Eklat um Nazi-Tattoo bei Wagner-Festspielen:Hautverdächtig

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Hektik am Grünen Hügel: Nach dem Eklat um die Nazi-Tätowierungen des Sängers Evgeny Nikitin geht es in Bayreuth drunter und drüber: Festspiel-Mitarbeiter schalten den Verfassungsschutz ein, dann erklärt sich der geschasste Bassbariton - und schließlich wird sogar ein falscher Nachfolger vorgestellt.

Olaf Przybilla

Im Garten des Bayreuther Festspielhauses, dort wo die Büste Richard Wagners wohlgefällig auf das Haus blickt, stehen in diesen Tagen Stellwände. Sie erzähle verstörende Geschichten darüber, wie es jüdischen Künstlern am Grünen Hügel ergangen ist, lange vor der NS-Machtergreifung. Historiker haben sie recherchiert, es sind Dokumente des Rassenwahns. Wer die Texte auf diesen Wänden liest, einen nach dem anderen, wird Bayreuth anders verlassen, als er gekommen ist.

Vom Schlagzeuger zum gefeierten Bassbariton: Evgeny Nikitin sollte der erste Russe sein, der auf dem Grünen Hügel eine Hauptrolle singt. (Foto: dapd)

Es sind Geschichten wie die von Lucian Horwitz, Cellist bei den Berliner Philharmonikern und Mitglied des Wiener Tonkünstler-Orchesters. Horwitz galt als Virtuose, immer wieder trat er in den 1920er Jahren als Solist in Erscheinung, in Bayreuth aber brachte er es 1924 lediglich einmal auf die Ersatzliste.

Auf einem Dokument ist sein Name mit einem Hakenkreuz samt Ausrufezeichen versehen. Neun Jahre vor der NS-Machtergreifung war das in Bayreuth der Code dafür, dass Horwitz Jude war. Er spielte nie in Bayreuth.

Am Freitagabend war in der ZDF-Kultursendung "Aspekte" ein Beitrag über den Bassbariton Evgeny Nikitin zu sehen, den ersten Russen, der eine Hauptrolle auf dem Hügel spielen sollte. Nikitin ist mit der Titelpartie des "Fliegenden Holländers" schon durch Japan getourt, seither buchen ihn die großen Häuser, am Mittwoch sollte er den Frontmann in Bayreuth geben. Der Fernsehbeitrag war in dem heiteren Ton gehalten, mit dem Nikitin zuletzt öfters porträtiert wurde.

Seine Geschichte wirkt ja auch apart: Da ist ein Mann aus Murmansk, der noch bis vor zwei Jahren für eine einigermaßen abgründige russische Black-Metal-Gruppe Schlagzeug spielte und dabei einen Sänger begleitete, der vom Weltende schrie. Nun soll eben dieser wütende Trommler den Holländer mimen, vor den versammelten Wagner-Verbänden der Welt.

In dem Beitrag war ein Video zu sehen, auf dem Nikitin mit nacktem Oberkörper am Schlagzeug sitzt, ein bebender Berserker. Auf den Bildern kann man unschwer erkennen, dass sich an dem Bariton kaum ein Quadratzentimeter Haut ohne Tattoos finden lässt. Die gestochenen Symbole bedeckten Brust und Arme, bis an den Handrücken und die Fingerkuppen ranken sie sich.

Ein Problem, hieß es am Hügel bislang, sei das alles nicht: In der Inszenierung von Jan Philipp Gloger würde Nikitin schließlich nicht nackt singen. Arme und Finger sollten überschminkt werden.

Es wurde dann aber doch ein Problem, ein gewaltiges sogar. Denn auf dem Video ist auch zu erkennen, dass auf der Brust des damaligen Schlagzeugers namens Nikitin ein Symbol eingebrannt war, das einem Hakenkreuz zumindest sehr ähnlich ist - jenem Symbol also, dass Künstlern wie dem Cellisten Horwitz 1924 in den Lebenslauf geritzt wurde am Grünen Hügel.

Am Sonntag ist die Dokumentation im Festspielgarten eröffnet worden. Und drei Tage später sollte da ein Mann die Hauptrolle geben, der in seiner Zeit als Schlagzeuger Symbole auf der Haut getragen hat, die an jene furchtbaren Zeiten erinnern, die für immer mit Bayreuth verbunden sind?

Im ZDF-Beitrag wurde diese Frage nicht gestellt, es ging da eher um den kuriosen 38-Jährigen aus Russland, der auf Wunsch sogar in der Kantine des Festspielhauses Proben seiner Kunst gibt. Einige derjenigen, die den Beitrag gesehen hatten, stellten die Frage aber schon. Regisseur Gloger, so wird es am Hügel erzählt, habe den Bariton noch in der Nacht zur Rede gestellt: Ob es da etwas gäbe, auf Nikitins Körper, was man am ehemals braunen Hügel in Bayreuth unbedingt wissen müsse? Die Antwort soll ausweichend ausgefallen sein.

