Elternzeit:Für acht Wochen zu hundert Prozent Papa

Das Elterngeld scheint ein großer Erfolg für die Gleichberechtigung zu sein. In Bayern hat 2010 etwa jeder dritte Mann eine Baby-Pause genommen. Auch Matthias Trüstedt freut sich schon darauf, das Rollenmodell von ihm und seiner Frau Leslie ist dennoch eher traditionell. Damit sind sie nicht allein.

Charlotte Theile

Ein durchdringendes Stöhnen hallt durch den Raum, die Hebamme wirft sich vor und zurück, schließlich beginnt sie zu schreien. Um sie herum sitzen neun Paare und wissen nicht recht, wohin mit ihren Blicken. Zwei Männer schauen auf die Uhr, ein anderer auf sein Smartphone.

Elternzeit: Matthias und Leslie Trüstedt beim Geburtsvorbereitungskurs in München: Die Väter sind hier dabei, doch die längere Auszeit vom Beruf nehmen sich immer noch Mütter.

Matthias und Leslie Trüstedt beim Geburtsvorbereitungskurs in München: Die Väter sind hier dabei, doch die längere Auszeit vom Beruf nehmen sich immer noch Mütter.

(Foto: Stephan Rumpf)

Matthias Trüstedt dagegen sieht interessiert zu, wie Verena Mangold, die Leiterin des Geburtsvorbereitungskurses, die imitierte Wehe mit einem tiefen Röhren beendet. Wenn seine Frau Leslie in ein paar Wochen ihr erstes Kind auf die Welt bringt, möchte der studierte Mathematiker schließlich nicht hilflos daneben stehen. Anders als die anderen Männer, die den Partnertag eher still verfolgen, stellt der 39-Jährige detaillierte Fragen in der Hebammen-Praxis.

In Socken oder mit nackten Füßen sitzen die Paare, die meisten eng aneinander geschmiegt, in dem freundlichen, aber viel zu warmen Raum in der Praxis in der Münchner Altstadt. Es ist Sonntagnachmittag, Geburtsvorbereitungskurs, und damit eine gute Gelegenheit zu erforschen, wie die jungen Eltern heute so sind - beziehungsweise vor allem: die Väter.

Kurze "Babyzeit" für Väter

Wie sieht es aus mit den sogenannten modernen Männern? Sind sie bereit, für die Familie auf Karriere zu verzichten? Sich gleichermaßen an der Erziehung zu beteiligen?

"Selbstverständlich" würde Matthias Trüstedt antworten, er sei jetzt bald zu hundert Prozent Papa, keine Frage. Damit liegt er im Trend: Die Männer von heute meinen es ernst mit dem Vater-Sein, das suggeriert zumindest der erste Blick. Bei jedem vierten Kind, das 2010 geboren wurde, so die Zahlen des Statistischen Bundesamtes, hat der Vater Elterngeld bezogen. Bayern nimmt einen Spitzenplatz ein: Hier entschieden sich sogar 33 Prozent der Väter für eine "Babyzeit" mit Elterngeld, Tendenz steigend.

Auch wenn das Elterngeld im Moment aufgrund niedriger Geburtenraten in Frage gestellt wird, scheint es für die Gleichberechtigung eine Erfolgsgeschichte zu sein. Die Geschichte hat allerdings einen Haken: 83 Prozent der bayerischen Väter setzen nur zwei Monate lang aus - die Mindestdauer, um das Elterngeld 14 Monate lang ausbezahlt zu bekommen. Die verbleibenden zwölf Monate bleiben dann die Mütter zu Hause.

So ähnlich wird es auch bei den Trüstedts sein. Matthias nimmt drei Monate Elternzeit, Leslie setzt ein Jahr aus. Dabei begreifen sich die beiden eigentlich als modernes, gleichberechtigtes Paar, auch jetzt, in den letzten Wochen der Schwangerschaft. "Matthias wollte am liebsten den ganzen Kurs mit mir zusammen machen", erzählt Leslie. Er sei es auch gewesen, der sich Kinder gewünscht habe. "Hätten Sie mich vor ein paar Jahren gefragt, hätte ich gesagt: niemals." Zu wichtig war der Juristin ihre Arbeit in der Bayerischen Staatskanzlei, als Richterin und Staatsanwältin hat sie Karriere gemacht.

Vor 16 Jahren hat sie Matthias im Münchner Maximilianeum, wo Elite-Studenten aus Bayern und der Pfalz untergebracht sind, kennengelernt. Nach dem Studium war die Arbeit erstmal wichtiger als die Familienplanung. Matthias arbeitete als Unternehmensberater, war selten zu Hause, bei Leslie lief es ähnlich.

