Erster Motorflug:Wissenschaftler streiten über fliegenden Franken

Gustav Weisskopf - Streit um ersten Motorflug

Wer machte den ersten Motorflug? Gustav Weißkopf aus Leutershausen oder die Brüder Wright aus Amerika?

(Foto: dpa)

Wem gelang der erste Motorflug: Gustav Weißkopf aus Leutershausen oder den Brüdern Orvile und Wilbur Wright? Neue Beweise sollen belegen, dass der Franke Weißkopf der eigentliche Pionier ist. Der ewige Streit geht in eine neue Runde.

Von Hans Kratzer

Was den Fortschritt der Menschheit anbelangt, war der 17. Dezember 1903 ein herausragender Tag. Laut Überlieferung wagte der Konstrukteur Orville Wright seinerzeit im US-Bundesstaat North Carolina den ersten motorisierten Flugversuch. Er blieb mit seiner Maschine zwölf Sekunden in der Luft und flog dabei 37 Meter weit. Sein Bruder Wilbur schaffte anschließend sogar eine Flugstrecke von mehr als 200 Metern. Von da an galten die Brüder Wright als die klassischen Flugpioniere. Allerdings wurde ihr Ruhm in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder in Zweifel gezogen. Es habe noch frühere Motorflüge gegeben, behaupteten mehrere Forscher, ohne dass sie ihre These letztgültig belegen konnten.

Der aus dem fränkischen Leutershausen stammende Pilot Gustav Weißkopf soll demnach schon zwei Jahre vor den Wrights motorisiert geflogen sein. Trotzdem konnte Weißkopf die Brüder Wright nie von ihrem Pionierrang verdrängen. Seit Kurzem aber wird der Streit über den ersten Motorflug heftiger denn je geführt, er droht sogar zu eskalieren, wie die Nachrichtenagentur dpa vermeldet.

Als Hauptkontrahenten fungieren der Braunschweiger Luftfahrthistoriker John Brown und Hans Holzer, der Luftfahrtkurator des Deutschen Museums in München. Holzer vertritt im Namen des Deutschen Museums die altbewährte Meinung, dass der Motorflug der Brüder Wright weltweit der erste gewesen sei. Brown tendiert dagegen zu Weißkopf, denn er glaubt einen handfesten Beweis dafür zu besitzen, dass Weißkopf bereits am 14. August 1901 motorisiert geflogen sei. Er besitzt ein angeblich an jenem Tag aufgenommenes Foto, das den Erstflug Weißkopfs zeige.

Unscharfe These

Leider ist das Beweisstück mit dem Makel einer extremen Unschärfe behaftet. Brown hatte das Bild auf einem anderen historischen Foto entdeckt, das einen New Yorker Ausstellungsstand von Weißkopf aus dem Jahre 1906 zeigt. Brown kopierte das Foto aus dieser Aufnahme heraus, aber es wirkt so diffus, dass es nicht jeden überzeugt. Selbst nach 32-facher Vergrößerung sehe man darauf nur einen Schatten, sagt Holzer. "Daraus eine Flugsituation der Weißkopf'schen Flugmaschine herauszufiltern, finde ich sehr gewagt", hatte er deshalb vor Wochen in einem dpa-Interview erklärt. Holzer sieht im Falle Weißkopf viele Ungereimtheiten und bezweifelt unter Berufung auf die gängige Luftfahrtliteratur sogar die Existenz eines zeitgenössischen Fotos vom Erstflug. Brown droht nun Holzer mit rechtlichen Konsequenzen, falls dieser ihm weiter Fälschung und Täuschung vorwerfe.

Brown beklagt, Holzer wolle mit seinen Zweifeln weitere Diskussionen zu diesem Thema abwürgen, obwohl viele US-Blätter über die Frage des motorisierten Erstflugs seit Wochen diskutierten. Brown legte deshalb in Weißkopfs Heimatort Leutershausen zusätzlich zu der umstrittenen Fotografie gut 300 historische Zeitungsberichte vor, in denen über Weißkopfs Pioniertat berichtet worden war. Die luftfahrthistorische Zeitschrift Jane's All the World's Aircraft ließ sich davon durchaus beeindrucken und ernannte Weißkopf zum ersten Motorflieger der Welt.

