Ende einer Wirtshaustradition:Ausgekocht

Tragerwirt

Der Tragerwirt ist ein Relikt alter Wirtshausherrlichkeit.

(Foto: Sebastian Beck)

"Bei ihr, da gibt's koa Bixnfuada!": Der Tragerwirt in Neumarkt-Sankt Veit ist eines der ältesten Gasthäuser in Bayern. Doch der exzellente Ruf hilft Resi Trager auch nichts mehr. Das Gasthaus muss jetzt einer Bankfiliale weichen.

Von Hans Kratzer, Neumarkt-Sankt Veit

Beim Kochen kennt die Trager Resi keinen Pardon: "Was, Brühwürfel? Des kommt ja gar ned in Frage!", ermahnt sie den Reporter, während sie am dampfenden Holzofen kraftvoll in allerlei Töpfen und Tiegeln schabt und rührt. Selbstverständlich werden die Suppen beim Tragerwirt mit allerlei Wurzelgemüse gekocht, nicht mit billigem Zeug aus dem Supermarkt. Und statt Packerlsoß' wird echter Bratenfond serviert. "Bei mir gibt's nur frische Sachen", sagt die Wirtin, der in der Kleinstadt Neumarkt-Sankt Veit ein legendärer Ruf vorauseilt. Gilt sie doch als eine Koryphäe der alten Rottaler Bauern- und Wirtshausküche.

Auch die jungen Zimmerer, die gerade ihren Mittagsbraten vertilgen, schwärmen von Resis Gerichten: "Bei ihr, da gibt's koa Bixnfuada!" Gute Handwerker verschmähen Büchsenfutter, schon der Verdauung wegen. Verträgliche Kost zahlt sich für sie aus, besonders droben auf dem Dach: "Da kon i ned einfach runterhupfen, bloß weil mi der Bauch zwickt!" Bei Resis Essen besteht diesbezüglich keine Gefahr, das schätzen die Zimmerer sehr.Die Speisekarte enthält das ganze Potpourri der bayerischen Küche: Böfflamott, Dampfnudeln, Erdäpfebratl, Sauerbraten, nicht zuletzt das famose Tragerschnitzel.

Leider hilft dem Tragerwirt selbst sein exzellenter Ruf nichts mehr. Trotz ihrer Kochkünste muss Resi Trager ihren Herd verlassen. Das Wirtshaus wird zugesperrt. 400 Jahre lang hat es das Stadtzentrum geprägt, es ist eines der ältesten Gasthäuser in Bayern. Dennoch steckte an Weihnachten das Kündigungsschreiben im Briefkasten. Das Gebäude, das schon den Dreißigjährigen Krieg erlebt hat, gehört einer Erbengemeinschaft, und die hat beschlossen, das Haus zu renovieren und an eine Bank zu vermieten. Bald gibt's in Neumarkt nur noch magere Zinsen statt einem saftigen Schweinsbraten.

Die Stammgäste sind fassungslos. "Der Tragerwirt ist eines der wichtigsten Wirtshäuser weit und breit. Hier hat sich alles getroffen", sagt der gebürtige Neumarkter Karl Asbeck. 16 Wirtshäuser hat es noch in den Sechzigerjahren in der Stadt gegeben. Nun schließt das vorletzte. Diese Krise ist symptomatisch für die schwindende bayerische Wirtshauskultur.

"Resis Schweinebraten ist weltbekannt"

Immerhin haben fast 900 Sympathisanten des Tragerwirts eine Facebook-Seite ins Leben gerufen, um den Erhalt der Traditionswirtschaft zu unterstützen: "Was wäre Neumarkt ohne Tragerwirt und seinem Reserl. Es ist, als würde man der Stadt das Herz entreißen", ist dort neben einem riesigen Logo zu lesen. Auf schwarzem Grund ragt neben Kochlöffeln, Messer und Gabel der Slogan "Je suis Resi" hervor, eine Anspielung auf die Solidaritätsbekundungen für die Pariser Satirezeitschrift Charlie Hebdo.

Auch Bürgermeister Erwin Baumgartner bedauert das Ende des Tragerwirts. "Resis Schweinsbraten ist ja schließlich weltbekannt", schwärmt er. Allein wegen ihm schleppt das Stadtoberhaupt jeden Münchner Behördenbesuch grundsätzlich hierher, wie die BR-Abendschau beobachtet hat. Vor einigen Jahren wurde die Wirtschaft im Theater an der Rott in Eggenfelden sogar in einer Operette verewigt. Sie hieß "Der Kaiser im Rottal" und spielte im Tragerwirt, auch ein Trager Reserl ist darin vorgekommen. Dabei spielt die Handlung bereits im Jahr 1809, in jenem Schicksalsjahr, in dem der Kaiser Napoleon in Neumarkt gewesen sein soll.

Am Stammtisch verdichtet sich das Leben wie im Brennglas

Das Wirtshaus wird damals nicht viel anders ausgesehen haben als jetzt. Der Tragerwirt ist ein Gesamtkunstwerk. Die Weißdecke wirft lustige Falten, die Wirtsstube verströmt den Charme der Sechzigerjahre. Schlichte Tische mit abgewetzten Resopalplatten, liebevoll verhüllt durch schmale Tischdecken, kontrastieren mit der Wand, die gespickt ist mit Rehgwichtln, Fotografien von Vorfahren und historischen Schafkopfblattln. Die Fliesen an der Theke strahlen jenen blaugrünen Farbton ab, in dem die Ästhetik der Nachkriegszeit konserviert ist.

