Energiedebatte:Wir müssen reden

Starkstrommasten

Wie viele Stromtrassen braucht Bayern? Horst Seehofer macht aus zwei Trassen jetzt erstmal eine.

(Foto: dpa)

Wie viele neue Stromtrassen braucht Bayern? Diese Frage ist auch für Fachleute schwer zu beantworten. Doch der bayerische Ministerpräsident Seehofer will die Bürger mitentscheiden lassen - nach dem Vorbild der G-9-Debatte.

Von Frank Müller und Mike Szymanski

Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) will bis Februar den Streit über neue Stromtrassen im Freistaat befriedet haben. Bei Gesprächen in Berlin hatte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) ihm am Donnerstag die gewünschte Zeit gegeben, noch einmal mit der Bevölkerung im Freistaat über die geplanten Fernleitungen für Strom, neue Gaskraftwerke und das Tempo beim Ausbau der Erneuerbaren Energie zu reden. Seehofer sagte am Freitag der Süddeutschen Zeitung: "Das sind Entscheidungen die maßgebend sind mindestens für eine Generation."

Es sei nun Aufgabe seiner Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU), einen Dialogprozess mit allen Beteiligten zu starten. Seehofers Vorbild sind die monatelangen Debatten in Bayern über die Zukunft der Gymnasiums, die mit den Einstieg in G9-Züge zu einem Kompromiss geführt hatten. "Ich bin sehr sicher, dass das am Ende ähnliche befriedende Wirkung hat wie der Prozess beim Gymnasium", sagte Seehofer. Er habe seine Position auch mit Kanzlerin Angela Merkel "ganz sorgfältig abgestimmt".

Aigner muss die Diskussion leiten

Aigner will die Diskussion am 3. November mit einem Treffen mit Energieexperten, Wissenschaftlern, Vertretern der Wirtschaft, der Netzbetreiber und unter Beteiligung der Bürgerinitiativen in ihrem Haus starten. Danach sollen in Arbeitsgruppen Themen wie Umwelt- und Raumverträglichkeit, Bürgerbeteiligung, Energieeinsparpotenziale und Kosten behandelt werden. "Es ist gute bayerische Tradition, Bürger und Fachleute zu Wort kommen zu lassen", sagte Aigner. "Wir nehmen uns die Zeit." Sie erwägt, die Bürger übers Internet mitreden zu lassen.

Dass die Sachverhalte ungleich komplizierter sind als bei der Gymnasialreform sieht Seehofer nicht als Problem. Für Aigner sei die Gestaltung des Prozesses nun eine wichtige Aufgabe: "Das hat sie drauf, total", sagte Seehofer. Bedenken, ob Bayerns Energieversorgung zu stark von russischem Gas abhängig werden könnte, müsse man ernst nehmen.

Dialogprozess als innerbayrische Angelegenheit

Als grundsätzlich problematisch empfindet der CSU-Chef die Frage aber nicht. "Wir sind ja heute auch nicht autark." Auch die Frage, ob bei möglicherweise nur noch einer Stromtrasse nach Bayern der Freistaat durch einen Terroranschlag komplett lahm zu legen sei, "muss man natürlich ernst nehmen", sagte er. Den Dialogprozess versteht er vor allem als innerbayerische Angelegenheit, Berlin könne "als Beobachter" teilnehmen". Die Ergebnisse aus Bayern werde er im Februar dann in Berlin bei erneuten Gesprächen vortragen.

Bis dahin werde es auch keine Entscheidungen zu einzelnen Themen geben, sagte Aigner, die für den 23. Oktober eine Regierungserklärung im Landtag plant. Sie wie auch der Regierungschef wollen die Diskussion in den nächsten Monaten auch ein Stück weit von den Trassen, die bislang im Mittelpunkt stehen, wegführen. Deutschlandweit werde man in gut zehn Jahren noch 55 bis 60 Prozent des Stroms konventionell erzeugen müssen. "Eine isolierte Betrachtung von Stromtrassen ist völlig unzureichend", sagte Seehofer.

Gaskraftwerke sollen wieder rentabel werden

Er und Aigner wollen in Berlin den Weg dafür ebnen, dass in Zukunft moderne Gaskraftwerke wieder rentabel betrieben werden können. Momentan ist dies durch den rasanten Ausbau der Erneuerbaren nicht ohne Weiteres der Fall. Aus Seehofers Sicht könnte Bayern drohende Probleme der Versorgungssicherheit durch den Bau neuer Gaskraftwerke lösen. War im früheren Energiekonzept von fünf Gaskraftwerken die Rede, spricht Seehofer jetzt noch von zwei Anlagen.

Bei den Trassen hatte er in Berlin selbst einen Kompromissvorschlag unterbreitet: Die beiden bisher geplanten Trassen nach Bayern würde er - grob vereinfacht - zu einer zusammenfassen. Auch darüber werde gesprochen.

Seehofer warb abermals um die Unterstützung der Wirtschaft für seinen Kurs. In der Energiepolitik habe man zahlreiche Forderungen der Unternehmen umgesetzt, etwa Stromrabatte beibehalten. Während Seehofer die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (VbW) bei der Energiewende auf seiner Seite sieht, griff er im SZ-Gespräch den Chef der bayerischen Industrie- und Handelskammern, Peter Driessen, scharf an. Der hatte zuvor Seehofers Politik als Gift für die Wirtschaft bezeichnet. Seehofer warf Driessen nun vor, seinen Kurs in der Energiewende nicht umrissen zu haben. "Das kenne ich, gerade bei ihm. Der hätte durchaus mal anrufen können, um diese ganzheitliche Betrachtungsweise zu erfahren."

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