Tags darauf bestellten die beiden Festspielleiterinnen Nikitin ein, eine halbe Stunde soll das Gespräch gedauert haben, danach gab es zwei Erklärungen. Eine des Hauses, in der davon die Rede ist, dass Nikitin auf seinen Auftritt verzichte.

Und eine von Nikitin, in der er angibt, die Tragweite einiger Symbole sei ihm nicht bewusst gewesen, vor allem nicht, was diese Zeichen in Bayreuth auslösen könnten. Er habe sich die Tattoos in seiner Jugend stechen lassen, das sei ein großer Fehler gewesen. Die Zeichen hätten für ihn keine politische Bedeutung, nur eine "spirituelle".

Am Hügel sollen Mitarbeiter zuvor hektisch versucht haben, Verfassungsschützer mit der Causa zu befassen. Anhand von Bildern des Baritons wollte man geklärt wissen, ob bestimmte Zeichen auf dessen Haut in Deutschland möglicherweise sogar als verfassungsfeindlich eingestuft werden.

Den großen Stich auf seiner rechten Brust - den aus dem Metal-Video - trägt Nikitin nicht mehr, er wurde wohl überstochen. Nur waren da eben noch andere dubiose Symbole auf seiner Haut, die man am Hügel plötzlich erkannt haben wollte, Runen etwa. "Keiner hier kennt sich mit dieser Symbolik aus", sagt Peter Emmerich, der Festspielsprecher. Daher die Sache mit dem Verfassungsschutz.

Soweit musste man am Ende nicht gehen, noch am Samstag ist der Mann, der als erster Russe in einer Hauptrolle am Hügel in die Geschichte eingehen sollte, abgereist: Keine zehn Stunden, bevor in Bayreuth die letzte "Holländer"-Generalprobe über die Bühne ging. Genau zwei Stunden hatte ein neuer Holländer zuvor Zeit, den Regisseur Jan Philipp Gloger und den Dirigenten Christian Thielemann davon zu überzeugen, dass er am Mittwoch diese Partie tatsächlich singen kann.

Komfortabel dürfte die Auswahl nicht gewesen sein, denn die Menge derer, die den Holländer auf höchsten Niveau singen können, gilt als übersichtlich. Und als wäre das alles nicht schon kurios genug, wurde am Samstag zunächst ein Falscher als der Neue verkündet: Attila Jun sollte als neuer Hügel-Holländer auf der Bühne stehen, jener Mann, der in Bayreuth schon als Nachtwächter in den "Meistersingern" zu hören war.

Tatsächlich wurde aber nicht Jun getestet und für würdig befunden - sondern Samuel Youn, der Bassbariton, der seit 2010 den Heerrufer im "Lohengrin" singt. Er wurde dem Generalprobenpublikum als der Neue vorgestellt, dieses soll tapfer Beifall gespendet haben. Auch Gloger soll sich zufrieden gezeigt haben, hatte freilich zuvor bereits eingeschränkt, die "künstlerische Beschädigung der Inszenierung" sei immens und könne bis zur Premiere "eventuell nicht restlos abgewendet" werden.

In der Folge von Unannehmlichkeiten am Hügel darf die Causa Nikitin getrost als der vorläufige Höhepunkt gelten. Was etwas heißt, betrachtet man die bisherige Bilanz der beiden Festspielleiterinnen Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier: Im letzten Jahr musste man unterdurchschnittliche "Tannhäuser"-Kritiken verkraften, der Bundesrechnungshof rügte die Ticketvergabe, der Hauptsponsor der Festspielnacht sprang ab, die Gewerkschaften waren aufgebracht, und die Staatsanwaltschaft ermittelte im Haus.

Für Nikitin hatte sich Katharina Wagner gemeinsam mit Christian Thielemann vor zwei Jahren bei einem Vorsingen in München entschieden. Der Mann schien gleichsam wie geschaffen zu sein für das neue Bayreuth der Katharina Wagner:

Einer, der auf glänzende Kritiken an den großen Häusern verweisen kann, zuletzt in Salzburg, in Berlin und München. Einer, dem es gelingen könnte, auch junges Publikum für Wagner zu interessieren. Und einer, der schon ein erstes Leben hinter sich - und also eine Geschichte zu erzählen hat.

Nun ist diese Wahl, so nachvollziehbar sie gewesen sein mag, auf beinahe tragikomische Weise verunglückt. Einen Wodka werde er trinken nach der Premiere am Grünen Hügel hatte Evgeny Nikitin kürzlich angekündigt. Zwei andere Sätze von ihm werden nun ebenfalls in Erinnerung bleiben. Er spiele auf fremden Platz, da müsse man vorsichtig sein, hatte er gesagt. Und orakelt, dass es "sehr schmerzhaft" sein könnte, zu fallen in Bayreuth.

© SZ vom 23.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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