"Unbewusste Rolleneinstellungen"

Obwohl das ihrem Selbstverständnis widersprechen müsste, haben sich Matthias und Leslie in der Organisation des Familienlebens auf eine recht traditionelle Aufteilung geeinigt. Keine Seltenheit, wie Anette Kersting, Professorin für Psychotherapie aus Leipzig, bestätigt. "Wenn sich die Paare über ihren Kinderwunsch unterhalten, ist beiden klar: Wir machen das gemeinsam." Wenn es konkret werde, kämen doch wieder "unbewusste Rolleneinstellungen" zum Tragen. Mit Rationalität hätten diese Entscheidungen oft wenig zu tun - auch wenn viele rationale Argumente angeführt würden.

Dass Leslie, die im Kurs am lautesten ist, ihren Mann bei der Rückenmassage auch mal ein bisschen rumkommandiert, nun zum unterdrückten Weibchen wird, ist nicht zu erwarten. Die 36-Jährige findet es "einfach schön, mich länger und intensiv um das Baby zu kümmern". Politisch und gesellschaftlich würde sie es aber begrüßen, wenn Männer zu Hause mehr Verantwortung übernähmen.

Je mehr Frauen berufstätig sind, desto besser stehen die Chancen, dass Väter sich an der Elternzeit beteiligen, sagt Roderich Egeler, Präsident des Statistischen Bundesamts. Und in München verdienen die Mütter gut. Die Höhe des Elterngeldes ist an den Verdienst gekoppelt, in der Landeshauptstadt erhalten Frauen durchschnittlich 1103 Euro Elterngeld, das ist der höchste Wert in Deutschland. Miete und Lebenshaltungskosten sind aber ebenso rekordverdächtig.

Leslie und Matthias bekommen beide den Höchstsatz von 1800 Euro, dennoch spielt das Geld eine Rolle. Als Produktmanager einer großen Versicherung verdient Matthias mehr als seine Frau. Auch weil er viel Verantwortung trägt, fällt es ihm schwer auszusetzen. Leslie dagegen kann als Beamtin recht problemlos Elternzeit nehmen.

Es gehe aber nicht nur ums Geld, betont Matthias. Ihm sei es wichtig, Zeit mit seinem Kind zu haben. Es sei "eine tolle Vorstellung, einfach einen Tag im Tierpark zu verbringen", schwärmt er, "fast schon Luxus" nach all den Jahren voll Arbeit. Trotzdem hat er erst einen Monat nach dem Geburtsvorbereitungskurs den Mut aufgebracht, seine Chefin nach Elternzeit zu fragen. Das Ergebnis war positiv, was zumindest Leslie nicht wirklich überrascht. "Seine Chefin hat selbst Familie. Sie will Frauen fördern, und das heißt eben auch, Männer in Elternzeit gehen lassen", sagt sie.

Väter unter Druck

Dass sie selbst leichter aussetzen kann, dass sie einen Job als Beamtin der Karriere in der freien Wirtschaft vorgezogen hat, ist ziemlich typisch. Häufig wählen Frauen von vornherein familienfreundliche Stellen aus. Früher gab es für Frauen eigentlich nur zwei Optionen, "sich fügen oder eben rebellieren", berichtet Anette Kersting, die in der Fachgesellschaft für Psychiatrie das Referat für "Frauen und geschlechtsspezifische Psychiatrie" leitet. Statt festgeschriebener Regeln hätten Paare heute die Qual der Wahl. "Jede Familie kann individuell aushandeln, was für sie am besten ist."

So sagt es die Theorie. Die werdenden Eltern aus dem Kurs haben nicht so richtig das Gefühl, frei entscheiden zu können. Zwei oder drei Wochen Urlaub, um nach der Geburt für Mutter und Kind da zu sein, das kriegen die meisten Männer hin. Längere Auszeiten sind in jedem Beruf schwierig. "Meine Frau wird erstmal auf sich allein gestellt sein", erzählt Ilja, der sein Medizin-Studium nun umso schneller beenden will, um seiner Familie etwas bieten zu können.

Gerade in einer teuren Stadt wie München stünden die Väter extrem unter Druck, um ihre Familie über die Runden zu bringen, glaubt Hebamme Verena Mangold. "Viele lassen daher Mutter und Kind schon sehr früh wieder alleine." Sie bedauert das. Denn die ersten Monate mit dem Baby seien wichtig für den Zusammenhalt der jungen Familie.

Doch die wenigsten Chefs sind begeistert, wenn man nach einer Auszeit fragt, berichten die Väter im Kurs. Sie arbeiten im Vertrieb, in der Informatik oder in der Produktion, viele haben eine hohe Position erreicht. Eine Vertretung möchte keiner der Männer an seinem Platz sehen, die zwei Vätermonate werden daher gestückelt.

Christoph, der den Kurs schweigend und ein bisschen amüsiert über all die Beckenübungen, Paar-Massagen und Bilder vom Fallen-Lassen verbracht hat, bekommt am Schluss Applaus: Der 28-jährige Snowboarder wird sechs Monate lang Elternzeit machen. Dass er keine Fragen zur Plazenta gestellt und sogar während der Wehe die News auf dem Handy gecheckt hat, ist egal: Mit diesem Signal ist Christoph zum Vorzeige-Papi des Kurses geworden.

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