Empörung:Bayerns Rotwild unter Beschuss

Wildfütterung in der Vallepp, 2006

Umsorgt: Im Winter werden in Bayern Hirsche gefüttert, damit sie den Wald nicht schädigen.

(Foto: Manfred Neubauer)

Im Chiemgau eskaliert der Streit um den Verbiss im Bergwald und die richtige Jagd auf Hirsche. Aktivisten richten eine Petition an den Landtag

Von Christian Sebald

Wenn Christian Blas aus Prien am Chiemsee auf den Umgang der Förster mit dem Rotwild zu sprechen kommt, redet er sich schnell in Rage. "Was die vorhaben, ist Ausrottung", schimpft der Sprecher der "Allianz für Wildtiere im Chiemgau". "Das widerspricht jedem Tierschutz!" Auch Christine Miller ist empört. "Die Hirsch-Großfamilie an der Kampenwand soll ausradiert werden", sagt die Vizechefin des Vereins "Wildes Bayern". "Die Abschusspläne sind genehmigt. Der Abschuss beginnt jetzt." Die Hoffnungen von Blas und Miller ruhen nun auf Ministerpräsident Horst Seehofer und dem Landtag. Sie sollen, so hat es Blas in seiner Petition formuliert, dem Treiben ein Ende setzen. Miller unterstützt den Priener mit einer Unterschriftensammlung im Internet.

Der Grund der Empörung von Blas und Miller: Der Staatsforstbetrieb Ruhpolding und sein Leiter Paul Höglmüller wollen unter der Kampenwand bei Hohenaschau ein altes Wintergatter auflösen. Ein Wintergatter ist ein weitläufiges Gehege, in dem das Rotwild die kalte Jahreszeit verbringt. Einst lebten die Hirsche ja überall in Bayern, und zwar in riesigen Revieren. Im Sommer zogen die Tiere hinauf ins Gebirge, den Winter verbrachten sie unten in den Tälern. Das ist heutzutage längst nicht mehr möglich. Das Land ist viel zu zersiedelt. Autobahnen, Zugtrassen und andere Verkehrswege schneiden dem Rotwild die Wege in ihre alten Winterquartiere ab. Deshalb verbringt das Rotwild nun auch die kalte Jahreszeit in den Bergen.

Dort richten die Hirsche freilich immense Schäden an. Denn sie machen sich über die jungen Tannen und Laubbäume her und fressen sie zusammen. Die Folge: Der Verbiss an den Bäumen ist immens, der Wald kann nicht richtig nachwachsen. Besonders schlimm ist das in sogenannten Schutzwäldern. Das sind Bergwälder, die Ortschaften und Verkehrswege im Tal abschirmen sollen vor Lawinen und Muren. Die Wintergatter sollten einst Abhilfe schaffen. Denn in ihnen wird das Rotwild durch den Winter gefüttert, sodass es außerhalb keinen Schaden anrichten kann.

Das Problem ist nur: Den Hirschen geht es so gut wie lange nicht, ihre Zahl ist auf Rekordniveau. Es gibt Bergwälder in Bayern, da leben bis zu sechs Stück Rotwild auf hundert Hektar. Damit der Wald aber eine Chance hat und es zugleich den Hirschen gut geht, sollten es höchstens zwei sein. Auch unterhalb der Kampenwand ist die Rotwilddichte, wie die Zahl der Hirsche auf Förster-Deutsch heißt, deutlich zu hoch. Deshalb will Forstbetriebschef Höglmüller nun dort ein Wintergatter auflösen, in dem bislang immer ungefähr 25 Hirsche, Hirschkühe und Jungtiere überwintert haben. Außerdem will er die Zahl des Rotwilds durch konsequentes Jagen verringern, so wie es sowohl das bayerische Jagdgesetz als auch das Waldgesetz vorsieht. "Sonst bekommen wir die Verbissschäden nie in Griff" sagt Höglmüller. "Wir haben in dem Bereich allein eine Million Euro in Schutzwald investiert. Wenn der Verbiss so hoch bleibt, ist das nicht zu rechtfertigen."

Zwar haben die Jagdbehörden Höglmüllers Konzept befürwortet. Aber die Unruhe unter den Jägern war sofort immens, weit über die Region hinaus. Denn der Streit um den Verbiss und die richtige Jagd tobt ja nicht nur unter der Kampenwand, sondern vielerorts in Bayern. Der Landesjagdverband, dem die übergroße Mehrheit der Jäger angehört, ist inzwischen eingeschwenkt. "Streit bringt uns nicht weiter", sagt Jägerpräsident Jürgen Vocke. "Die Staatsforsten haben uns ihr Konzept erläutert. Jetzt müssen sie zeigen, dass es aufgeht - für den Wald und für das Rotwild."

Blas und Miller kämpfen dennoch weite. "Rothirsche sind Mitgeschöpfe, in Bayern ist die Koexistenz von Mensch und Wildtier gelebte Tradition", sagt Blas. "Mein Ziel ist das Überleben der Rothirsche." Miller, die Wert auf ihre Unabhängigkeit vom Jagdverband legt, sagt: "Es gibt praktisch keinen Quadratmeter, wo der Hirsch einfach Hirsch sein darf und seine Lebensäußerung, das Fressen von Pflanzen, nicht als ,Schaden' deklariert wird." Nächste Woche befasst sich der Landtag mit Blas' Petition.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: