Fehlerhafte Chipkarte:Flüchtlinge in Erding bekommen wieder Bargeld

Fehlerhafte Chipkarte: Das Landratsamt in Erding.

Das Landratsamt in Erding.

(Foto: Bauersachs)
  • Die 1400 Flüchtlinge im Landkreis Erding sollten mit einer elektronischen Bezahlkarte zahlen und kein Bargeld mehr bekommen.
  • Dieser "Kommunal Pass" ist auf viel Kritik gestoßen, nicht nur von Flüchtlingshelfern.
  • Zahlreiche Geschäfte können die Karte nicht verwenden, auch Bustickets können damit nicht gelöst werden.

Von Matthias Köpf, Erding

Eine Rückkehr zur Bargeldauszahlung an Asylbewerber werde es nicht geben. Das hatte der Erdinger Landrat Martin Bayerstorfer (CSU) den dortigen Kreisräten vor drei Wochen noch versichert - wenige Tage nach der fast überfallartigen Einführung einer elektronischen Bezahlkarte für alle etwa 1400 Flüchtlinge im Landkreis.

Doch am Mittwoch und am Donnerstag bildeten sich vor der Asyl-Außenstelle des Landratsamts in der Erdinger Kirchgasse wieder lange Schlangen. Notgedrungen ließ Bayerstorfer an jeden erwachsenen Asylbewerber einmalig 50 Euro auszahlen, für jedes Kind gab es 20 Euro. Es ist das unausgesprochene Eingeständnis, dass der Landrat mit seinem umstrittenen Vorhaben gescheitert ist, Asylbewerbern jegliches Bargeld vorzuenthalten und ihnen zum Einkaufen stattdessen nur eine Chipkarte ohne Abhebefunktion zu geben.

Die ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer hatten Bayerstorfers eilig eingeführten "Kommunal Pass" heftig kritisiert. Die meisten von ihnen sehen die zum 1. Mai ausgegebene Chipkarte als vollkommen unpraktikabel an und interpretieren sie vor allem als behördliche Schikane, mit der Bayerstorfer seine harte Haltung unterstreichen und sich Wählern und Parteifreunden als entschlossener Durchgreifer in Asylfragen andienen wolle.

Der Landrat selbst spricht davon, dass keine falschen Anreize für weitere Flüchtlinge gesetzt werden sollten, indem man bereits nach Deutschland geflohenen Menschen Bargeld gebe sowie die Möglichkeit, einen Teil davon in ihre Herkunftsländer zu schicken. Zudem sei der Landkreis Erding unter seiner Führung ein Vorreiter etwa bei den Notunterkünften und der Asylsozialberatung gewesen.

Beim "Kommunal Pass" hat Bayerstorfer inzwischen jedoch Startschwierigkeiten eingeräumt. So funktioniert die Karte in kaum einer Apotheke. Gerade in vielen kleineren Orten im Landkreis Erding findet sich überhaupt kein Geschäft, in dem Asylbewerber damit bezahlen könnten. Zum Einkaufen in den nächsten größeren Ort zu fahren scheitert aber daran, dass sich mit der Chipkarte in den Linienbussen keine Tickets lösen lassen.

Die Geschäfte können die Chipkarte nicht nehmen

Darunter leidet zum Beispiel ein syrisches Flüchtlingspaar mit einem wenige Wochen alten Baby. Die Eltern können weder in ihrem Wohnort Inning noch in der Nachbargemeinde Steinkirchen irgendwelche Lebensmittel oder Windeln einkaufen, sagt der Rechtsanwalt Franz Bethäuser, der im Namen der Familie inzwischen juristisch gegen den Kommunal Pass vorgeht und beim Sozialgericht München einen Antrag auf eine einstweilige Anordnung gestellt hat.

Demnach soll das Erdinger Landratsamt der Familie unverzüglich Geldleistungen zukommen lassen, weil die Chipkarte für seine Mandanten faktisch unbenutzbar und also völlig wertlos sei. Das Landratsamt degradiere seine Mandanten "zu bloßen Objekten staatlichen Handelns" und verletze damit ihre Menschenwürde.

Flüchtlingshelfer sehen sich in ihrer Arbeit behindert

Das Gericht hat jedoch bisher nur den Eingang des Antrags bestätigt, und auch die Regierung von Oberbayern als Aufsichtsbehörde des Landratsamts sieht nach eigenen Angaben und "derzeitigem Kenntnisstand" keinen Grund für eine Beanstandung. Man habe sich über den Kommunal Pass berichten lassen und sehe "die jetzige Ausformung als Übergangslösung bis zur Möglichkeit, Bargeld abzuheben".

Just diese ursprünglich vorgesehene Möglichkeit hatte Bayerstorfer von der Kartenfirma abschalten lassen. Nun soll sie in einem begrenzen Umfang doch freigeschaltet werden. Zumindest die 150 Euro sollen sich mit dem Kommunal Pass künftig abheben lassen, etwas mehr als der in Deutschland höchstrichterlich als Minimum für gesellschaftliche Teilhabe definierte Betrag, der auch für Flüchtlinge gilt.

Dies sei schon immer so geplant gewesen, stoße aber noch auf technische Schwierigkeiten, heißt es dazu neuerdings aus dem Erdinger Landratsamt. Die aktuelle Auszahlung von Bargeld sei demnach als unbürokratische Überbrückung zu verstehen, bis die Abhebefunktion freigeschaltet ist. Das ausgezahlte Geld wird den Asylbewerbern vom ihrem Juli-Guthaben abgezogen, ebenso werden die Kosten für die Busfahrt verrechnet, die die Flüchtlinge unternehmen müssen, um sich das Geld im Landratsamt abzuholen.

Flüchtlingshelfer wie Maria Brand haben auch dafür kein Verständnis. Schließlich sei diese Busfahrt erst wegen Bayerstorfers auf Abschreckung ausgelegter Chipkarte notwendig geworden. Dass der Landrat in der Bargeld-Frage nun teilweise einlenkt, erfreut seine Kritiker gar nicht unbedingt. Ihnen wäre es viel lieber gewesen, Bayerstorfer würde sich ganz von seiner Chipkarte verabschieden. Brand und ihre Mitstreiter als ehrenamtliche Flüchtlingshelfer beklagen, sie übernähmen ohnehin viele eigentlich staatliche Aufgaben. Sie streckten den Asylbewerbern notfalls auch immer wieder kleinere Geldbeträge vor.

Das Verfahren soll günstiger sein

Vom Erdinger Landrat sehen sie sich trotz der üblichen Dankesbekundungen in ihrer Arbeit behindert. Man werde es dieses Mal dem Landratsamt überlassen, den Asylbewerbern die Verrechnung der Barauszahlung mit dem Geld für Juli zu erklären, sagt Brand. Sie ärgert sich noch immer darüber, dass die Asylbewerber im Amt erst eine lange Reihe für sie vollkommen unverständlicher Allgemeiner Geschäftsbedingungen auf Deutsch unterzeichnen mussten, ehe sie die Karte ausgehändigt bekamen.

Wie viel deren Einführung kostet, kann das Landratsamt nach eigener Auskunft bisher nicht genau übersehen. Der Landrat sei aber zuversichtlich, dass das neue Verfahren am Ende billiger kommen werde als die alte Bargeld-Auszahlung. Seine Kritiker fragen sich allerdings nur, warum Bayerstorfer den Asylbewerbern ihr Geld nicht einfach auf normale Konten überweisen lässt, wie es im Nachbarlandkreis Freising bestens funktioniere.

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