"Niemals zuvor ein solches Freiheitsgefühl"

In Leutershausen, wo er 1874 geboren wurde, erfreut sich Weißkopf seit jeher größter Hochachtung. Ihm zu Ehren gibt es dort seit 1974 sogar ein Flugpioniermuseum. Seine Jugendzeit war unstet, mehrere Lehrstellen gab er auf. Vermutlich ist er um 1890 herum nach Brasilien und von da aus nach Amerika ausgewandert, wo er sich Gustav Whitehead nannte und das Gerücht nährte, er sei ein Schüler des Luftpioniers Otto Lilienthal gewesen. In Bridgeport (Connecticut) widmete er sich neben seinem Job als Nachtwächter der Entwicklung und dem Bau von Flugmaschinen.

Schon in den 60er Jahren waren die Leutershausener fest überzeugt davon, dass Weißkopf mit einem selbstkonstruierten Acetylen-Vierzylinder-Motor der erste Flug geglückt sei. Als 1974 der 100. Geburtstag des Fliegers gefeiert wurde, ließ der damalige Bürgermeister in der Festrede daran keinen Zweifel, bestärkt durch ein kurz nach Weißkopfs Tod in Amerika erschienenes Buch mit dem Titel "Die vergessenen Flüge des Gustav Whitehead" und durch verschiedene Zeitzeugenberichte.

"Nichts weiter als ein Rumpeln"

Im August 1966 waren die amerikanische Schriftstellerin Stella Randolph und der US-Luftwaffenmajor William O'Dwyer mit der Ehrenbürgerwürde von Leutershausen ausgezeichnet worden, weil sie systematisch Berichte über Weißkopf zusammengetragen hatten.

Dazu gehörte ein am 18. August 1901 erschienener Artikel in der Zeitschrift Sunday Herald, deren Reporter Augenzeuge des Flugs gewesen sein will. Weißkopf flog demnach mit einem Eindecker von elf Metern Spannweite. Ein Vierzylindermotor trieb zwei seitlich befestigte Luftschrauben an. Der Apparat flog nach diesem Bericht über eine halbe Meile in zwölf bis 15 Metern Höhe. Der Reporter zitierte sogar, was Weißkopf nach dem Flug sagte: "Ich hörte nichts weiter als das Rumpeln des Motors und das Klappern der großen Schwingen. Ich begann mich sicher zu fühlen... Ich habe niemals zuvor ein solches Freiheitsgefühl gehabt wie während der zehn Minuten, in denen ich über meinen Mitarbeitern schwebte, in etwas, das mein eigenes Gehirn entwickelt hatte."

Andere Berichte weisen auf einen weiteren Flug Weißkopfs hin. Am 17. Januar 1902 soll er über das Eis des Long-Island-Sunds gedonnert sein, zwölf Kilometer von Bridgeport nach Lordshipe Manor und zurück. Bei der Landung, so heißt es, sei die Maschine ins offene Wasser abgetrieben und gesunken. Aus der Sicht von Historikern ist es freilich gar nicht so entscheidend, wer der erste Motorflieger am Himmel war.

Die Brüder Wright haben den Vorsprung, dass an der Authentizität ihrer Flüge kein Zweifel besteht. Sie machten das Fliegen populär, da sie ihre Flüge wiederholen und sie auch in Europa vorführen konnten. Das ist Weißkopf nicht gelungen. Er konnte keinen wirtschaftlichen Nutzen aus seiner Arbeit ziehen und geriet in Vergessenheit. Als er 1927 einen jähen Herztod erlitt, soll sein Vermögen lediglich acht Dollar betragen haben.

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