Seen am See

400Jahre lang hat es das Stadtzentrum geprägt, es ist eines der ältesten Gasthäuser in Bayern.

(Foto: Maximilian Beck)

Hier wurde nie etwas verändert, aber darin liegt auch das Problem. Das Gebäude muss dringend renoviert werden, vieles ist schief und krumm. Das sieht auch Resi Trager ein. Doch die Sanierung wird kräftig ins Geld gehen. Das Denkmalamt hat alten Stuck, alte Gewölbe und alte Fußböden entdeckt. Das alles zu erhalten, wird sehr teuer. "Eine Wirtschaft würde sich hier nie mehr rentieren", sagt der Bürgermeister. Letztlich müsse man froh sein, dass die Besitzer das ortsprägende Gebäude überhaupt erhalten wollen.

Resi Trager ist jetzt 74 Jahre alt, topfit und hätte gerne noch ein paar Jahre weitergemacht. Seit 55 Jahren führt sie den Tragerwirt, nie wollte sie etwas anderes machen: "Wenn i wieder auf d'Welt kimm, werd i wieder a Wirtin!" Mit den Wirtschaften sterben auch die Wirtinnen vom alten Schlag aus, Frauen wie Resi Trager, die ihr ganzes Leben in einer Gaststube verbracht haben und vom Leben oft mehr Ahnung haben als viele Weitgereiste.

Am Stammtisch des Tragerwirts verdichtet sich das Leben wie in einem Brennglas. Hier wird nur selten ein Klischee bedient. Wer kraftmeierisches Auftrumpfen erwartet, hört in Wirklichkeit nur Männerdialoge, die bis zur Kunstform reduziert sind. "Is da Miche gor ned do heid?" - "Naa!" - "Dawei waar 's Fahrn ned so schlecht!" Nirgends tröpfelt die Zeit bedächtiger als am Stammtisch.

Die Gäste fügen sich stoisch in den Lauf der Welt, beim Aufbruch nehmen sie die aufmunternden Worte der Wirtin mit nach Hause. Stammgast Heinz geht jetzt heim, steht auf, schlüpft in seine Jacke. Mimik und Rhetorik sind auf ein Minimum reduziert. "Guad", sagt er, "i muass packa, pfiateich!" "Kimmst auf d'Nacht wieder?", ruft ihm die Wirtin hinterher. "Normal scho!", brummelt er - und weg ist er.

4400 Wirtshäuser

Laut Statistik ist die Zahl der Wirtshäuser in Bayern zwischen 1980 und 2011 von 7900 Betrieben auf weniger als 4400 gesunken. Vor allem auf dem Land haben viele Gasthäuser den Betrieb eingestellt. 2011 gab es in 764 der 2056 bayerischen Gemeinden keinen getränkeorientierten Gastronomiebetrieb mehr, was 37,2 Prozent aller Gemeinden entspricht. Bei den speiseorientierten Betrieben stellt sich die Situation günstiger dar: 2011 gab es in 257 der 2056 bayerischen Gemeinden keinen solchen Betrieb. Diese Zahl hat sich gegenüber 2006 nur unwesentlich verändert.

Manchmal ist die Gaststube aber auch viele Stunden lang leer. "A doude Zeit!", sagt Resi Trager. Früher wurde an mindestens fünf Tischen Schafkopf gespielt, auch beim Watten und Tarocken erhitzten sich die Köpfe. Das Kartenspiel ist heute passé. "Die Zeit ändert se, und die Wirtshauskultur aa. Des is überall gleich!", seufzt die Wirtin. "Als Wirt kannst nimmer überleben!"

War am Ende das Rauchverbot schuld? "Na ja", sagt Resi Trager, "am Anfang warns scho lästig de Deifen!" Das heißt: Die Männer waren frustriert. Jahrzehntelang wurde ihre Lebenslust von dicken Zigarren angeheizt, sie dampften Virginias, Villinger Stumpen, Alpenkiel, "unser Ventilator hat den Rauch nimmer wegbrocht!" Viele haben nach dem Verbot mit dem Rauchen aufgehört. "Mir san jetzt ganz froh."

Es ist Mittagszeit, die Stube füllt sich mit hungrigen Arbeitern und Handwerkern, in der 6000-Einwohner-Stadt gibt es viele Betriebe. "Und basst oiss bei eich? Hods eich gschmeckt?" Der Fragenkodex einer Wirtin, die zufriedene Gäste will. Ein Wirtshaus ist immer auch ein Schmelztiegel der Gefühle. Im Tragerwirt wurden Faschingsfeste gefeiert, dass die Fetzen flogen. Oft wurde über die Stränge geschlagen. Früher, als das Stempelgeld ausbezahlt wurde und die Männer tagelang in der Stube versumpften, bis die "bsuffan Wagscheitl" von ihren verzweifelten Frauen heimbeordert wurden, damit ein bisserl was übrig geblieben ist vom lieben Geld.

Es gab Streit und Hader, und wieder war das Wirtshaus die psychologische Anlaufstelle bei Familienproblemen. "Ich war oft der Seelentröster do herin", sagt Resi Trager, "wenn's dahoam ned gstimmt hat, und des war oft der Fall." Nur noch bis zum Juli wird der Stammtisch des Tragerwirts ein Zufluchtsort und ein zweites Wohnzimmer sein. "Do derf i no ned drandenken", seufzt die Resi. "Aber 's is halt so!" Sie hat feuchte Augen. "Bist halt nix mehr wert nach einem langen Wirtshausleben."

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