, weil er sich seiner englischen Zungenfertigkeit nicht sicher war, geschweige denn seiner französischen. Und mit Bayerisch allein ist es eben in Brüssel trotz aller Folklore nicht getan.

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